2/2: "Beobachtungsvorgänge" laufen seit Monaten
Von sich selbst vor zwei wenig verlockende Alternativen gestellt, entscheidet die Bundesanwaltschaft sich für die dritte, und unternimmt: gar nichts. Zumindest nichts Handfestes. Tatsächlich wurden in Karlsruhe bereits vor Monaten zwei sogenannte Beobachtungsvorgänge angelegt, einer wegen des Ausspähens von Kommunikationsdaten aus der Bevölkerung, ein zweiter wegen des Abhörens des Handys der Bundeskanzlerin.
Solche Beobachtungsvorgänge, die man auch als eine Art Vorermittlungsverfahren bezeichnen könnte, sind keineswegs ungewöhnlich. Durch sie soll geklärt werden, ob sich bestehende Hinweise zu einem Anfangsverdacht erhärten und ein formelles Ermittlungsverfahren eröffnet wird oder nicht. Die Bundesanwaltschaft kann in dieser Phase beispielsweise Auskunftsersuchen an andere Behörden stellen und öffentlich verfügbare Quelle auswerten. Klassische Ermittlungsmethoden wie Zeugenbefragungen, Hausdurchsuchungen oder die Beschlagnahme von Dokumente kommen hingegen nicht in Betracht.
An einem solchen Vorgehen ist im Grundsatz nichts zu beanstanden; das scharfe Schwert des Ermittlungsverfahrens soll nicht über bloßes Hörensagen, Gerüchte oder haltlose Anschuldigungen gezückt werden. Zugleich darf das Vorermittlungsverfahren aber nicht überstrapaziert werden: Wo ein Anfangsverdacht (wohlgemerkt der geringste der strafprozessualen Verdachtsgrade) evident besteht, ist für Vorermittlungen kein Raum mehr. Alles andere ist Verzögerungstaktik, und wird dem Auftrag einer Strafverfolgungsbehörde nicht gerecht.
Bundesanwaltschaft erwägt, ihre Arbeit zu machen
Und inzwischen riecht das Vorgehen der Bundesanwaltschaft genau danach. Die erwähnten Beobachtungsvorgänge laufen bereits seit vielen Monaten. Was mit dem in dieser Phase beschränkten Arsenal an Ermittlungsmethoden in Erfahrung gebracht werden kann, müsste längst bekannt sein. Derweil präsentiert der Spiegel beinahe im Wochentakt neue Enthüllungen aus den Dokumenten von Edward Snowden.
Sicher, diese Dokumente hat das Magazin der Behörde nicht vorgelegt – sie hat allerdings, so weit bekannt, auch nie danach gefragt, außer in Form der ganz allgemeinen Bemerkung, dass man Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehme. So scheint die paradoxe Denkart in Karlsruhe zu laufen: Ohne Kenntnis des Originalinhalts der Dokumente kein Ermittlungsverfahren, ohne Ermittlungsverfahren keine Möglichkeit, sich diese Kenntnis zu verschaffen.
Doch auch ohne unmittelbaren Einblick in Snowdens NSA-Dateien zu haben, dürfte inzwischen bekannt sein, dass es sich dabei nicht um die wirre Ideensammlung eines Verschwörungstheoretikers handelt. Dies umso mehr, als die Vorwürfe, welche die mit den Dokumenten vertrauten Medien erheben, seitens der USA nicht einmal abgestritten werden. "Nicht mehr", soll NSA-Chef Keith Alexander nach einem Bericht des Spiegel auf die Frage geantwortet haben, ob man das Handy der Bundeskanzlerin abhöre. Näher kann man einem Geständnis nicht kommen, ohne es ausdrücklich auszusprechen, und auch diese Aussage wurde nie dementiert.
Grund genug, um einen Anfangsverdacht zu fassen? Nicht für die Bundesanwaltschaft. Aber immerhin: Mehr als ein halbes Jahr nach dem ersten Bekanntwerden der Vorwürfe und etwa drei Monate nach der Erkenntnis, dass auch das Handy der Kanzlerin überwacht wurde, hält die Behörde die Erfüllung der ihr vom Gesetz zugeschriebenen Aufgaben für möglich. Na dann.
Constantin Baron van Lijnden, Nichtermittlung in der NSA-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 20.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10717 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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