Referentenentwurf zur Einführung der Musterfeststellungsklage: Einer klagt für alle

von Benedikt Windau

19.12.2016

2/2: Keine Nebenintervention der Betroffenen

Das Musterfeststellungsverfahren selbst soll sich weitestgehend nach den allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften richten. Ausdrücklich ausgeschlossen wird aber eine Beteiligung der Anmelder am Musterfeststellungsverfahren; diese können zwar als Zeugen vernommen werden, nicht aber als Nebenintervenienten auftreten, auch kann ihnen nicht der Streit verkündet werden.

Die Besonderheit der Musterfeststellungsklage ergibt sich aus der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils: Ein später zur Entscheidung über eine Leistungsklage berufenes Gericht soll an die Feststellungen tatsächlicher wie rechtlicher Art gebunden sein, wenn sich die Anmelder – nicht aber die beklagte Partei – auf das Musterfeststellungsurteil berufen.

Ausführlich regelt der Entwurf in Anlehnung an §§ 17 bis 19 KapMuG den Abschluss eines Vergleichs im Musterfeststellungsverfahren. Der Vergleich soll Bestimmungen über die auf die Anmelder entfallenden Leistungen und deren Fälligkeit sowie die Modalitäten des Nachweises der Berechtigung enthalten. Zudem soll der Vergleich nicht nur der Feststellung nach § 278 Abs. 6 ZPO, sondern auch der Genehmigung durch das Gericht bedürfen. Diese Genehmigung soll davon abhängen, dass das Gericht den Vergleich "unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes … als angemessene gütliche Beilegung der angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse erachtet". Zum Schutz der Anmelder wird diesen das Recht eingeräumt, innerhalb einer Frist von einem Monat ihren "Austritt aus dem Vergleich" zu erklären; erklären mehr als 30 Prozent der Anmelder ihren Austritt, wird der Vergleich unwirksam.

Geschädigte VW-Kunden werden von dem Gesetz außerdem wohl nicht profitieren: Das Gesetz soll erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten, da es einer Aufbauphase für das elektronische Klageregister sowie der Bereitstellung von Haushaltsmitteln bedürfe.

Klageindustrie nicht zu befürchten

Die Klagebefugnis in die Hände bestimmter Verbände zu legen, ist ein sehr sinnvoller Ansatz, um das rationale Desinteresse der Betroffenen – dass sich aufgrund des geringen Streitwerts ein Gang zum Gericht nicht zu lohnen scheint – zu überwinden, ohne einer "Klageindustrie" den Weg zu ebnen. So ist beispielsweise Frankreich mit der "action de groupe" 2014 einen ähnlichen Weg gegangen, ohne dass Auswüchse bekannt geworden wären. Zu begrüßen ist auch, dass die Möglichkeiten des Gesetzes nicht nur Verbrauchern, sondern ausdrücklich auch anderen Wirtschaftsteilnehmern offen stehen sollen.

Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen des sog. Telekom-Prozesses sollte aber nicht aus den Augen geraten, dass eine "zügige Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen" - wie es der Entwurf nennt- auch maßgeblich davon abhängt, dass eine zügige und möglichst gütliche Erledigung auch für die Beklagten attraktiv ist. Durch die Teilung in das Musterfeststellungsverfahren und einen nachfolgende Individualprozesse, in denen die Beklagten einzelfallbezogene Einwendungen erheben können, bleibt im Gegensatz zu "echten Sammelklagen" auf Beklagtenseite ein gewisses Obstruktions- und Verzögerungspotential.

Förderung des Verfahrens für Beklagte uninteressant

Davon Abstand zu nehmen und auf eine zeitnahe Beendigung hinzuwirken, wird für die Beklagten nur dann attraktiv sein, wenn sie das Verfahren relativ frühzeitig durch einen Vergleich beenden und damit Planungssicherheit schaffen können. Der Abschluss eines Vergleichs wird aber dadurch wesentlich erschwert, dass die Anmelder – trotz der gerichtlichen Billigung – aus dem Vergleich austreten können und damit nicht alle Beteiligten "am Verhandlungstisch" sitzen.

Ohne die Möglichkeit eines Vergleichsschlusses ist es für die Beklagten aber uninteressant, das Verfahren zu fördern. Denn selbst eine Abweisung der Musterklage wäre für sie nicht von Nutzen, weil sie sich in Folgeprozessen darauf nicht berufen können. Kommt es nicht zu einem Vergleichsschluss dürfte es für die Beklagten nach dem vorliegenden Entwurf durchaus attraktiv sein, "auf Zeit zu spielen" und auf das "rationale Desinteresse" der Betroffenen zu setzen.

Beide genannten Einschränkungen werden mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) begründet; schließlich seien die Anmelder nicht am Musterfeststellungverfahren beteiligt. Dabei wird aber nicht hinreichend berücksichtigt, dass niemand gezwungen ist, seine Forderung im Prozessregister anzumelden und damit von den Ergebnissen der Musterklage zu profitieren; neben der Musterfeststellungsklage bleiben individuelle Klagen Betroffener ausdrücklich weiter zulässig. Die Anmeldung soll vielmehr gerade denjenigen eine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnen, die anderenfalls durch ihr "rationales Desinteresse" von einer gerichtlichen Geltendmachung abgehalten werden - der Entwurf geht in der Berechnung der Kosten von einem Medianstreitwert von 600 Euro aus.

Es erschiene daher interessengerecht, den von einer Anmeldung Profitierenden auch an den damit einhergehenden Risiken zu beteiligen und an einem gerichtlich gebilligten Vergleich festzuhalten. Zudem sollte die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils in einem Folgeprozess zweckmäßigerweise davon abhängen, dass sich eine der Parteien darauf beruft.

Benedikt Windau ist Richter am Amtsgericht Cloppenburg und schreibt unter www.zpoblog.de über aktuelle zivilprozessuale Themen.

Zitiervorschlag

Referentenentwurf zur Einführung der Musterfeststellungsklage: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21431 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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