Eine Studie vergleicht die Arbeit von NSA, GCHQ und BND. Das Fazit: Die Gemeinsamkeiten sind größer als die Unterschiede. Rechte von Ausländern werden ignoriert, Kompetenzen ohne Konsequenzen überschritten. Niko Härting, der den Autoren der Studie Anregungen und Feedback gegeben hat, äußert im Interview die Hoffnung, dass es in den USA nun zu einer gerichtlichen Kontrolle der Überwachung kommt.
LTO: Herr Professor Härting, nach den Enthüllungen von Edward Snowden war die Empörung über die Bespitzelung durch die NSA hierzulande groß. Nach einer Studie der Think Tanks "Stiftung Neue Verantwortung" und "New America Foundation" ist der deutsche Geheimdienst aber nicht besser. Überrascht Sie das?
Härting: Keineswegs. Mit dem GCHQ (Government Communication Headquarters, britischer Geheimdienst, Anm. d. Red.) habe ich mich nur am Rande befasst, mit der NSA (National Security Agency, amerikanischer Geheimdienst, Anm. d. Red.) und dem BND (Bundesnachrichtendienst, deutscher Geheimdienst, Anm. d. Red) aber intensiv, und die Probleme sind weitgehend die gleichen.
LTO: Das Fazit der Studie lautet, dass alle drei Geheimdienste jeweils massiv und bewusst die Rechte der Bürger anderer Staaten verletzen.
Härting: Natürlich – das ist als Geheimdienst ja geradezu ihr Job. Die Gesetze in den USA, England und Deutschland gewähren jeweils nur Inländern Schutz vor Überwachung. Die NSA schert sich nicht um die Privatsphäre von Deutschen, der BND sich nicht um jene von Amerikanern.
"Normüberschreitungen gibt es beim BND sicherlich"
LTO: Aber beide arbeiten massiv zusammen.
Härting: Was im Grundsatz auch legitim und sinnvoll ist. Eine andere Frage ist natürlich, ob die Bestimmungen zum Schutz von Inländern umgangen werden, wenn der BND der NSA Informationen zu amerikanischer Kommunikation zuspielt, und umgekehrt. Darüber kann man, wie überhaupt über sehr vieles in diesem Bereich, aber nur spekulieren.
LTO: Erfahrungsgemäß überschreiten fast alle Behörden ihre Kompetenzen gelegentlich – und werden dann von den Gerichten in ihre Schranken verwiesen. Beim BND ist das insofern anders, als eine gerichtliche Kontrolle praktisch nicht stattfindet. Wäre es nicht sehr blauäugig, anzunehmen, dass der BND sich dennoch stets innerhalb seiner Befugnisse bewegt?
Härting: Sicherlich wird es beim BND Normüberschreitungen geben, in welchem Ausmaß kann man aber kaum sagen. Wir wissen zum Beispiel, dass der BND im Jahr 2010 unzählige E-Mails auf rund 30.000 "verdächtige" Begriffe hin gescannt hat. Welche das im Einzelnen waren, ist nicht bekannt, es zählten aber offenbar auch gängige Worte wie "Bombe" dazu. Mitarbeiter des BND haben 37 Millionen "Treffer" "bearbeitet". Von Geeignetheit und Bestimmtheit kann bei einer so großflächig angelegten und unspezifisch durchgeführten Maßnahme kaum die Rede sein.
LTO: Trotz großer öffentlicher Aufregung tut sich faktisch sehr wenig. Wie kommt es, dass der BND so frei operieren kann?
Härting: Weil im Bundestag offensichtlich niemand scharf darauf ist, die Befugnisse des Geheimdienstes in Frage zu stellen. Die Gesetze, auf deren Grundlage die Telekommunikationsüberwachung durch den BND stattfindet, namentlich das G-10-Gesetz, stammen in ihrer aktuellen Form aus dem Jahr 2001 und wurden damals von einer rot-grünen Regierung erlassen. Da können Sie sich ja ausrechnen, wie viele Bundestagsparteien in Frage kommen, um das Gesetz dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Was eigentlich schade ist, denn ich bin mir relativ sicher, dass es in Karlsruhe keinen Bestand haben würde.
"Für die Parteien spielt das Thema keine große Rolle"
LTO: Könnten nicht auch einzelne Bürger wegen Verletzung ihrer Grundrechte durch den BND vor das Bundesverfassungsgericht ziehen?
Härting: Prinzipiell schon, versucht hat es aber noch keiner. Der Nachweis einer Grundrechtsverletzung ist natürlich kaum zu erbringen, wenn man nicht belegen kann, dass man überhaupt überwacht wurde. In den USA werden in der Folge der Snowden-Enthüllungen jetzt übrigens einige neue Verfahren geführt, in denen dieser Nachweis möglich sein könnte. Da könnte sich also vielleicht etwas tun.
LTO: Welche anderen Kontrollmechanismen gibt es?
Härting: Die G-10-Kommission, die wie das amerikanische FISA-Gericht im Geheimen tagt, und das parlamentarische Kontrollgremium. Über die Arbeit ersterer ist so wenig bekannt wie über die des BND selbst.
LTO: Mit anderen Worten: Die Tätigkeit des deutschen Geheimdienstes können wir kaum kontrollieren, die der ausländischen Geheimdienste sogar noch weniger. Das sind düstere Aussichten. Denken Sie, dass sich daran in der näheren Zukunft etwas ändern wird?
Härting: Ich kann im Augenblick nicht erkennen, dass eine der im neuen Bundestag vertretenen Parteien dies hoch auf ihrer Agenda hätte.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Niko Härting ist Partner bei HÄRTING Rechtsanwälte in Berlin, Lehrbeauftragter und Honorarprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin) sowie Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin.
Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
Abhörtätigkeiten im Vergleich: . In: Legal Tribune Online, 04.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9735 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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