Regierungsentwurf zum NetzDG: Pro­b­leme pri­vater Mei­nungs­po­lizei

von Antonia Schnitzler, LL.M.

07.04.2017

2/2: Kein Rechtsschutz gegen private Meinungspolizei?

Allerdings führt die Einbindung der Privaten dazu, dass der Rechtsschutz gegen eine Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit abgeschnitten wird. Die sozialen Netzwerke werden eingeschaltet, um auf fremde Rechtspositionen einzuwirken. Löschen sie einen Inhalt zu Unrecht, ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit des Verfassers berührt, an diese sind sie als private Unternehmen aber nicht direkt gebunden. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf erneute Freischaltung besteht häufig nicht oder kann vertraglich ausgeschlossen werden.

Würde die Löschung dagegen aufgrund behördlicher Anordnung erfolgen oder wäre sie einem Hoheitsträger zurechenbar, könnte der Verfasser des gelöschten Inhalts vor dem Verwaltungsgericht Rechtsschutz gegen eine Verletzung der Meinungsfreiheit suchen.

Entsprechendes gilt für den Rechtsschutz des Beschwerdeführers gegen eine ablehnende Entscheidung des Anbieters. Auch hier kommt ausschließlich zivilrechtlicher Rechtsschutz in Betracht. An dieser Stelle bringt die sekundäre Suchpflicht, die das NetzDG einführt, immerhin einen entscheidenden Vorteil: Zwar kann der Betroffene unmittelbar nur Löschung des beanstandeten Inhalts verlangen. Hat er die Löschung erstritten, ist der Anbieter aufgrund des Gesetzes jedoch verpflichtet, auch sämtliche Kopien zu löschen.

Vorgehen sozialer Netzwerke gegen Bußgelder problematisch

Auch der Rechtsschutz des Netzwerkanbieters gegen Bußgelder ist im Regierungsentwurf modifiziert worden. Anders als im regulären Bußgeldverfahren holt das Ministerium den neuen Plänen nach eine richterliche Vorabentscheidung über die Rechtswidrigkeit ein. Was auf den ersten Blick vorteilhaft klingt und dem Eindruck einer Zensurbehörde vorbeugen soll, kann sich faktisch leicht zulasten des Anbieters auswirken. Denn zuständig ist das Gericht, das anschließend auch über einen Einspruch gegen den Bescheid entscheidet.

Da der Betreiber eines sozialen Netzwerks am Vorabentscheidungsverfahren nicht teilnimmt und eine mündliche Verhandlung nicht stattfinden muss, droht eine Vorfestlegung des Gerichts ohne angemessene Beteiligung des Betroffenen.

Aufhebung der Anonymität schafft weitere Risiken

Als Kompensation für den verkürzten Rechtsschutz des Nutzers im Verhältnis zum Betreiber sozialer Netzwerke gestattet der Entwurf in seiner Neufassung die Preisgabe der Identität von Nutzern. Damit findet eine Verlagerung auf das Verhältnis zwischen Täter und Opfer statt. Im Ausgangspunkt ist dies auch verständlich, geht doch die Störung vom Äußernden aus. Allerdings wird das Vorgehen gegen Einzelne angesichts der Ubiquität der Störungen in der Praxis nur selten zum Erfolg führen: Zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen den Täter ist angesichts der speziellen Gefahrensituation unzureichend.

Die Voraussetzungen für die Preisgabe persönlicher Daten sind sehr weit gefasst: Zur Offenlegung der Identität berechtigt nicht nur die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern auch eines jedes anderen absoluten Rechts. Es kommt nicht darauf an, ob die Rechtsverletzung einen Straftatbestand erfüllt.

Der Gesetzgeber hat insofern grundrechtliche Implikationen im Blick zu behalten. Ob der Schutzbereich der Meinungsfreiheit das anonyme Äußern einer Meinung umfasst, ist zwar nicht abschließend geklärt. Jedenfalls steht dem Äußernden aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zur Seite. Der Entwurf lässt vor diesem Hintergrund einen ausdrücklichen Richtervorbehalt vermissen. Hinzu kommt, dass einmal preisgegebene Daten leicht über den Gesetzeszweck hinaus missbräuchlich verwendet werden können.

Umfangreiche Löschungen wegen Zeitdrucks drohen

Schließlich wirkt auch das Verfahren defizitär. Dies zeigt sich zum Beispiel an der 24-Stunden-Frist, innerhalb der offensichtlich rechtswidrige Inhalte zu löschen sind. Hier droht eine willkürliche Löschkultur oder gar der Einsatz automatisierter Grobfilter anstelle sachkundiger Einzelfallprüfung.

Die Änderungen am Entwurf und die jüngsten Äußerungen des Bundesjustizministers lassen darauf schließen, dass mit dem Gesetz eine Drohkulisse aufgebaut werden soll. Ausufernde Löschtätigkeit scheint das Justizministerium dabei nicht zu erwarten. Auch wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, ändert das noch immer nichts an den konzeptionellen Rechtsschutzdefiziten.

Die Autorin Antonia Schnitzler, LL.M. (LSE) ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei lindenpartners in Berlin und berät unter anderem zum Datenschutzrecht

Zitiervorschlag

Regierungsentwurf zum NetzDG: . In: Legal Tribune Online, 07.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22613 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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