Das Bundeskabinett hat ein neues Aufsichtsrecht für Versicherungen beschlossen. Der Entwurf verankert den Zwang zu geschlechtsneutralen Versicherungstarifen und passt nationales Aufsichtsrecht dem neuen europäischen Risikostandard "Solvabilität II" an. Gleichzeitig aber soll er das Insolvenzrisiko von Versicherungen minimieren, die nun mehr einbehalten dürfen.
Für die Versicherungsmathematiker war es nur logisch, für den Europäischen Gerichtshof (EuGH) aber eine Diskriminierung. Bisher zahlen Frauen und Männer in vielen Versicherungssparten unterschiedliche Prämien. Die Assekuranzen begründen dies mit dem unterschiedlichen statistischen Risiko. So werden Frauen älter und erhalten deshalb beispielsweise in der privaten Rentenversicherung länger eine Leistung.
Nach einem Urteil der Europarichter aber sind Prämienunterschiede zwischen den Geschlechtern künftig verboten (Urt. v. 01.03.2011, Az. C 236/09). Danach müssen die Versicherer ab dem 21. Dezember 2012 so genannte Uni-Sex-Tarife anbieten, wie sie beispielsweise für die Riester-Rente schon heute Pflicht sind.
Der Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) stellt nun klar, dass es geschlechtsneutrale Versicherungstarife nur für Neuverträge geben darf. Gleichzeitig verbietet das Gesetz, das am 31. Oktober 2012 in Kraft treten soll, jede Umgehung des Uni-Sex-Tarif-Zwangs. So verweist der Gesetzgeber darauf, dass es auch bei Gruppenangeboten keine Preisunterschiede mehr zwischen den Geschlechtern geben darf.
Künftig niedrigere Beiträge auch für Alt-Kundinnen in der PKV
Das Verbot, Uni-Sex-Tarife für Altkunden einzuführen, dürfte vor allem die Privaten Krankenversicherer (PKV) vor erhebliche Probleme stellen. Die meisten PKV-Unternehmen wollten Einheitstarife nämlich auch für Bestandskunden einführen. Damit sollte ein Hopping von Altkunden in die Neutarife vermieden werden. Bisher zahlen Frauen in PKV deutlich höhere Prämien.
Bei einem künftigen Mischtarif aus Frauen und Männern dürften weibliche Versicherte daher besser abschneiden. Die PKV fürchtet deshalb einen Exodus vieler Altkundinnen in die neuen Uni-Sex-Tarife. Möglich wird dies, weil jeder Privatversicherte ein Wechselrecht innerhalb der eigenen Gesellschaft hat, bei dem alle angesparten Alterungsrückstellungen erhalten bleiben.
Kern der neuen VAG ist aber die Umsetzung neuer europäischer Sicherheitsvorschriften für Versicherungen. Die europäische Solvency-II-Richtlinie soll in nationales Recht übertragen werden. Sie zwingt Assekuranzen, ihre Risiken ganzheitlicher zu betrachten.
Künftig müssen die Unternehmen nicht nur die eigentlichen Versicherungsrisiken bewerten, sondern auch die Risiken aus Kapitalanlagen, Krediten oder möglicher Misswirtschaft. „Übergeordnetes Ziel des Vorhabens ist es, die Erst- und Rückversicherungsunternehmen in der EU, die bislang vergleichsweise gut durch die europäische Staatsschuldenkrise gekommen sind, auch für die Zukunft krisenresistent zu machen“, so das Finanzministerium.
Schlecht für die Kunden: Versicherer dürfen mehr Sicherheitsbedarf einbehalten
Gleichzeitig wird die nationale Aufsichtsbehörde wesentlich stärker in das europäische System der Finanzaufsicht (European System of Financial Supervision, ESFS) eingebunden. Das VAG wird künftig nur noch eine Rechtsquelle von vielen sein, die Unternehmen beachten müssen. „Solvency II“ ist eine Rahmenrichtlinie, die wichtige Details noch offen lässt. Konkrete Durchführungsbestimmungen werden derzeit auf EU-Ebene erarbeitet.
Kritik äußerte der Bund der Versicherten (BdV) an der Neureglung der Beteiligung von Bewertungsreserven für Lebensversicherte. Sie entstehen aus dem Unterschied des Zeitwertes von Kapitalanlagen gegenüber dem Kaufpreis. Ihre Berechnung sei nun noch intransparenter, so der BdV.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dagegen begrüßte die VAG-Novelle. So sei die Ende 2011 von ihm vorgeschlagene Anpassungsregelung für die Beteiligung an Bewertungsreserven aus festverzinslichen Papieren in der Niedrigzinsphase nun im Regierungsentwurf übernommen worden. Künftig dürfen die Versicherer in solchen Niedrigzinsphasen einen notwendigen Sicherheitsbedarf im "Versichertenkollektiv" behalten.
Bisher mussten 50 Prozent der Bewertungsreserven ausgeschüttet werden. Nach Ansicht der Regierung führt die Neuregelung zu einem "fairen Interessenausgleich" zwischen Lebensversicherten, die ihren Vertrag durchhalten und solchen, die vorzeitig kündigen. Die Altregelung hätte bei Kapitalmarktzinsrückgang die Risikopuffer systematisch abgebaut, obwohl in diesen Phasen die Risikotragfähigkeit der Versicherer sinkt. Dadurch wären die langfristigen Verpflichtungen der Assekuranzen gegenüber ihren Kunden gefährdet worden, so die Regierung in ihrer Begründung.
Neues Aufsichtsrecht für Versicherungen: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5627 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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