Bereits acht Verdächtige konnte die Polizei Hannover mit Hilfe von Fahndungsaufrufen in Sozialen Netzwerken dingfest machen. Nun gibt es Pläne, Ermittlungen im Web bundesweit auszudehnen. Datenschützer zeigen sich darüber besorgt. Wann Polizeiarbeit via Facebook erlaubt ist und welche Risiken und Nebenwirkungen die Kommentar-Funktion birgt, erläutert Alexander Seidl.
"Halb Deutschland ist Mitglied in Sozialen Netzwerken". So kann pointiert das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Studie zusammengefasst werden. Dass Facebook und Co. bereits in solchem Maß zum festen Bestandteil von Alltag und Gesellschaft geworden sind, ist für Ermittlungs- und Fahndungszwecke der Polizei von hohem taktischen Nutzen.
Die Ermittler sehen in Sozialen Netzwerken insbesondere die Chance, Zielgruppen anzusprechen, die sie über klassische Medien, wie zum Beispiel Tageszeitungen, nicht erreichen können. Die Polizeidirektion Hannover macht sich dies seit März 2011 in einem Modellversuch zu Nutze, indem sie die Facebook-Seite "Polizei Hannover" betreibt. Auf der Pinnwand veröffentlicht sie regelmäßig Fahndungsaufrufe mit kurzer Sachverhaltsschilderung und Täterbeschreibung. Häufig ist auch ein Foto des Täters oder ein Phantombild zu sehen.
Schlagzeilen machte unlängst auch die Frankfurter Kriminalpolizei, die nach dem durch eine Schlägerei mit Türstehern verursachten Tod eines Discobesuchers die Seite "Kriminalpolizei Frankfurt Fahndung" bei Facebook anlegte. Dort stellte sie mehrere Überwachungsvideos des Techno-Clubs der Netzgemeinde zur Verfügung, um mit deren Hilfe Zeugen zu identifizieren.
Öffentlichkeitsfahndung nur in speziellen Fällen zulässig
Wichtig für den Erfolg dieser Fahndungsmaßnahme ist eine Funktion, mit der Facebook-Nutzer die Fahndungsaufrufe in das eigene Profil kopieren können ("teilen"). Die Freunde sehen den Beitrag in ihren Benachrichtigungen und können ihn dann wiederum selbst teilen. Durch diesen viralen Effekt werden binnen kürzester Zeit hunderttausende User auf die Meldung aufmerksam.
Das Internet als modernes Mittel der Öffentlichkeitsfahndung hat allerdings nicht nur Befürworter. Insbesondere Datenschützer weisen auf Risiken durch das Veröffentlichen persönlicher Daten hin. Dabei ist die Fahndung mit Hilfe von Massenmedien keineswegs juristisches Neuland.
Die Strafverfolgungsbehörden sind nämlich gehalten, alle gesetzlich zulässigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur Aufklärung von Straftaten beitragen. So haben sie insbesondere die Möglichkeit, Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet wegen ihrer Breitenwirkung in die Fahndung mit einzubeziehen. Verbreitet die Polizei Informationen gezielt über die Massenmedien, stellt dies stets eine so genannte Öffentlichkeitsfahndung dar.
Diese Fahndungsmethode wendet sich an einen unbestimmten Kreis von Personen, die nicht durch persönliche Beziehungen miteinander verbunden sind. Dadurch greift sie allerdings immer auch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des mutmaßlichen Täters ein und ist deshalb nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
Die Rechtsgrundlage für die repressive, strafverfolgende Öffentlichkeitsfahndung findet sich in der Strafprozessordnung (StPO). Sie kommt vor allem dann in Betracht, wenn die Polizei nach einer bekannten Person sucht, die einer Straftat von erheblicher Bedeutung dringend verdächtig ist.
Ein Dorn im Auge der Datenschützer
Aber auch bei der Fahndung nach einem unbekannten Tatverdächtigen oder Zeugen können die Ermittlungsbehörden auf die Hilfe der Medien und des Internets zurückgreifen. In diesen Fällen der Identitäts- und Aufklärungsfahndung ist schon ein einfacher Tatverdacht hinsichtlich einer schweren Straftat ausreichend. Allerdings muss – außer bei Gefahr im Verzug – ein Richter das Vorhaben genehmigen.
Bei einer derartigen Tätersuche muss die Aufklärung der Straftat auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert sein, bei der Zeugensuche hingegen muss die Fahndung auf andere Weise sogar aussichtslos oder wesentlich erschwert sein.
Ebenfalls möglich ist eine präventive, der Gefahrenabwehr dienende Öffentlichkeitsfahndung. In den verschiedenen Landespolizeigesetzen ist geregelt, dass die Polizei insbesondere zur Verhütung erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl eine Öffentlichkeitsfahndung durchführen kann. Hier kommen vor allem die Vermisstensuche und die Warnung vor entflohenen Gewalttätern in Betracht.
Trotz der nachweislichen Erfolge ist es Datenschützern und Bürgerrechtlern aber ein Dorn im Auge, dass Kommissar Facebook im Internet nach Verdächtigten fahndet. So wirft das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) in Schleswig-Holstein Facebook seit geraumer Zeit vor, gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht zu verstoßen. Es sei daher höchst widersprüchlich, dass Polizeibehörden mit einem Unternehmen zusammenarbeiten, das sich nicht an zwingende Datenschutzbestimmungen hält.
Risiko Kommentarfunktion
Andere Datenschützer sehen die Risiken insbesondere in der Verwendung der "Kommentar"-Funktion. Hinweise von Nutzern könnten personenbezogene Informationen enthalten, die jedermann lesen kann. Dadurch sind datenschutzrechtliche Belange Dritter betroffen. Die Polizei Hannover weist deshalb ausdrücklich darauf hin, für Zeugenhinweise nicht die Kommentarfunktion zu benutzen, sondern sich telefonisch an die Polizei zu wenden. Dass sich alle User daran halten, ist allerdings unwahrscheinlich.
Darüber hinaus ist vor einer bundesweiten Ausdehnung dieser Maßnahmen zu bedenken, dass bei allzu häufiger Inanspruchnahme der Massenmedien das Interesse und die Bereitschaft der Öffentlichkeit erlahmen werden, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken. Allein schon aus diesem Grund sollte die Fahndung mit Hilfe sozialer Netzwerke auf herausragende Fälle beschränkt werden. Dann kann Kommissar Facebook ohne Bedenken auch weiter Fahndungserfolge feiern.
Der Autor Alexander Seidl ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht (Prof. Dr. Dirk Heckmann) an der Universität Passau.
Alexander Seidl, Polizeiarbeit 2.0: . In: Legal Tribune Online, 09.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5259 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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