Seit Jahresanfang ist das Mindestlohngesetz in Kraft. Arbeitgeber sind danach verpflichtet, ihren Beschäftigten wenigstens 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen. Doch oft ist die Vergütung nicht nur in Stundensätzen bemessenen – sondern in einer Vielzahl von Zulagen, Zuschlägen, Sachbezügen und Sonderzahlungen. Ob und wann diese auf den Mindestlohn angerechnet werden können, erklärt Christian Oberwetter.
Dass Unternehmen versuchen würden, die Bestimmungen des Mindestlohngesetzes zu unterlaufen, war bereits vor dessen Erlass deutlich absehbar. Die Kreativität, mit der sie es tun, ist dennoch mitunter erstaunlich. Ein bemerkenswerter, wenn auch rechtlich unhaltbarer Ansatz, stammt etwa aus der Fleischbranche. Dort sollen einzelne Arbeitgeber von ihren Beschäftigten eine Gebühr für die Nutzung von ihren Arbeitswerkzeugen in Form von "Messergeld" verlangen, welche sodann auf den Mindestlohn angerechnet wird.
Leistungen ohne Entgeltcharakter wie die Überlassung von Dienstkleidung oder Arbeitswerkzeug sind beim Mindestlohn jedoch nicht zu berücksichtigen. Selbiges gilt auch für Leistungen Dritter, namentlich insbesondere das Trinkgeld. Dieses ist nach § 107 Gewerbeordnung nicht auf das regelmäßige Gehalt anrechenbar – sehr zum Leidwesen einiger Arbeitgeber im Taxigewerbe und der Gastronomie.
Ebenso wenig können Unternehmen Sachbezüge wie Kost und Logis oder einen Dienstwagen berücksichtigen, da sich aus §§ 1, 20 MiLoG ergibt, dass der Mindestlohn dem Beschäftigten als Mindestbetrag tatsächlich zur Verfügung stehen soll.
Dennoch dürfen sich Arbeitnehmer, die in der Vergangenheit weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten, nicht zu früh über die staatlich verordnete Gehaltserhöhung freuen. Manche Sonderleistungen können nämlich sehr wohl in die Berechnung einbezogen werden.
Zahlungen müssen Gegenleistung für erbrachte Arbeit sein
Bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes bestanden in der Bundesrepublik branchenbezogene tarifliche Mindestlohnvorschriften, sodass der Streit über anrechenbare Zulagen auf den Mindestlohn nicht neu ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hielt im vergangenen Jahr fest, dass Spätschichtenzuschläge Bestandteil eines Mindestlohns sein können. Entgeltbestandteile seien beim Mindestlohn zu berücksichtigen, wenn es sich um Gegenleistungen für die erbrachte Arbeitsleistung handele (BAG, Urt. v. 16.04.2014, Az: 4 AZR 802/11).
Diese Entscheidung steht jedoch in latentem Konflikt zur Gesetzesbegründung des MiLoG. Dort ist vorgesehen, dass Zulagen und Zuschläge für Arbeit zu besonderen Zeiten oder unter besonders belastenden Bedingungen bei der Berechnung des Mindestlohns Außen vor bleiben sollen.
Man wird hier differenzieren müssen: Das Gesetz legt in § 1 II MiLoG einen Mindestlohn je Zeitstunde fest, unabhängig davon, zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen die Leistung erbracht wird. Daher sind solche Zuschläge auf den Mindestlohn grundsätzlich anrechenbar. Etwas anders gilt nur dann, wenn andere Gesetze einem Zuschlag einen besonderen Zweck verleihen. So dienen zum Beispiel die in § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz geregelten Nachtzuschläge dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten, sodass eine Anrechnung auf den Mindestlohn für diese nicht in Betracht kommt.
Einmalzahlungen nur eingeschränkt anrechenbar
Eine weitere Kategorie bilden Sonderleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld. Das Arbeitsgericht Berlin urteilte in der letzten Woche hierzu, dass solche Einmalzahlungen nicht auf den Mindestlohn anrechenbar seien, da sie nicht unmittelbar die Arbeitsleistung abgelten (ArbG Berlin, Urt. v. 04.03.2015, Az. 54 Ca 14420/14). Auch hier kommt es jedoch auf die Details an. Soll mit einer Sonderzahlung die Betriebstreue eines Arbeitnehmers honoriert werden, so wird die Leistung nicht als Gegenleistung für geleistete Arbeit erbracht und eine Anrechnung auf den Mindestlohn scheidet aus.
Etwas anderes kann gelten, wenn die Leistung entgeltbezogen erfolgt, so zum Beispiel beim 13. Monatsgehalt. Doch auch hier scheitert eine Anrechnung, wenn auch aus anderen Gründen: Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 muss der Mindestlohn spätestens einen Monat nach dem Erbringen der Arbeitsleistung gezahlt werden. Ein 13. Monatsgehalt, das im November gezahlt würde, kann also nicht anteilig auf die Mindestlohnansprüche für das gesamte Jahr verteilt werden.
Im Notfall kann die Änderungskündigung helfen
Bislang ist in Arbeitsverträgen häufig geregelt, dass dem Arbeitnehmer ein 13. Gehalt gewährt wird, welches jeweils hälftig im Juni und im November ausbezahlt wird. Will ein Arbeitgeber die Leistung auf den Mindestlohn anrechnen, muss er den Vertrag etwa dahingehend ändern, dass das 13. Gehalt künftig anteilig monatlich über das gesamte Jahr hinweg gewährt wird.
Es ist allerdings fraglich, ob Arbeitnehmer sich freiwillig auf solche Vertragsänderungen einlassen werden. Tun sie es nicht, bleibt nur die Änderungskündigung – und auch diese lässt die Rechtsprechung zum Zwecke der Gehaltsabsenkung nur dann zu, wenn das Unternehmen eine existenzgefährdende wirtschaftliche Notlage nachweist.
Der Großteil der Zulagen und Sonderzahlungen hat somit keine Auswirkung auf den nach dem MiLoG geschuldeten Stundenlohn. Statt sich auf abenteuerliche Konstruktionen wie das eingangs erwähnte Messergeld zu versteifen, kann es sinnvoller sein, diese Kosten als das zu betrachten, was sie auch in der Sache sind: Investitionen in die Funktionsfähigkeit des Unternehmens – und ins Betriebsklima.
Christian Oberwetter, Vom Fleischermesser zum Weihnachtsgeld: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14900 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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