Nach dem Protest wegen der Massenerhebung von Telekommunikationsdaten bei Gegendemonstrationen zu Neonazi-Aufmärschen in Dresden versucht der sächsische Justizminister, die Wogen mit einem Eckpunkte-Papier zu glätten. Die dort geplante beschränkte Funkzellenabfrage würde jedoch das System der strafprozessualen Eingriffsbefugnisse auf den Kopf stellen. Von Wolfgang Bär.
Nach der Vorstellung von Jürgen Martens (FDP) sollen die Vorschläge Grundlage für eine Gesetzesinitiative im Bundesrat sein. Dabei geht es dem säschischen Justizminister einerseits darum, strafprozessuale Erhebungsbefugnisse für Verkehrsdaten zu beschränken und andererseits die Verwendung von Daten nach einer so genannten Funkzellenabfrage einzudämmen.
Dies soll durch eine gesetzliche Ergänzung der bisherigen Regelung des § 100g Abs. 2 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO) um mehrere zusätzliche Sätze und Änderungen in § 101 StPO geschehen.
Ziel der geplanten Reform ist es, auf der einen Seite die Erhebungsbefugnisse von Verkehrsdaten auf das für eine effektive Strafverfolgung unabdingbar erforderliche Maß zu beschränken, und auf der anderen Seite die Rechte unbeteiligter Dritter, die von einer solchen Datenabfrage betroffen sein können, besser zu schützen.
Richter darf bei schweren Straftaten Herausgabe der Verkehrsdaten anordnen
Aus technischer Sicht beruht die Funkzellenabfrage darauf, dass jedes Mobiltelefon zur ständigen Erreichbarkeit im Netz immer eine Verbindung zur nächsterreichbaren Funkzelle herstellen muss. Ein eingeschaltetes Handy loggt sich deshalb bei der in der Nähe liegenden freien Funkzelle mit eigener "Cell-ID" automatisch ein. Dies wird vom Provider registriert und kurzzeitig gespeichert. Umgekehrt sendet die Basisstation des Netzes ihre Cell-ID als eindeutige Nummer an das Handy.
In § 100g Abs. 2 Satz 2 StPO ist deshalb als Eingriffsbefugnis für die Ermittlungsbehörden zur Zeit vorgesehen, dass im Fall einer Straftat von erheblicher Bedeutung der jeweilige Telekommunikationsanbieter vom Ermittlungsrichter zur Herausgabe dieser am jeweiligen Sendemast erhobenen Verkehrsdaten verpflichtet werden kann, um aus diesen Daten das Mobiltelefon eines Täters, etwa bei einem Bankraub zu ermitteln.
Von einer solchen Funkzellenabfrage werden aber zunächst alle Rufnummern von Mobiltelefonnutzern erfasst, die sich in der jeweiligen konkreten Funkzelle aufgehalten haben. Das kann - je nach Art und Größe der Funkzelle - zu einer erheblichen Streubreite des Eingriffs führen.
Die Funkzellenabfrage ist deshalb bereits nach geltendem Recht in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Zum einen müssen in der Anordnung konkret festgelegte enge zeitlichen Grenzen ("zeitlich hinreichend bestimmt") für eine Datenauskunft festgelegt werden. Zum anderen können sich die zu übermittelnden Daten nur auf eine konkrete Örtlichkeit ("räumlich hinreichend bestimmt") beziehen.
Hinzu kommt eine strenge Subsidiaritätsklausel, die bestimmt, dass eine solche Anordnung nur dann getroffen werden kann, wenn "die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre." Vor einer Anordnung muss daher eine hinreichend gesicherte Tatsachenbasis dafür vorliegen, dass ein Mobiltelefon bei der eigentlichen Tatbegehung während des Auskunftszeitraums benutzt wurde.
Verhältnismäßigkeit begrenzt bereits jetzt Eingriffbefugnisse
Diese engen gesetzlichen Grenzen und der mit einer solchen Maßnahme verbundene hohe personelle und technische Aufwand bei einer Auswertung der erlangten Daten haben dazu geführt, dass die Funkzellenabfrage in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden bereits heute nur in wenigen Verfahren eingesetzt wird.
Mit Blick auf eine im Fall Dresden möglicherweise rechtsfehlerhafte Anwendung der Norm fordert das Eckpunktepapier nun gleich in mehrfacher Hinsicht eine Verengung der bisherigen tatbestandlichen Voraussetzungen durch eine Ergänzung des § 100g Abs. 2 StPO. Dies erscheint jedoch weder erforderlich, noch im Vergleich zu anderen weit intensiveren Eingriffsmaßnahmen geboten.
So sollen zum einen die Anlasstaten für eine Anordnung angehoben werden, und zwar von einer bisherigen Straftat von erheblichen Bedeutung auf Straftaten mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten. Überdies wird eine besondere Hervorhebung der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit entsprechender Begründung gefordert. Tatsächlich wird bereits nach geltendem Recht eine ausreichende Begrenzung des Eingriffs auf das für das Strafverfahren erforderliche Maß erreicht, und zwar mit der bestehenden Subsidiaritätsklausel und der vom Ermittlungsrichter vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im konkreten Einzelfall.
Keine Sonderreglung für Zufallsfunde erforderlich
Zum anderen erscheint es im Vergleich zu anderen Eingriffmaßnahmen systemwidrig, wenn die Staatsanwaltschaft – wie in einer Sonderregelung für § 100g Abs. 2 StPO vorgesehen - bei so genannten Zufallsfunden Daten für andere Verfahren nur nach einer gerichtlichen Entscheidung verwenden darf.
Der Gesetzgeber hat nämlich erst zum 1 Januar 2008 in § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO eine grundsätzlich für alle Eingriffsmaßnahmen geltende allgemeine Verwendungsregelung geschaffen, und damit etwa auch für die in ihrer Eingriffsintensität viel weitergehende Überwachung der Telekommunikation in § 100a StPO. Dieser allgemeinen Regelung zufolge ist eine Datenverwendung in anderen Verfahren nur dann zulässig, wenn auch in diesen Verfahren die ursprünglichen Eingriffsvoraussetzungen für die Datenerhebung hypothetisch vorgelegen hätten. Bereits dadurch wird ein ausreichender Schutz vor einer unkontrollierten Datenweitergabe gewährleistet.
Im Übrigen sind gerichtliche Entscheidungen zur Verwertbarkeit gewonnener Erkenntnisse ohnehin allein vom Tatrichter zu treffen. Abgesehen vom Spezialfall eines massiven Eingriffs in den Kernbereich privater Lebensgestaltung beim "Großen Lauschangriff" in § 100c Abs. 5 StPO bedarf es dabei keiner vorherigen isolierten Prüfung und Entscheidung über die Datenverwendung.
Vor diesem Hintergrund erscheinen deshalb auch im Eckpunktepapier vorgesehene zusätzliche Benachrichtigungspflichten der Betroffenen sowie die Einbindung des Datenschutzbeauftragten nicht geboten. Für die Funkzellenabfrage und auch für alle anderen, teilweise weitaus eingriffsintensiveren verdeckten Grundrechtseingriffe finden sich bereits in § 101 StPO Benachrichtigungspflichten. In ihrem Gesamtgefüge garantieren diese ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Informationsinteressen des Betroffenen und den staatlichen Interessen an einer effektiven Strafverfolgung. Die Regelungen sind also bereits da - entscheidend ist, dass sie richtig und konsequent angewendet werden, damit sich Fälle wie in Dresden künftig nicht mehr wiederholen.
Der Autor Dr. Wolfgang Bär ist Richter am Oberlandesgericht Bamberg.
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Reformvorschläge nach Handydaten-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3758 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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