2/2: Angst vor der Zuwanderung in die Sozialsysteme
Nicht wesentlich besser gelungen ist die Einführung eines neuen alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechts, das den in Deutschland lebenden geduldeten Menschen eine Perspektive eröffnen könnte. Der Referentenentwurf verfolgt dabei ausdrücklich einen restriktiven Ansatz. Der neue § 25b AufenthG gewährt geduldeten Ausländern eine Aufenthaltserlaubnis nämlich nur bei einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik.
Die Voraussetzungen dafür sind hoch, wohl zu hoch. Im Regelfall wird ein achtjähriger Aufenthalt verlangt und natürlich muss der Ausländer seinen Lebensunterhalt überwiegend durch eine eigene Erwerbstätigkeit sichern können. Da ist er, der warnende Hinweis, einer Zuwanderung in die Sozialsysteme nicht Tür und Tor zu öffnen.
Eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik heißt also vorrangig wirtschaftliche Integration. Das ist reiner Populismus. Ein humanitäres Bleiberecht für Menschen, die über viele Jahre in der Unsicherheit befristeter Duldungen lebten, was ihre Integration gewiss nicht einfach gemacht hat, sollte auf solch hohe Hürden aber verzichten.
Ausweisung: Abwägung zwischen Ausweisungs- und Bleibeinteresse
Mit den Änderungen im 5. Kapitel des AufenthaltsG – Beendigung des Aufenthalts – wird die Modernisierung des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts bezweckt, heißt es zunächst. Doch dann wird der Entwurf doch noch ehrlich: Die Regelungen zielen auf eine schnellere Beendigung des Aufenthalts von Ausländern ab, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Aufenthaltsrecht zusteht. Der stark gestiegene Verwaltungsaufwand bei den Behörden soll auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden. Zudem – das darf erneut als populistischer Hinweis nicht fehlen – gilt es, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verringern.
Eine erhebliche Änderung erfahren die §§ 53 ff. AufenthG. Das heutige dreistufige Ausweisungssystem (zwingende Ausweisung, Ausweisung im Regelfall und Ermessensausweisung) wird ersetzt durch ein Ausweisungsrecht, bei dem in jedem Einzelfall das öffentliche Ausweisungsinteresse mit dem privaten Bleibeinteresse abgewogen werden muss. Diesen Vorschlag hatten bereits zwei Verwaltungsrichter gemacht. Erleichtert werden soll damit die Ausweisung von Ausländern, die gravierende Rechtsverstöße begangen haben, von denen eine Gefahr für die Sicherheit oder freiheitliche Grundordnung ausgeht oder die in terroristische oder extremistische Strukturen eingebunden sind. Das Innenministerium zieht sich in der Entwurfsbegründung darauf zurück, dass es damit lediglich die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Ausweisungsschutz umsetze.
In § 54 werden die Umstände aufgezählt, die das öffentliche Ausweisungsinteresse begründen, wobei zwischen einem besonders schweren Interesse (Abs. 1) und einem schweren Interesse (Abs. 2) unterschieden wird. Dabei gilt bereits jede rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt ist, als ein besonders schweres Ausweisungsinteresse. Das ist eine Verschärfung gegenüber dem geltenden Recht und entspricht damit dem Motiv des Referentenentwurfs, die Ausweisung von Ausländern zu erleichtern.
§ 55 benennt den Gegenpol zu § 54 AufenthG – das Bleibeinteresse des Ausländers. Auch dort findet sich die Unterscheidung zwischen einem besonders schweren (Abs. 1) und einem schweren (Abs. 2) privaten Bleibeinteresse. Es besteht die Gefahr einer sehr schematischen Anwendung, wenn es im Referentenentwurf heißt, dass einem besonders schwer wiegenden öffentlichen Ausweisungsinteresse zum Ausgleich mindestens ein besonders schwer wiegendes privates Bleibeinteresse oder eine Kumulation schwer wiegender privater Interessen gegenüber stehen muss.
Nur Gast, nicht Mitbürger
Zu begrüßen ist dagegen die beabsichtigte kleine Verbesserung des Aufenthaltsrechts für Opfer des Menschenhandels, § 25 Abs. 4a S. 3 AufenthG n.F. Von besonderer Bedeutung ist gewiss auch die Normierung des Programms zur Neuansiedlung von Flüchtlingen (Resettlement-Programm) in § 23 Abs. 4 AufenthG n.F.
Dennoch spricht aus dem Referentenentwurf eine auf Abschottung und Repression gerichtete Migrations- und Flüchtlingspolitik. So wird etwa von einem Ausländer gesprochen, der im Fall einer Verurteilung zu einer Strafe ohne Bewährung manifestiere, dass er nicht Willens sei, konform mit den deutschen Gesetzen zu leben und somit seinen Status als Gast in der Bundesrepublik missbraucht habe.
Mag der betroffene Ausländer ein noch so schwer wiegendes Bleibeinteresse haben, er ist doch nur Gast und nicht Mitbürger. Diese Sichtweise widerspricht jeder mitmenschlichen Integrationskultur und ist als Signal peinlich für eine Gesetzesbegründung.
Der Autor Dr. Joachim Kretschmer ist Privatdozent und Rechtsanwalt in Berlin. Neben vielen Bereichen des Straf- und Strafprozessrechts beschäftigt er sich auch mit dem Ausländerstrafrecht.
Joachim Kretschmer, Reform des Aufenthaltsrechts: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11967 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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