Die Möglichkeiten, die NPD zu verbieten, werden heiß diskutiert, die bisherige Rechtsprechung des BVerfG wird immer wieder ausgewertet und geprüft. Kaum jemand beachtet dabei aber den EGMR. Dabei könnte ein von Karslruhe ausgesprochenes Parteiverbot in Straßburg scheitern – und damit zum Bumerang für die Politik werden, meint Sebastian Roßner.
Offenbar zieht es die Politik an den Ort ihres Scheiterns zurück. Immer wieder neue Anlässe scheint es zu geben, beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe ein Verbot der NPD beantragen zu wollen. So auch die Verhaftung von Carsten S. am Mittwoch, welcher der Zwickauer Zelle Waffen und Munition beschafft haben soll. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung handelt es sich bei dem 31-Jährigen, der nun dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt werden soll, um einen ehemaligen NPD-Funktionär.
Der parallel laufende juristische Diskurs konzentriert sich auf die Problematik der V-Leute und die eigentlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot. Diese formulierte das BVerfG in den fünfziger Jahren, als es zunächst die faschistische SRP und dann die KPD für verfassungswidrig erklärte.
Es lohnt sich aber, aus der Fixierung auf Karlsruhe auszubrechen. Denn sollte die NPD verboten werden, ist es höchstwahrscheinlich, dass die Partei weiter vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zieht. Zu Parteiverboten hat der Gerichtshof jedoch eine eigene Rechtsprechung entwickelt, die sich von der des BVerfG unterscheidet und dabei teilweise strengere Maßstäbe aufstellt. Es ist deshalb längst nicht sicher, dass ein Karlsruher Urteil auch in Straßburg Bestand hätte.
Die für die Parteiverbotsrechtsprechung des EGMR zentrale Norm ist Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welche die Vereinigungsfreiheit schützt. Zu diesem Recht gehört auch die Möglichkeit, sich in politischen Parteien zusammenzuschließen. Die Vorschrift enthält einen abschließenden Katalog von Zielen, die der Staat mit einem Eingriff in die Vereinigungsfreiheit verfolgen darf. Daneben definiert sie weitere Voraussetzungen eines Eingriffs. Ein Parteiverbot muss danach gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, um die nationale oder öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten, Straftaten zu verhüten oder die Rechte anderer zu schützen.
Feinabstimmung in Straßburg
Um die Rechtmäßigkeit eines Verbots zu prüfen, wenden die Straßburger Richter ein vierschrittiges Schema an: Zunächst muss es eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für ein Verbot. Entscheidend ist dabei, dass ein Verbot als Folge eines bestimmten Verhaltens für die Partei vorhersehbar war. Anschließend widmet der Gerichtshof sich der Frage, ob der Staat mit dem Verbot ein legitimes Ziel verfolgt. Der EGMR geht dabei nicht allzu streng vor und wertet etwa eine Partei, die in einer bestimmten Region einen eigenständigen Staat errichten will, als Gefahr für die nationale Sicherheit.
Als dritten Schritt prüfen die Richter in Straßburg die dringende gesellschaftliche Notwendigkeit, eine Partei zu verbieten. Dafür ist zunächst erforderlich, dass sie eindeutig ein Gesellschaftsmodell vertritt, das mit dem Konzept einer demokratischen Gesellschaft unvereinbar ist. Außerdem muss die Partei eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie darstellen. Sie muss also auch eine realistische Chance haben, ihre Ziele zu verwirklichen.
Als vierten und letzten Punkt prüft der Gerichtshof, ob das Parteiverbot angemessen ist. Er setzt dabei die Folgen des Verbots in Verhältnis zu dessen Nutzen, um so das bis dahin gefundene Ergebnis einer letzten Korrektur und Feinabstimmung zu unterziehen.
Vergleicht man das Prüfprogramm des EGMR mit demjenigen aus Karlsruhe, fallen vor allem zwei Unterschiede ins Auge, die zu einem Erfolg der NPD in Straßburg führen könnten: Das BVerfG hat im KPD-Urteil von 1956 – dem letzten Parteiverbot in der BRD – ausdrücklich festgestellt, dass es für ein Verbot nur darauf ankommt, dass die Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele ernsthaft verfolgt. Ob die Partei diese Ziele in einem absehbaren Zeitraum möglicherweise auch verwirklichen kann, ist für die Karlsruher Richter nicht erforderlich.
Automatischer Mandatsverlust als Stolperstein
Der Schutz des Grundgesetzes vor den Umtrieben radikaler politischer Gruppierungen beginnt danach also weit im Vorfeld einer konkreten Gefährdung. Auch der EGMR sieht zwar das Parteiverbot als präventive Maßnahme, so dass ein Staat auch nach Ansicht der Europarichter nicht verpflichtet ist, mit einem Verbot zu warten, bis die Partei der Demokratie tatsächlich Schaden zugefügt hat.
Zur Rechtfertigung eines Verbotes muss die fragliche Partei aber laut dem EGMR auch über die Mittel und den Einfluss verfügen, um ihre demokratiefeindlichen Ziele mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erreichen. In seiner Leitentscheidung zum Verbot der türkischen Wohlfahrtspartei (Urt. v. 13.02.2003, Antrag Nr. 41340/98 u.a.) haben die Straßburger Richter diese Gefahr aus den Wahlerfolgen der Partei abgeleitet, die bei den letzten Parlamentswahlen vor dem Verbot 21,4 Prozent der Stimmen erreichte.
Ein weiterer Unterschied zur deutschen Rechtsprechung besteht darin, dass das BVerfG bei einem Parteiverbot bisher nicht prüft, ob dieses angemessen ist. Dazu sind die deutschen Verfassungshüter aus der einschlägigen Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 GG auch nicht direkt verpflichtet. Der EGMR aber könnte im Rahmen dieser Angemessenheitsprüfung die harten Folgen eines Parteiverbotes nach deutschem Recht berücksichtigen. Mit diesem wäre nämlich auch das Verbot verbunden, Ersatzorganisationen zu gründen, § 32 Parteiengesetz. Weiterhin würden alle Abgeordneten der verbotenen Partei nach § 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz und den entsprechenden Vorschriften der Landeswahlgesetze automatisch ihr Mandat verlieren. Entsprechend gewichtiger müssten demnach die Gründe für ein NPD-Verbot sein, um vor der EMRK zu bestehen.
Der Politik droht eine Blamage ersten Ranges
Dass die Abgeordneten der Partei ihren Platz in den Parlamenten verlieren würden, stellt dabei noch in anderer Hinsicht eine Schwierigkeit dar: Der EGMR sieht eine solche Regelung als Verstoß gegen das Recht auf freie Wahlen an, welches Art. 3 des von Deutschland unterzeichneten 1. Zusatzprotokolls zur EMRK garantiert. Die Europarichter fordern, dass bei jedem Abgeordneten individuell geprüft wird, ob ein Mandatsverlust in Betracht kommt. Damit ist zumindest eine der wesentlichen Rechtsfolgen eines Parteiverbots in Deutschland konventionswidrig.
Ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD riskiert also nicht nur in Karlsruhe zu scheitern, sondern könnte auch ein negatives Urteil aus Straßburg nach sich ziehen. Denn ob die finanziell klamme und bei Wahlen meist an der Fünf-Prozent-Hürde scheiternde NPD nach dem Maßstab des EGMR eine unmittelbare Gefahr für die deutsche Demokratie darstellt, ist ziemlich ungewiss. Und sollte die NPD zum Zeitpunkt des Verbots noch Abgeordnete stellen, wie gegenwärtig in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, hätten diese abgesetzten Volksvertreter gute Chancen, in Straßburg gegen ihren Mandatsverlust vorzugehen.
Die rechtlichen Folgen einer erfolgreichen Beschwerde der NPD vor dem EGMR sind dabei ungeklärt. Das Verbot würde jedenfalls nicht per se aufgehoben, denn die Urteile des EGMR haben lediglich feststellenden Charakter und verpflichten den jeweiligen Staat, die Verletzung der Konvention abzustellen. Im deutschen Recht gibt es jedoch kein Verfahren, um ein einmal ausgesprochenes Parteiverbot rückgängig zu machen. Denkbar wäre aber eine Neugründung der NPD, die dann wegen des Straßburger Richterspruchs zugelassen werden müsste. Den aus den Parlamenten entfernten Abgeordneten ihr Mandat wiederzuverschaffen, ist dagegen nach aktueller Gesetzeslage nicht möglich.
Unabhängig von den problematischen rechtlichen Folgen wäre eine erfolgreiche Beschwerde der NPD vor dem EGMR politisch für Deutschland Blamage ersten Ranges.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für deutsches und europäisches Parteienrecht an der Heinreich-Heine-Universität Düsseldorf.
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Sebastian Roßner, NPD-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 02.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5472 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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