Stephan Weil hat eine Rede, die er als Minister hielt, vorab VW vorgelegt. Die öffentliche Empörung darüber hält Caspar Behme für scheinheilig. Eine dauerhafte Interessenkollision sei in Niedersachsen Gesetz.
Der Einfluss des Landes Niedersachsen auf die Volkswagen AG ist enorm. Mit Stephan Weil und Olaf Lies (beide SPD) sind sowohl der Ministerpräsident als auch der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Mitglieder des Aufsichtsrats; daneben verfügt das Land als Anteilseigner über eine Sperrminorität in der Hauptversammlung.
Diese vielschichtigen und einzigartigen Einflussnahmemöglichkeiten der Politik auf ein Industrieunternehmen sind nicht nur rechtspolitisch fragwürdig, sondern auch rechtlich problematisch. Schon 2007 hat der EuGH in weiten Teilen des sog. VW-Gesetzes, mit dem dieser Einfluss gesetzlich zementiert wurde, einen Verstoß gegen die europäische Kapitalverkehrsfreiheit erblickt. In Teilen ist das Gesetz gleichwohl nach wie vor in Kraft. Auch die infolge der EuGH-Entscheidung aufgehobenen Bestimmungen des Gesetzes sind immer noch Bestandteil der Satzung der Volkswagen AG und gelten auf diese Weise de facto fort.
Solange die Verzahnung der Volkswagen AG mit der niedersächsischen Landespolitik auf politischer Ebene nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, ist die Welle der öffentlichen Empörung, die Stephan Weil derzeit entgegen schlägt, scheinheilig. Vielmehr sprechen gute Gründe dafür, dass er die Rede, die er in seiner Eigenschaft als niedersächsischer Ministerpräsident gehalten hat und in der es auch um die Versäumnisse des Autokonzerns ging, inhaltlich mit der Volkswagen AG nicht nur abstimmen durfte, sondern womöglich sogar musste.
Weil muss auf VW-Interessen Rücksicht nehmen
Nimmt man die Rolle des Ministerpräsidenten als Aufsichtsratsmitglied der Volkswagen AG ernst, ist es nicht anstößig, dass er als Ministerpräsident auf die Interessen der Volkswagen AG Rücksicht nimmt. Im Gegenteil: Er ist dazu gesellschaftsrechtlich verpflichtet. Wie alle Mitglieder des Aufsichtsrats der Volkswagen AG unterliegt auch Weil einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, aufgrund derer er sein organschaftliches Handeln grundsätzlich am Unternehmensinteresse ausrichten muss.
Die in der Satzung der Volkswagen AG verankerte Koppelung von Ministerpräsidentenamt und Aufsichtsratsmandat zwingt Stephan Weil daher in eine dauerhafte Interessenkollision, die sich nun im "Abgas-Skandal" konkret auswirkt: Laut seinem Amtseid als Ministerpräsident muss er seine Kraft "dem Volke und dem Lande" widmen; seine Stellung als Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ihn auf das Unternehmensinteresse der Volkswagen AG.
Zwar entspricht es dem Nebenamtscharakter der Aufsichtsratstätigkeit, dass ein Aufsichtsratsmitglied den Interessen der Gesellschaft nicht durchweg und unbedingt Vorrang gegenüber anderweitig verfolgten Interessen einräumen muss. Es muss aber bei der Ausübung anderer (Haupt-)Tätigkeiten auf die Interessen der Gesellschaft Rücksicht nehmen.
Offenbar ist sich Stephan Weil dieser Rücksichtnahmepflicht bewusst, wenn er bei der öffentlichen Thematisierung von Gesetzesverstößen der Volkswagen AG eine gewisse rhetorische Zurückhaltung wahrt – ganz abgesehen davon, dass es auch ansonsten unklug wäre, als Landesvater in den medialen Abgesang auf die wichtigste deutsche Schlüsselindustrie lauthals einzustimmen.
Müssen Weil und Lies für den Abgasskandal haften?
Wer den Einfluss von Volkswagen auf die niedersächsische Landespolitik beklagt, muss konsequenterweise auch den Einfluss der niedersächsischen Landespolitik auf die Volkswagen AG kritisch sehen. Politiker sind nicht zwangsläufig die kompetentesten Aufsichtsräte für Industrieunternehmen. Und Aufsichtsräte von Industrieunternehmen sind umgekehrt nicht unbedingt die besten Politiker.
Die Frage nach der Qualifikation von Politikern für die Tätigkeit im Aufsichtsrat führt zu der Frage nach der (Mit-)Verantwortung von Stephan Weil und Olaf Lies für die im Zuge des Abgasskandals entstandenen Schäden.
Aus dem Blickwinkel des Gesellschaftsrechts haben die beiden Politiker nämlich das zusätzliche Problem, ggf. beweisen zu müssen, dass sie in der Vergangenheit bei der gesamten Diesel-Thematik ihren Pflichten, die aus der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats resultieren, dem sie angehören, mit der gebotenen Sorgfalt nachgekommen sind. Gelingt ihnen der Entlastungsbeweis nicht, sind sie der Volkswagen AG zum Schadensersatz verpflichtet. Ob ihnen dieses Haftungsrisiko bei Übernahme des Aufsichtsratsmandats bewusst war?
Freilich bleiben das vermutlich theoretische Überlegungen, weil Fragen der persönlichen Haftung von Aufsichtsratsmitgliedern von der Sorge um Arbeitsplätze verdrängt werden. Dies gilt umso mehr, als für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder der Vorstand zuständig wäre. Der aber würde sich damit selbst ans Messer liefern. Die Mitglieder von Aufsichtsrat und Vorstand haben eines gemeinsam: ein ureigenes Interesse daran, ihre persönliche Haftung zu vermeiden.
Der Autor Dr. Caspar Behme ist derzeit Vertreter des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Osnabrück.
Niedersachsens Ministerpräsident und die VW AG: . In: Legal Tribune Online, 08.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23859 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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