Durfte die Uni Bonn einer prominenten Politikerin den Doktorgrad entziehen oder nicht? Die verwickelte Geschichte im Spannungsfeld von Promotion und Prominenz, Wahrheit und Wirklichkeit beleuchtet Hermann Horstkotte.
Der Aufwand erscheint rekordverdächtig: Seit mehr als einem Vierteljahrhundert streitet die Uni Bonn mit der Politologin Mathiopoulos über ihre Dissertation von 1986. Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in Münster zwar bestätigt, dass die Bonner Uni Mathiopoulos den Doktortitel vor drei Jahren zu Recht aberkannt hat (Urt. v. 10.12.2015, Az. 19 A 254/13).
Die prominente Politik- und Unternehmensberaterin kann und wird aber dagegen in Revision gehen. Dann muss das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entscheiden, ob die Philosophische Fakultät ihr den Doktorgrad wegen Plagiats entziehen durfte.
Im juristischen Kern geht es nach dem Richterspruch letztlich um zwei noch strittige Fragen: Ob es verfassungsgemäß ist, dass die Kriterien für einen Entzug des Doktorgrades nicht gesetzlich geregelt, sondern einfach der Promotionsordnung der Uni überlassen sind; und ob eine erste Überprüfung von Plagiatsvorwürfen für alle Zukunft bindend ist oder später ins Gegenteil verkehrt werden kann. Dabei geht es nicht zuletzt um den Vertrauensschutz für den Prüfling.
Im Schatten von Guttenberg
Vor vierzehn Jahren hatte die Uni Mathiopoulos nämlich schriftlich mitgeteilt, dass "für die Philosophische Fakultät kein Anlass besteht, gegen Sie wegen des Vorwurfs der Täuschung einzuschreiten." Damals waren schon in Buchbesprechungen Plagiatsvorwürfe erhoben worden. Ohne plagiierte Textpassagen im einzelnen aufzulisten, monierten auch die Bonner Professoren eine kritikwürdige Zitierweise als "durchgängiges" Kennzeichen der Doktorarbeit; eine angebotenen Nachbesserung hielten sie freilich für ganz unnötig.
Aber auf einmal erschien alles ganz anders, als das Vroniplag Wiki 2011 im Internet einen großen Haufen angeblicher Plagiatsstellen dokumentierte. Schon durch den Fall Guttenberg war die Stimmung in der breiten Öffentlichkeit derzeit aufgeheizt oder verdorben. In der Situation widerrief die Bonner Fakultät den Doktortitel.
Sie setzte sich damit über eine Minderheitsmeinung im Kollegenkreis hinweg, wonach der "Freispruch" von '91 vielleicht eine problematische Ermessensentscheidung, trotzdem aber ein bindender Verwaltungsakt war. Die nachgelieferte Erbsenzählerei stelle keinen neuen Sachverhalt gegenüber den damaligen Feststellungen über die "durchgängigen" Zitierfehler dar. Das sehen natürlich auch Mathiopoulos´ Anwälte so.
Schon in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht (VG) Köln, dem jetzt das OVG folgte, schlugen die Wellen plötzlich hoch. Der Rechtsvertreter der Uni, selbst Bonner Professor, erblickte in der Arbeitsweise der Doktorandin eine "Charakterschwäche" und warf der ´91er Kommission unmissverständlich vor, "den Täuschungsvorsatz unter willkürlicher Bewertung der bekannten Zitierfehler verneint" zu haben – noch schärfer geht´s kaum, Willkür ist ja strafwürdiges Amtshandeln.
Auf glattem Bonner Parkett
Das Hü und Hott im Falle Mathiopoulos lässt sich offenbar nur historisch erklären, mit einem realistischen Wissenschaftsbegriff, der die Hochschule nicht als Isolierstation versteht, sondern stets mit den Einflüssen aus dem sozialen Umfeld rechnet.
Die Vorzeige-Migrantin Mathiopoulos war schon zur Schulzeit ein Promi in der "Bundeshauptstadt" Bonn, ihr Vater ein griechischer Exil-Journalist und die Familie befreundet mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt. Als die Plagiatsvorwürfe aufkamen, war die Philosophische Fakultät zudem mit einem weiteren Fall dieser Art belastet, der Dissertation einer Fachphilosophin, die mittlerweile längst Professorin in Köln geworden war. Allein schon weil wir die davonkommen ließen, sagen damals Beteiligte heute, wäre es vergleichsweise schwer gewesen, Mathiopoulos wegen ihrer Zitierfehler zu hängen.
Vielmehr wurde die Politikwissenschaftlerin mit Berufung auf ihre Dissertation, weitere Veröffentlichungen und ihre "Vernetzung" in der internationalen Fachwelt 1995 und 2002 Honorarprofessorin an den Unis in Braunschweig und Potsdam. Der renommierte Politologe Claus Leggewie schrieb in einem empfehlenden Gutachten: "Die TU Braunschweig hat einen großen Fisch´ an der Angel, sie sollte ihn nicht vorbeiziehen lassen." Inzwischen spricht Leggewie von einem Irrtum.
Irrtümer auszuräumen, gehört zum Kerngeschäft der Wissenschaft. Nachdenklich stimmt freilich, wenn der Anstoß dazu von außen kommt, in diesem Falle anscheinend von den Laien des Vroniplag Wiki. Damit rückt die vielbeschworene "Selbststeuerung" der Wissenschaft auf den Prüfstand. Wahrscheinlich ist es naheliegender, von einer "Interaktion" mit Kräften in der Umwelt und in der konkreten Situation zu sprechen. Man muss ja nicht gleich mit Susan Sontag, der Publizistin und Friedenspreis-Trägerin des Deutschen Buchhandels, sagen: "Die Wahrheit reitet auf dem Pfeil der Zeit."
Hermann Horstkotte, Wissenschaftsplagiat: . In: Legal Tribune Online, 11.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17839 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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