Der Einsatz von Vertrauenspersonen und der Umgang mit der Tatprovokation soll erstmals im Gesetz geregelt werden – aber nicht so streng wie ursprünglich geplant. Bei der Anwaltschaft stößt der Entwurf grundsätzlich auf Zustimmung.
Bei schweren Straftaten kommen immer wieder Ermittlungsmaßnahmen wie aus dem Sonntagabend-Krimi zum Einsatz: Verdeckte Ermittler und Vertrauenspersonen (V-Leute) klären auf und mithilfe von Lockspitzeln werden Kriminelle überführt. Die gesetzlichen Regeln für diese drei Bereiche sollen nun reformiert bzw. überhaupt erst geschaffen werden. Am Dienstag veröffentlichte das Bundesministerium für Justiz (BMJ) einen Referentenentwurf. Dieser wurde nun Verbänden und Bundesländern zur Prüfung zugeleitet.
Als Grund für die Reform führt das BMJ u.a. den Fall Murat Cem (Deckname) an. Dieser hatte als V-Mann fast 20 Jahre für die Strafverfolgungsbehörden gearbeitet und dabei diverse Straftaten begangen. Der Fall ist indes nur einer von vielen, die den Reformbedarf deutlich machen. Vor allem Anwaltsverbände hatten immer wieder rechtsstaatliche Regeln angemahnt.
Der Unterschied zwischen verdeckten Ermittlern und V-Leuten ist, dass verdeckte Ermittler Polizisten sind, die "undercover" ermitteln. V-Leute hingegen sind - so definiert es der BMJ-Entwurf - Personen, "die keiner Strafverfolgungsbehörde angehören und vertraulich eine Strafverfolgungsbehörde in der Regel auf längere Zeit bei der Aufklärung von Straftaten unter Führung der Strafverfolgungsbehörde unterstützen und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird." Vereinfacht gesagt handelt es sich um Milieu-Angehörige, die ihr Umfeld gegen Geld bespitzeln.
Explizite Regelung für V-Leute
Für die Bespitzelten liegt darin ein erheblicher Grundrechtseingriff. Das stellte auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Kontext des BKA-Gesetzes fest (Urt. v. 20.04.2016, Az. 1 BvR 966/09). Gleichwohl ist der Einsatz von V-Leuten durch die Strafverfolgungsbehörden bisher in der Strafprozessordnung (StPO) nicht explizit geregelt. Gestützt wird er aktuell auf die allgemeine Ermittlungsgeneralklausel in § 163 Abs. 1 S. 2 StPO, die "Ermittlungen jeder Art" erlaubt.
Der nunmehr vorgelegte Entwurf sieht in einem neu gefassten § 110b StPO vor, dass V-Leute künftig nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Anordnung durch ein Gericht eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll es klare Vorgaben zur Rekrutierung von V-Leuten geben: Wer beispielsweise von den Zuwendungen, die er als V-Person bekommt, lebt, kommt nicht für die Arbeit als Spitzel in Frage.
Im Vergleich zum ersten BMJ-Entwurf von Juli 2023, fällt auf, dass eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung nun kein Ausschlusskriterium mehr für die Rekrutierung als V-Person ist Kritiker hatten damals befürchtet, dass die Regelung eine effektive Strafverfolgung behindern könnte. Besonders "schwergewichtige" Kriminelle hätten die Ermittler dann wegen ihrer Vorstrafen gar nicht mehr anwerben dürfen. Hier scheint sich das Bundesinnenministerium durchgesetzt zu haben. Mit dem Haus von Nancy Faeser (SPD) hat das BMJ in den letzten Monaten den Referentenentwurf festgezurrt.
Innenpolitiker entschärfen Entwurf
Durchgesetzt haben sich die Innenpolitiker wohl auch an anderer Stelle: Im ursprünglichen Entwurf war der Einsatz einer V-Person noch auf maximal fünf Jahre begrenzt worden. Die neueste Regelung ist großzügiger: Eine Person soll nicht als Vertrauensperson eingesetzt werden, wenn "ihre kumulative aktive Einsatzzeit als Vertrauensperson insgesamt mehr als zehn Jahre beträgt". Hintergrund der Befristung ist, dass zu enge Verflechtungen zwischen Polizei und V-Leuten verhindert werden sollen. Ob dieses Ziel noch erreicht wird, wenn sich die Zusammenarbeit über ein Jahrzehnt erstreckt, ist fraglich.
Bei den Regeln für verdeckte Ermittler zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier will die Bundesregierung den Einsatz nicht mehr so stark beschränken, wie noch im Sommer geplant. Nach aktueller Gesetzeslage ist gemäß §110b Abs. 1 StPO nur die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Das soll laut dem Entwurf von Dienstag auch so bleiben. Die zwischenzeitlich geplante Verschärfung hin zu einem Richtervorbehalt wurde gestrichen.
Innenpolitiker der SPD wie z.B. der Abgeordnete und gelernte Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler hatten von Anfang an davor gewarnt, den Einsatz von V-Leuten künftig zu erschweren: Er werde den Gesetzentwurf daran messen, ob er der Polizei gute Ermittlungsmaßnahmen ermögliche, sagte Fiedler seinerzeit der taz. "Insbesondere die riesigen Bedrohungen durch die Organisierte Kriminalität erlauben es nicht, dass die Polizei hier ins Hintertreffen gerät." Die Polizei sei auf V-Personen, verdeckte Ermittler, Onlinedurchsuchungen oder das Abhören von Kommunikation, verschlüsselt und unverschlüsselt, angewiesen. "Davon hängt unser aller Sicherheit mit ab. Plänen, rechtliche Hürden höher zu setzen als es die Verfassung gebietet, würde ich mich vehement entgegenstellen", so Fiedler.
Die Tatprovokation bleibt erlaubt
V-Leute und verdeckte Ermittler haben enge Kontakte zu den Zielpersonen der Ermittlungsbehörden. Entsprechend stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit V-Leute für die Polizei andere mutmaßliche Kriminelle zu Beweiszwecken zu Taten verleiten dürfen. Der aktuelle Entwurf definiert als Voraussetzung, "dass der Beschuldigte generell zur Begehung von Taten dieser Art bereit ist und das Verleiten ohne erhebliches Einwirken auf ihn erfolgt. Die Tat, zu der der Beschuldigte verleitet werden soll, muss nach Art und Schwere in einem angemessenen Verhältnis zur Tat stehen, derer der Beschuldigte verdächtigt wird." Die Tatprovokation soll also explizit geregelt, aber nicht grundsätzlich verboten werden.
Der Handlungsspielraum der Lockspitzel endet dabei aber an der Grenze der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation. In diesem Fall ist eine Ahndung der Tat gegenüber dem Provozierten ausgeschlossen, so der geplante §110c Abs.3 StPO. Der Gesetzgeber würde damit der Forderung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und des Deutschen Anwaltvereins (DAV) nachkommen. Es wäre nämlich dann im Gesetz klargestellt, dass die rechtsstaatswidrige Tatprovokation ein Verfahrenshindernis ist. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich zwar bereits 2015 von der damals in diesem Kontext praktizierten, sogenannten Strafzumessungslösung, bei der die Strafe nur gemildert wird, abgewandt. Im Jahr 2020 wurde Deutschland aber erneut vom Europäischen Gerichthof für Menschenrechte (EGMR) wegen eines Verstoßes gegen den Fair-Trial Grundsatz verurteilt. Der Grund: Der BGH hatte eine Verurteilung wegen Drogenhandels bestätigt, obwohl die Männer rechtsstaatswidrig zu den Taten provoziert wurden.
Wann ist eine Tatprovokation rechtsstaatswidrig?
Laut dem Referentenentwurf gilt nunmehr eine Tatprovokation als rechtsstaatswidrig, "wenn ein Verdeckter Ermittler oder eine Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise erheblich auf eine Person einwirkt, um ihre Tatbereitschaft zu wecken oder ihre Tatplanung wesentlich zu intensivieren". Diese Formulierung deckt sich mit der aktuellen Rechtsprechung.
Grundsätzlich dürfen danach beispielsweise verdeckte Ermittler im Drogenmilieu weiter als Scheinkäufer auftreten, um Dealer auf frischer Tat festnehmen zu können. Die Rechtsprechung verlangt aber, dass die Dealer bereits "tatgeneigt" sein müssen und dass der Lockspitzel keinen Druck ausübt.
Wenn ein Klein-Dealer also von einem Lockspitzel angestiftet wird, größere Drogen-Mengen zu besorgen, ist dies als "Aufstiftung" problematisch, so der BGH (Urt. v. 16. 12. 2021, Az. 1 StR 197/21). Diese Differenzierung wird nur auch im Gesetzesentwurf abgebildet.
Positive Signale aus der Anwaltschaft
In einer ersten Einschätzung reagierte die Anwaltschaft im Grundsatz positiv auf den Entwurf: Auch wenn der Gesetzesentwurf "stellenweise" nicht weit genug in die richtige Richtung gehe und Probleme aus der Rechtspraxis zum Teil weiter ungelöst lasse, wie Rechtsanwalt Dr. Nikolaos Gazeas, Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins DAV gegenüber LTO erläuterte. "Insgesamt verbessert er jedoch die Situation des Beschuldigten und Angeklagten und gleicht das klaffende Unrecht in der gegenwärtigen Praxis spürbar aus", so Gazeas.
Dem Anwalt zufolge sind gesetzliche Regelungen längst überfällig, "wenn man sich vor Augen führt, dass die Überlegungen zu dem Thema im Jahr 1974 begannen und schon damals als längst fällige Diskussion bezeichnet wurden". Der aktuelle Zustand ist laut Gazeas eines Rechtsstaats unwürdig. "Der Einsatz von V-Personen kann zu den eingriffsintensivsten Mitteln des Staates zählen, eine gesetzliche Regelung ist daher schon verfassungsrechtlich zwingend. Das Gesetz wird für mehr Rechtssicherheit sorgen und letztlich auch die Akzeptanz für den Einsatz von Vertrauenspersonen erhöhen."
Gazeas begrüßte explizit die geplante Regelung zum grundsätzlichen Verbot der Tatprovokation. Sie spiegele die durch die Rechtsprechung des EGMR und des BGH gezogenen Grenzen der unzulässigen Tatprovokation zutreffend wider.
BRAK: "Tatprovokation strenger regeln"
Grundsätzliche Zustimmung zu dem Entwurf signalisierte auch die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK): "Der Gesetzesentwurf setzt langjährige Forderungen der Anwaltschaft nach klareren verfassungs- und europarechtskonformen Regelungen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen um und wird daher grundsätzlich begrüßt", so der Vorsitzende des BRAK-StPO-Ausschusses, Prof. Christoph Knauer gegenüber LTO. "Dies gilt ganz besonders für die beabsichtigte Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation und die vorgeschlagene Regelung eines Verfahrenshindernisses § 110c Abs. 3 StPO-E."
Allerdings verwies Knauer darauf, dass die materiellen Anforderungen an die zulässige Tatprovokation noch nicht streng genug geregelt seien. Sie sollten sich strikter an den Anforderungen von BVerfG und EGMR orientieren. "Etwa muss der verdächtige Beschuldigte nach der Rechtsprechung des EGMR zur Begehung einer konkreten Tat entschlossen sein und nicht nur, wie es der Entwurf vorsieht, 'generell zur Begehung von Taten dieser Art bereit' sein." Zudem müsse die Einwirkung auch im angemessenen Verhältnis nicht nur zur Tat, sondern auch zu dem Tatverdacht stehen und diesem gegenüber nicht unvertretbar übergewichtig sein. Das neu geregelte Verfahrenshindernis bei der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation müsse sich auch auf an der provozierten Tat beteiligte Dritte erstrecken, forderte Knauer.
Die Verbände haben jetzt bis zum 26.Januar Zeit, um dem BMJ ihre Anregungen und Bedenken zu erläutern.
BMJ legt Referentenentwurf vor: . In: Legal Tribune Online, 20.12.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53469 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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