Am Flughafen Frankfurt am Main wird es auch in Zukunft nicht mehr Nachtflüge geben, entschied das BVerwG mit Urteil vom Mittwoch. Weitere Nachtflüge, die das Land Hessen genehmigt hatte, dürfen also nicht starten oder landen. Jochen Hofmann-Hoeppel über die vierte Landebahn, 17 Nachtflüge und ein Musterverfahren, das Hessen bei der Neubescheidung strenge Vorgaben macht.
Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat letztinstanzlich über die Musterklagen gegen den Planfeststellungsbeschluss des Landes Hessen zum Ausbau des Flughafens Frankfurt am Main entschieden. Die Leipziger Richter bestätigten mit ihrem Urteil das von der Vorinstanz ausgesprochene Nachtflugverbot und kippten die vom Land genehmigten 17 Flüge in der so genannten Mediationsnacht zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr.
Hessen wird nun einen neuen Beschluss fassen müssen, der ohne Flüge in diesem Zeitraum auskommt. Auch in den Nachtrandstunden wird es weniger Lärm geben. Für den Zeitraum von 22:00 bis 23:00 Uhr und 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr erlauben die obersten Verwaltungsrichter nur noch 133 Flugbewegungen (Urt. v. 04.04.2012, Az. 4 C 8.09, 9.09, 1.10 bis 6.10).
Ursprünglich hatte das Land für den Nachtzeitraum zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr durchschnittlich 150 planmäßige Flugbewegungen je Nacht zugelassen. In der Mediationsnacht sollten durchschnittlich 17 planmäßige Flugbewegungen im ausschließlichen Luftfracht- bzw. Luftpostverkehr sowie übergangsweise und nachrangig auch Touristik- und Passagierflugzeuge erlaubt sein.
Diese Fluglärmbelastung ging dem BVerwG zu weit. Der 4. Senat folgte mit seiner Entscheidung deshalb im Wesentlichen dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (HessVGH) vom 21. August 2009. Dieser hatte bereits vor zwei Jahren ein Nachtflugverbot in der Mediationsnacht beschlossen (Az. 11 C 227/08.T u. a.). Für die Nachtrandstunden sowie zum Schutz von Gewerbebetrieben sind die Bundesrichter über das Urteil der Landesrichter sogar noch hinausgegangen.
Schlusspunkt unter jahrelange Querelen
Das Leipziger Urteil setzt einen Schlusspunkt unter den seit Jahren schwelenden Streit über die Erweiterung des Flughafens um eine vierte Landebahn. Verschiedene Gemeinden und Privatpersonen aus Hessen und Rheinland-Pfalz hatten gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 Klagen erhoben und Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Einer dieser Anträge war durch Beschluss des HessVGH vom 15. Januar 2009 (Az. 11 B 358/08.T) abgelehnt und das Hauptsacheverfahren durch weiteren Beschluss vom 27. Januar 2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss der als Musterverfahren bezeichneten Klagen ausgesetzt worden..
Durch Urteile vom 21.August 2009 hatte der HessVGH dann entschieden, dass das Fluglärmschutzgesetz vom 1. Juni 2007 zwar sowohl mit europäischem Gemeinschafts- und deutschen Verfassungsrecht vereinbar sei, da die definierten Grenzwerte auch für die planerische Abwägung gälten. Trotzdem verpflichtete das Gericht das Land Hessen, über die Zulassung planmäßiger Flüge in der Zeit von 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr sowie über weitere ca. 150 planmäßige Flüge je Nacht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Gegen diese Urteile hatte das Land Hessen Revision eingelegt, über die das BVerwG nun zu entscheiden hatte.
Nachdem einige Antragsteller im September 2011 erneut um einstweiligen Rechtsschutz vor dem HessVGH nachgesucht hatten, änderten die Kasseler Richter ihren ursprünglichen Beschluss vom Amts wegen ab. Kurz vor der Eröffnung der neuen Landebahn in Frankfurt stoppten sie die im Winterflugplan vorgesehenen 17 Nachtflüge (Beschl. v. 10.10.2011, Az. 11 B 1587/11.T).
Planmäßige Flüge in der Mediationsnacht grundsätzlich verboten
Das BVerwG bestätigte am Mittwoch die Rechtsauffassung des HessVGH insoweit, als in der "Mediationsnacht" stattfindende Flüge bis zu einer Neubescheidung weiterhin unzulässig sind. Der 4. Senat kam dabei zu dem Schluss, dass die Genehmigung der 17 planmäßigen Flüge in diesem Zeitraum schon deshalb aufzuheben ist, weil die Betroffenen rechtswidrig nicht angehört wurden.
Die formelle Rechtswidrigkeit hat allein das Land Hessen zu verantworten: Im Rahmen des Erörterungstermins waren die Beteiligten davon ausgegangen, dass es bei den 17 Flugbewegungen zwischen 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr bleiben würde, die im Rahmen der Mediation "ausgehandelt" worden waren. Erst im Nachhinein hatte das Land weitere Flüge genehmigt, ohne dass die Betroffenen Gelegenheit zur nachträglichen öffentlichen Anhörung hatten.
Die Leipziger Richter schlossen sich der Vorinstanz auch dahingehend an, dass die Änderung des Landesentwicklungsplans, die den Nachtflugbetrieb betrifft, eine "konkretisierende Gewichtungsvorgabe" für das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren ist. Diese sei als grundsätzliches Verbot planmäßiger Flüge in der Mediationsnacht zu qualifizieren, der Abwägungs- und Gestaltungsspielraum des Landes deshalb "auf annährend Null" eingeschränkt. Wenn das Land einen neuen Planfeststellungsbeschluss erlässt, darf es also keine Flüge zwischen 23:00 Uhr und 5:00 Uhr genehmigen. In diesem Zeitraum herrscht dann ein absolutes Nachtflugverbot.
Bezüglich der so genannten Nachtrandstunden ist das BVerwG sogar über die durch den HessVGH erfolgte Beanstandung hinaus gegangen. Ab sofort dürfen in der Zeit von 22:00 Uhr bis 23:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr nur noch durchschnittlich 133 planmäßige Flüge stattfinden.
Die Planfeststellungsbehörde betritt juristisches Neuland
Korrigiert wurde das Kasseler Urteil auch bezüglich des Schutzkonzepts für gewerbliche Anlagen. Da das Fluglärmgesetz diesen nicht regele, sei es Aufgabe der Planfeststellungsbehörde, festzulegen, wie weit fluglärmbedingte Beeinträchtigungen von Gewerbebetrieben zumutbar sind. Es sei auch an ihr, dem Vorhabensträger diejenigen Maßnahmen auferlegen, die zum Schutz benachbarter Gewerbegrundstücke gegen Gefahren oder Nachteile erforderlich sind.
Dass die Richter in Leipzig die Nachtflüge verbieten würden, hatte sich bereits am 2. Verhandlungstag am 14. März 2012 abgezeichnet. Der Vorsitzende Richter des 4. Senats Rüdiger Rubel sagte damals, dass die Notwendigkeit von Nachtflügen keineswegs damit ausreichend begründet werden könne, dass Fluggesellschaften damit möglichst "optimale Entfaltungsmöglichkeiten" hätten. Zudem fehle der Nachweis, dass besonders eilbedürftige Expressfracht überhaupt derart häufig transportiert werden müsse. Passagierflüge im Zeitraum von 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr hielt Robel ohnehin nicht für erforderlich.
Wie der genaue Flugplan am Frankfurter Flughafen letztendlich aussehen wird, ist mit dem Urteil indes noch nicht geklärt. Bei der erforderlichen Neubescheidung wird die Planfeststellungsbehörde darauf achten müssen, dass für den Fall der Erhöhung des Nachtflugkontingents über durchschnittlich 133 planmäßige Flüge hinaus die Nachtrandstunden nicht als "bloße Verlängerung des Tagflugbetriebs" angesehen werden dürfen. Vor allem absehbare tagähnliche Belastungsspitzen in den einzelnen Nachtrandstunden oder in längeren, insbesondere kernzeitnahen Zeitabschnitten in den betroffenen Überfluggebieten wird das Land jedenfalls vermeiden müssen. .
Zum Schutz von Gewerbegrundstücken und –betrieben wird die Planfeststellungsbehörde darüber hinaus juristisches Neuland betreten müssen. Das BVerwG weist ausdrücklich darauf hin, dass ein an die Kriterien des Arbeitsstättenrechts anknüpfendes Schutzkonzept den rechtlichen Anforderungen nicht genügt.
Der Autor ist als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht vornehmlich im Umwelt-, Bauplanungs- und Planfeststellungsrecht tätig, Autor von Fachbeiträgen u. a. aus dem Abfall-, Immissionsschutz- und Kommunalrecht, Herausgeber der "Entscheidungssammlung zum Kommunalrecht" (EzKommR) sowie Mitherausgeber und Autor des im Juni 2012 erscheinenden Formularbuchs "Verwaltungsrecht".
BVerwG erweitert Lärmschutz : . In: Legal Tribune Online, 04.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5948 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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