Von Homeoffice bis Kurzarbeit: Betriebsräte müssen derzeit viel mitbestimmen. Rechtssicher waren ihre virtuellen Treffen aber nicht. Das will die Bundesregierung nun ändern. Michael Fuhlrott und Katharina Fischer erklären die Details.
Die betriebliche Mitbestimmung ist ein wichtiges Gut. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen dazu nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) "vertrauensvoll (…) zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen" arbeiten. Hierbei handelt es sich mitnichten um einen bloßen Programmansatz, vielmehr hat der Betriebsrat bei vielen Angelegenheiten ein Beteiligungsrecht bzw. muss bestimmten Vorhaben sogar ausdrücklich zustimmen. Damit ist ein handlungsfähiger Betriebsrat in Zeiten der Corona-Pandemie essentiell, um notwendige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebs und zur Sicherung der Zukunft des Unternehmens treffen zu können.
So ist z.B. die Einführung von Kurzarbeit in Betrieben mit Betriebsrat nur möglich, wenn dieser damit einverstanden ist (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG). Auch viele andere in der aktuellen Zeit diskutierte Maßnahmen bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats, wie etwa Regelungen zum Fiebermessen vor Zutritt zum Betrieb oder Fragen zur Gesundheit oder zum Aufenthalt des Arbeitnehmers in Risikogebieten (§ 87 Abs. 1 Nr. 1, 7 BetrVG). Auch bei der Versetzung von Mitarbeitern ins Homeoffice hat der Betriebsrat ein Beteiligungsrecht (§ 99 Abs. 1 BetrVG), ebenso wie bei Kündigungen (§ 102 Abs. 1 BetrVG).
Betriebsräte treffen sich dazu oftmals wöchentlich. Sie handeln dabei durch Beschlüsse, die nach gemeinsamer Erörterung in Betriebsratssitzungen gefasst werden. Ob sich aber Betriebsräte auch in Zeiten bestehender Infektionsgefahren persönlich im Unternehmen treffen müssen oder sie sich auch – wie die meisten Entscheider auf Arbeitgeberseite – in Videokonferenzen abstimmen und auf diese Weise ihre Beschlüsse fassen dürfen, war indes bisher rechtlich ungeklärt.
Einfache Absprachen reichen nicht
Die bislang vorherrschende Auffassung sah es zwingend als notwendig an, dass sich die Betriebsräte für die Beschlussfassung persönlich austauschen. Zudem bestehe bei virtuellen Treffen die Gefahr, dass unbeteiligte Dritte der Sitzung beiwohnen könnten und die Nicht-Öffentlichkeit der Sitzung damit nicht gewahrt würde.
Diese Auffassung wurde indes teilweise von anderen Stimmen schon bislang als "überholt" angesehen. Hierzu wurde insbesondere auf die Regelungen für auf Seeschiffen gebildete Betriebsräte verwiesen. Diese dürfen nämlich ausnahmsweise auch nach den bisherigen gesetzlichen Regelungen (§ 41 Abs. 2 a Europäische Betriebsräte-Gesetz – EBRG) virtuell tagen und Beschlüsse fassen. Eine solche Regelung findet sich hingegen im BetrVG nicht.
Wer nun argumentieren mag, das alles sei doch ein Problem nur der Betriebsräte und meint, dies sei gelöst, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat dahingehend abstimmten, eine unwirksame Beschlussfassung nicht zu rügen, denkt indes zu kurz. Zwar sind entsprechende "Absprachen" zwischen den Betriebsparteien in Form einer sogenannten Regelungsabrede denkbar und auch derzeit als "Notnagel" gängige Praxis. Das Problem liegt aber woanders.
Bei der Einführung von Kurzarbeit ist die Zustimmung des jeweiligen Mitarbeiters notwendig. Diese kann durch eine Betriebsvereinbarung ersetzt werden. Ist diese nun aber unwirksam, ist die Kurzarbeit nie wirksam eingeführt worden. Es drohen Klagen der Arbeitnehmer auf Auszahlung des vollen Gehalts sowie theoretisch Rückerstattungsansprüche der Agentur für Arbeit. Auch Arbeitgeber müssen daher ein virales Interesse dran haben, dass die Betriebsräte wirksame Beschlüsse fassen können.
Kabinett erkennt fehlende Rechtsgrundlage
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil reagierte auf die Problematik mit einer Ministererklärung – die aber keine Gesetzeskraft aufweist und für Gerichte nicht bindend ist.
Diese Probleme scheint nun auch das Bundeskabinett erkannt zu haben. Nach einem als "Formulierungshilfe" bezeichneten ersten Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Ausschussdrucksache 19(11)581 v. 9. April 2020) soll der bereits vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung (BT-Drucksache 19/17740) im Gesetzgebungsverfahren durch einen Änderungsantrag ergänzt werden. In das BetrVG soll dadurch insbesondere ein neuer § 129 ("Sonderregelungen aus Anlass der Covid-19-Pandemie") eingefügt werden. Die Änderungen sollen zudem rückwirkend seit dem 1. März 2020 gelten, um bereits gefasste virtuelle Beschlüsse auf rechtssicheren Boden zu stellen.
Vergleichbare Ergänzungen soll es auch für weitere Arbeitnehmervertretungen wie z.B. Sprecherausschüsse als Vertreter der leitenden Angestellten (§ 39 SprAuG Entwurf) oder Arbeitnehmervertretungen in der Europäischen Gesellschaft (§ 48 SEBG Entwurf) geben. Diese Sonderregelungen sind jeweils bis Jahresende befristet (z.B. § 129 Abs. 4 BetrVG – Entwurf). Sie werden jeweils am Ende der bisherigen Gesetze eingefügt.
Eine Modifikation der bestehenden Regelungen zur Beschlussfassung hätte nähergelegen. Durch die Einfügung wird jedoch deutlich, dass es sich um "Pandemie-Ausnahmevorschriften" handelt, die nach dem Willen des Gesetzgebers wohl alsbald wieder aus dem Gesetz verschwinden dürften.
Kein Vorrang der Videokonferenz
Nach dem Vorschlag des Ausschusses zur Neuregelung sollen sowohl Teilnahme als auch Beschlussfassung "mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können" (§ 129 Abs. 1 S. 1 BetrVG – Entwurf).
Interessant ist, dass kein Vorrang einer Video-Konferenz statuiert wird, obwohl diese einem persönlichen Treffen der Betriebsratsmitglieder nähergekommen wäre als eine bloße Telefonkonferenz. Bemerkenswert ist ferner, dass eine Aufzeichnung ausdrücklich nicht erlaubt sein soll, obgleich diese bei regulären Betriebsratssitzungen zu Protokollzwecken nach herrschender Auffassung zulässig ist.
Nach dem Entwurf ist zudem die Sicherheit der Übertragung sicherzustellen. Die Erläuterungen zum Gesetzesentwurf verlangen dazu, dass "entsprechende technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, wie zum Beispiel eine Verschlüsselung der Verbindung und die Nutzung eines nichtöffentlichen Raumes während der Dauer der Sitzung". Dass damit bezweckte Ziel der Sicherung der Daten ist sinnvoll. Allerdings: Wie sollen Betriebsräte dies dokumentieren und gewährleisten können? Und: Können Arbeitgeber oder sogar einzelne Arbeitnehmer später Beschlüsse des Betriebsrats damit angreifen, dass sie eine fehlende Inhaltsverschlüsselung rügen?
Ferner soll die Neuregelung auch Einigungsstellen und Wirtschaftsausschüsse das virtuelle Tagen und Beschließen ermöglichen (§ 129 Abs. 2 BetrVG – Entwurf), auch sollen Betriebs- und Betriebsräteversammlungen mittels audio-visueller Einrichtungen durchgeführt werden können (§ 129 Abs. 3 BetrVG – Entwurf). Auch diese Sitzungen sollen nicht aufgezeichnet werden dürfen (§ 129 Abs. 1 S. 2 BetrVG – Entwurf).
Probelauf für dauerhafte Ergänzung?
Auch wenn die geplante Regelung nur befristet erfolgen und zum Jahresende auslaufen soll: Vielleicht zeigt die Handhabe der nächsten Monate, dass virtuelle Sitzungen und Beschlussfassungen nichts Schlechts sein müssen. Natürlich sollte es weiterhin möglich sein, dass sich Betriebsräte bei wichtigen Verhandlungen oder Diskussionen – etwa für anstehende Betriebsänderungen oder Personalabbaumaßnahmen – persönlich treffen und den Sachverhalt diskutieren. Aber insbesondere für kleinere Besprechungen zwischendurch können virtuelle Sitzungen eine sinnvolle Ergänzung oder Erleichterung sein.
Es wäre zu wünschen, dass dies auch auf Gewerkschaftsseite nach dem nunmehr anstehenden Probelauf erkannt wird. Virtuelle Sitzungen sind nichts Bedrohliches, sondern können eine sinnvolle Anpassung des Betriebsverfassungsrechts an die Arbeit 4.0 darstellen. Damit tragen sie auch langfristig dazu bei, die betriebliche Mitbestimmung zu erhalten. Und dies sollte das gemeinsame Ziel sein – entsprechend dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zum Wohle der Arbeitnehmer und des Betriebes, wie es das Betriebsverfassungsgesetz schon im letzten Jahrhundert formulierte.
Der Autor Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei FHM – Fuhlrott Hiéramente & von der Meden Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB - sowie Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg.
Die Autorin Dr. Katharina Fischer ist Rechtsanwältin im arbeitsrechtlichen Dezernat bei Linklaters LLP in Hamburg.
Virtuelle Beschlussfassung durch Betriebsräte: . In: Legal Tribune Online, 14.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41290 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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