Ministerin fordert doppelte Staatsbürgerschaft: Erneuter Vor­stoß für ver­bes­serte Inte­g­ra­tion

Dr. Tillmann Löhr

22.08.2011

Ende Juli hat die baden-württembergische Landesregierung auf Vorschlag von Integrationsministerin Bilkay Öney eine Gesetzesinitiative zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen. Sie will das "Optionsmodell" abschaffen, wonach man sich für eine Nationalität entscheiden muss. Tillmann Löhr über den jüngsten Beitrag zu einer alten Debatte.

Bislang gilt im Staatsangehörigkeitsrecht das Optionsmodell: Wird ein Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren, hat es zunächst zwei Staatsangehörigkeiten - die der Eltern durch Abstammung, die deutsche durch Geburt. Das setzt voraus, dass die Eltern seit mindestens acht Jahren rechtmäßig hier leben und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht haben.

Wird das Kind achtzehn, muss es sich zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der der Eltern entscheiden. Der nun Volljährige hat dafür fünf Jahre Zeit. Wenn er sich nicht bis zum 23. Geburtstag entscheidet, verliert er die deutsche Staatsangehörigkeit. Das will die baden-württembergische Landesregierung ändern.

Die Initiative hierzu geht auf Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) zurück. Sie greift auf, was die rot-grüne Mehrheit schon 2000 im Bundestag beschlossen hatte: Die betroffenen Kinder sollen die doppelte Staatsangehörigkeit bekommen und behalten - ohne Zwang, sich später für eine der beiden zu entscheiden. Allerdings stellten sich seinerzeit die unionsgeführten Länder im Bundesrat gegen das zustimmungspflichtige Bundesgesetz. Denn die Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit ist seit jeher Kernelement konservativer Staatslehre.

Argument gegen Mehrstaatigkeit ist völkerrechtlich überholt

Mit dem Optionsmodell hatte sich der Vermittlungsausschuss deshalb auf einen Kompromiss geeinigt. Zur Ruhe kam die Debatte danach trotzdem nicht. Bis heute reichen die Positionen weit auseinander - von der Rückkehr zum reinen Abstammungsprinzip bis zur konsequenten Ermöglichung der doppelten Staatsangehörigkeit für hier Geborene und für Eingebürgerte.

Einst war es das Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, Loyalitätskonflikte auszuschließen: Männer mit zwei Staatsangehörigkeiten sollten beim Wehrdienst oder im Kriegsfall nicht zwischen zwei Staaten stehen. Das mag der Stimmung in der Gesellschaft des Jahres 1913 entsprochen haben, als das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz als Vorgänger des heutigen Staatsangehörigkeitsgesetzes in Kraft trat.

Heute aber ist das Argument völkerrechtlich überholt: Das Europäische Überein-kommen über Staatsangehörigkeit regelt seit 1997, dass ein Mehrstaater seine Wehrpflicht nur gegenüber einem der Staaten erfüllen muss, deren Staatsangehörigkeit er hat.

Aus Entscheidungszwang folgt Loyalitätskonflikt

Unabhängig davon fordern Konservative ein integrationspolitisches "Wenn schon, denn schon". So meint etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Wer Deutscher werden will, muss sich auch eindeutig zu Deutschland bekennen."

Tatsächlich gibt es in einer modernen, vielfältigen Gesellschaft nur wenig Eindeutiges - auch nicht bei der Staatsangehörigkeit: Viele Kinder aus Migrantenfamilien wurden hier geboren, gehen hier zur Schule und fühlen sich hier zuhause. Gleichwohl sind ihnen die kulturellen und religiösen Traditionen ihrer Familien wichtig. Warum muss man sie in einen Loyalitätskonflikt bringen?

Überließe man ihnen beide Staatsangehörigkeiten, würden die Integrationsvorteile überwiegen: Ohne Abkehr von Familie und Herkunft könnten sie an Wahlen teilnehmen und gewählt werden. Auch könnten sie als Beamte Verantwortung in öffentlichen Ämtern übernehmen.

Schon jetzt Mehrstaatigkeit bei über der Hälfte der Einbürgerungen

Wer Mehrstaatigkeit verhindern will, verteidigt zudem ein Prinzip, das eh längst beschädigt ist. Das Staatsangehörigkeitsrecht sieht für hier Geborene ebenso wie für Einbürgerungskandidaten Ausnahmen vor. Sie gelten unter anderem für EU-Bürger, für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sowie für Personen, denen der Herkunftsstaat die Entlassung verweigert. Das Ergebnis: Seit mehreren Jahren erfolgen zwischen 51 und 53 Prozent aller Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Faktisch ist die Regel zur Ausnahme geworden.

Diese Ausnahmen sind gut begründet und juristisch haltbar. Politisch wünschenswert ist die daraus resultierende Ungleichbehandlung aber nicht. Zu Recht kommentiert die türkischstämmige Öney mit Blick auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten McAllister(CDU) der Brite und Deutscher ist: "Die CDU muss mir mal erklären, warum David McAllister zwei Pässe haben darf und ich nicht."

Wann Baden-Württemberg den Vorschlag im Bundesrat einbringt, ist offen. Zunächst gilt es, die Mehrheiten zu sondieren: Die SPD-geführten Länder sind dafür, die unionsgeführten dagegen. Und dort, wo Große Koalitionen regieren, steht eine klare Positionierung noch aus.

Selbst wenn sich im Bundesrat eine Mehrheit finden sollte, müsste das Gesetz anschließend durch den Bundestag. Hier stellt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion seit jeher gegen die doppelte Staatsangehörigkeit. Doch auch wenn der Bundestag bremsen sollte, wäre die baden-württembergische Initiative ein wichtiges Zeichen. Denn wie bei jedem Fortschritt im Migrationsrecht gilt auch hier: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Der Autor Dr. Tillmann Löhr ist Jurist und arbeitet als Referent bei der SPD-Bundestagsfraktion. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen zum Migrationsrecht und Menschenrechtschutz in Deutschland und Europa. Im Beitrag äußert er seine persönliche Auffassung.

 

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Zitiervorschlag

Ministerin fordert doppelte Staatsbürgerschaft: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4064 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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