Ampel will keine Reform der Tötungsdelikte: Der Mord-Para­graf wird nur sprach­lich auf­po­liert

von Hasso Suliak

19.06.2024

Der Anwaltverein mahnt erneut an, den Mord-Straftatbestand zu modernisieren.  Marco Buschmann aber will das Thema nicht anpacken – obwohl es einen früheren BMJ-Referentenentwurf und Ergebnisse einer Expertenkommission gibt.

"Die zwingende Verbindung zwischen der Verwirklichung eines Mordmerkmals und der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wird nahezu einhellig als reformbedürftig erachtet. Dieser so genannte Exklusivitäts-Absolutheits-Mechanismus kann zu im Einzelfall als unbillig empfundenen Ergebnissen führen."

Mit diesen Worten beschrieb das Bundesjustizministerium (BMJ) in einem Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Tötungsdelikte seinerzeit, warum aus Sicht der damaligen Bundesregierung eine Neujustierung der Straftatbestände von Mord und Totschlang erforderlich ist. Wissenschaftliche und praktische Expertise hatte das BMJ damals genug gesammelt: Eine zwei Jahre zuvor eingesetzte, hochkarätig besetzte Expertengruppe hatte fundierte Empfehlungen für eine Reform der Tötungsdelikte abgegeben. Doch passiert ist seitdem nichts.

Weitgehender BMJ-Referentenentwurf von 2016

Damals regierte in Deutschland die Große Koalition, Bundesminister für Justiz war SPD-Mann Heiko Maas. Unter seiner Führung erarbeitete das BMJ im März 2016 einen Referentenentwurf zur Reform der Tötungsdelikte aus, der das Verhältnis von Totschlag und Mord völlig neu ordnen sollte.

Danach sollte der Totschlag, heute in § 212 Strafgesetzbuch (StGB) zu finden, in einem neuen § 211 StGB als Grundtatbestand und Mord künftig als Qualifikation in § 212-E StGB geregelt werden. Außerdem sah der Entwurf vor, die Mordmerkmale neu zu strukturieren, vor allem das Merkmal der Heimtücke. Fälle, in denen etwa die über Jahre von ihrem Mann terrorisierte Ehefrau ihren Mann im Schlaf tötet, sollten so nicht mehr zwingend als Mord verurteilt werden.

Außerdem, so die damalige Einsicht im BMJ, müsse sich der Gesetzgeber auch einmal ehrlich machen und gewissermaßen die Rechtsprechung wieder eingefangen. Schließlich hatte der Bundesgerichtshof (BGH) irgendwann einmal genug von der unflexiblen Rechtslage und sich eine Konstruktion ausgedacht, wie man etwa im Fall der Tyrannenmorde dem Täter das nach dem Gesetz zwingende "lebenslang" ersparen könne.

Die BGH-Rechtsfolgenlösung

Diese kreative BGH-Rechtsfolgenlösung, die jeder Jurastudent spätestens zum Examen lernen muss, sollte 2016 ins Gesetz geschrieben werden. Für bestimmte "Morde" sah der BMJ-Referentenentwurf daher nicht mehr lebenslang, sondern nur noch eine Freiheitsstrafe "nicht unter fünf Jahren" vor, zum Beispiel wenn der Täter "aus Verzweiflung handelt, um sich oder einen ihm nahestehenden Menschen aus einer ausweglos erscheinenden Konfliktlage zu befreien". Auch dann, wenn er "ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem ihm nahestehenden Menschen zugefügte schwere Beleidigung, Misshandlung oder sonstige Rechtsverletzung zum Zorn gereizt oder in eine vergleichbar heftige Gemütsbewegung versetzt und dadurch unmittelbar zur Tat veranlasst worden ist", sollte es kein "lebenslang" mehr sein.

All das ist Schnee von gestern. Der interne Referentenentwurf aus dem BMJ von 2016 ("Bearbeitungsstand: 21.03.2016 17:53 Uhr") wurde nicht weiterverfolgt. Vom Reformeifer beim Thema Tötungsdelikte ist heute im Haus an der Berliner Mohrenstraße kaum etwas übriggeblieben. Obwohl die maßgeblichen Fachleute für den Bereich Strafrecht im BMJ noch dieselben sind wie im Jahr 2016, hat Marco Buschmann im November 2023 lediglich eine sprachliche Überarbeitung der §§ 211 ff. StGB ankündigt.

Paragrafen aus der NS-Zeit

Hintergrund ist, dass die Tötungsdelikte aus dem Jahr 1941 stammen und zwischen zwei Tätermodellen unterscheiden: Mörder und Totschläger. Diese Gesetzesfassung basiert laut BMJ auf der zur NS-Zeit populären Lehre vom "Tätertyp", die bestimmte Tätertypen in den Fokus nimmt. Da die Formulierung nicht mehr zeitgemäß sei, soll eine sprachliche Anpassung vorgenommen werden. Im Referentenentwurf von 2016 war darauf hingewiesen worden, dass die Formulierungen in den §§ 211, 212 StGB auf den Einfluss des damaligen Staatssekretärs im preußischen Justizministerium und späteren NS-Scharfrichter Roland Freisler zurückgeht.

Strafrechtler des Deutschen Anwaltvereins (DAV) halten zwar eine sprachliche Korrektur der Tötungsdelikte ebenfalls für erforderlich, erinnerten das BMJ aber Ende März auch an die Notwendigkeit, den Mord-Straftatbestand auch inhaltlich zu reformieren. "Eine rein sprachliche Bereinigung löst nicht das grundlegende Problem, dass moralisierende Mordmerkmale zwingend mit einer absoluten (Freiheits-)Strafe verknüpft sind", erläutert Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Müssig, Mitglied des DAV-Ausschusses Strafrecht.

DAV-Initiative: Mörder nur, wer "allein verantwortlich" ist

Wie LTO berichtete, schlägt der DAV ein Regelungsmodell vor, das zwischen Mord und Totschlag "sachlich-rechtlich" nach dem Grad der Verantwortung unterscheidet. Ist ein Täter nach rechtlichen Kriterien "allein für die Tat verantwortlich", soll der Vorwurf des Mordes als Qualifikationstatbestand begründet sein. Eine solche alleinige Verantwortung läge beispielsweise bei Hassdelikten oder Femizid vor. Dann gilt weiter: "lebenslang" oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren. Sind hingegen auch entlastende Aspekte gegeben, so soll Totschlag vorliegen.

In einem neuen § 213 StGB sollte nach Willen der DAV-Strafrechtler zudem ein "minder schwerer Fall der Tötung" geregelt werden. Gemeint sind Fälle, in denen das spätere Opfer z.B. durch Gewalt oder Beleidigung den Täter zuvor provoziert hat. Dann soll dem Täter nur eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren drohen.

BMJ lässt DAV abblitzen

Während sogar selbst die Bild-Zeitung über die DAV-Initiative verhältnismäßig wohlwollend berichtete, stößt der DAV im Haus von Marco Buschmann (FDP) damit auf Ablehnung: Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Normen scheine es zwar erwägenswert, die Tötungsdelikte insgesamt zu reformieren, räumt eine Sprecherin gegenüber LTO ein. Aber echten Handlungsbedarf sieht das BMJ so schnell nicht: "Die Rechtsprechung hat überzeugende Wege gefunden, auf Grundlage des geltenden Rechts zu angemessenen Ergebnissen zu gelangen."

Obwohl sich also Fachleute, Kommissionen, etc. schon seit Jahren mit der Reform der Tötungsdelikte intensiv befasst haben, besteht nach Ansicht von Buschmanns Haus weiter Klärungsbedarf. "Bereits die Ergebnisse der Expertengruppe zur Reform der Tötungsdelikte haben gezeigt, dass die Reform der §§ 211 ff. StGB einen hohen Grad an Komplexität aufweist und daher nur mit ausreichend Zeit Diskussionen mit Wissenschaft und Praxis erfolgen kann." Das BMJ, so die Sprecherin, habe sich daher entschieden, die in dieser Legislaturperiode angestrebte Modernisierung des Strafrechts auf eine sprachliche Anpassung der §§ 211 ff. zu beschränken. "Um das Vorhaben insgesamt nicht zu überfrachten", wie es heißt.

Union: Verringerte Strafandrohung ein "fatales Signal für den Rechtsfrieden"

In der Unionsfraktion dürfte Buschmanns Haltung auf Zustimmung stoßen. So lehnt der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Günter Krings, das Aufweichen des Mordtatbestandes oder seiner Rechtsfolgen kategorisch ab. Bei Mord drohe zu Recht die lebenslange Freiheitsstrafe, so der Unionspolitiker. Für völlig verfehlt hält Krings den Vorschlag des DAV, für bestimmte Fälle die Strafandrohung herunterzuschrauben. "Es wäre ein fatales Signal und schädlich für den Rechtsfrieden in unserem Land, wenn ein Mord nach einer Kränkung oder Beleidigung nur noch mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren sanktioniert werden kann. Das menschliche Leben ist das wichtigste Individualrechtsgut, dessen vorsätzliche Verletzung durch andere Personen wir auch hart bestrafen müssen."

Überdies, so Krings, sei es "historisch mindestens unpräzise", § 211 StGB immer als NS-Paragrafen zu bezeichnen. "Die Ursprünge der Formulierung des Mordparagrafen liegen schon bei dem schweizerischen Strafrechtler Carl Stooss (1849-1934)." Richtig sei lediglich, dass wir heute solche Vorschriften nicht mehr im Sinne einer Tätertypen-Lehre formulieren würden. Deshalb komme allenfalls eine semantische Änderung des Wortlauts von § 211 in Betracht.

Nicht überzeugt vom DAV-Konzept zeigt sich auch die AfD im Bundestag. "Es stellt sich die Frage, ob eine gefestigte Rechtsprechung für ein Experimentierfeld aufgegeben werden sollte – gerade in einem Bereich, wo es um die Verfolgung von Delikten gegen das höchste Rechtsgut eines Menschen mit den entsprechenden Sanktionen geht", so Rechtspolitiker Stephan Brandner.

Grüne und Linke auch für inhaltliche Änderung

Bei der SPD hingegen kann man der Initiative des DAV hingegen schon mehr abgewinnen und kündigt an, diese im Rahmen der bevorstehenden Beratungen über eine sprachliche Überarbeitung des § 211 StGB auch diskutieren zu wollen. Der Reformvorschlag des DAV sei ein wichtiger Anstoß, so Sonja Eichwede. Die rechtspolitische Sprecherin der SPD aber will anders als ihr damaliger Parteigenosse Maas am "’lebenslang’ nicht rütteln. "Der Mord ist als schwerstes Verbrechen mit der zwingenden lebenslangen Freiheitsstrafe belegt. Das halte ich dem Grunde nach für richtig. Das unterstreicht die Bedeutung des Tötungstabus in unserer Gesellschaft”, so Eichwede gegenüber LTO.

Offener zeigt man sich indes bei den Grünen: Die geltende Systematik der Tötungsdelikte habe in der Praxis erhebliche Schwächen, die zu beheben seien, fordert Canan Bayram, Obfrau im Rechtsausschuss und Berichterstatterin für das Strafrecht in ihrer Fraktion. Insbesondere der Tatbestand des Mordes mit seinen Mordmerkmalen werfe Fragen auf.

Die deutlichste Unterstützung erfährt der DAV von der Linken. "Wenn man sich vom NS-Recht verabschieden will und das ernst meint, darf es nicht bei einer sprachlichen Glättung bleiben. Ich unterstütze daher die Forderung des DAV, die Tatbestände Mord und Totschlag von Grund auf neu zu justieren", erklärte die rechtspolitische Sprecherin der Gruppe im Bundestag, Clara Bünger gegenüber LTO. Das Konzept des DAV sei eine gute Grundlage für die weitere Diskussion. Vom Bundesjustizminister erwartet Bünger, "dass er zeitnah einen Vorschlag macht".

Einen solchen wird Marco Buschmann wohl in Kürze präsentieren. "Wir sind zuversichtlich, dass wir zeitnah den Referentenentwurf vorlegen können", erklärt seine Sprecherin. Immerhin der NS-Duktus dürfte dann aus dem aktuellen Mord-Paragrafen verschwinden.

Zitiervorschlag

Ampel will keine Reform der Tötungsdelikte: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54811 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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