Nach dem Berliner Entwurf zum "Mietendeckel" hat nun eine bayerische Initiative ihre Ideen zum "Mietenstopp" vorgelegt. Die scheinen praktikabler als die Vorschläge aus der Hauptstadt, scheitern aber leider am Grundgesetz, meint Michael Selk.
Mit dem Anstieg der Mieten in Ballungsräumen mit erhöhter Nachfrage nach Wohnraum steigt auch die Anzahl an Gesetzesvorschlägen, die sich des Problems annehmen wollen. Nach dem bereits intern hochumstrittenen Gesetzentwurf des Berliner Senats zum sog. Mietendeckel gibt es nun auch im Freistaat Bayern eine Gesetzesinitiative. In den sozialen Medien wird dieser deutlich weniger komplexe Entwurf, der unter dem Namen "Mietenstopp" auftritt, schon als Alternative zu dem Berliner Versuch gehandelt.
Streitig ist bekanntlich bereits, ob die Landesgesetzgeber die Kompetenz haben, solche Gesetze neben den §§ 558ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Thema bislang noch nichts sagen müssen, Gutachten liegen dazu vor, mit erwartungsgemäß je nach Veranlasser des Gutachtens unterschiedlichen Ergebnissen. So halten Prof. Dr. Franz C. Mayer und Prof. Dr. Markus Artz in ihrer von der SPD-Fraktion beauftragten Expertise vom 16. März 2019 ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers für möglich, während Ex-Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen eine Regelung auf Landesebene für verfassungswidrig erklärt.
Geht man einmal davon aus, dass die Bundesländer tatsächlich die Befugnis haben, mietpreisrechtliche Regelungen zu schaffen, stellen sich Fragen der materiellen Umsetzung. Viele, die in den vergangenen Wochen laut jubelnd die Berliner Initiative begrüßt hatten, sind nach der Sichtung des dortigen Entwurfs leiser geworden. Nun liegt ein neuer Entwurf aus Bayern vor. Er macht handwerklich einiges besser. Gerade dadurch ist aber noch zweifelhafter, ob Bayern einen solchen "Mietenstopp" überhaupt regeln dürfte.
Der missglückte Berliner Entwurf
Tatsächlich genügt der vorgelegte Berliner Entwurf nicht den Mindestvoraussetzungen an ein wirksames Gesetz. Er ist handwerklich schlichtweg missraten.
Dies ist umso bemerkenswerter, als das BVerfG doch in seinem jüngsten Beschluss zur Mietpreisbremse vom 18. Juli 2019 (Az. 1 BvL 1/18) mehrfach den großen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont hat; auch unter Berücksichtigung der abzuwägenden verfassungsrechtlichen Positionen.
Diesen Spielraum hätte der Berliner Gesetzgeber tatsächlich wirksam ausnutzen können. Das ist jedoch nicht geschehen. Zudem hat der Senat ein Bürokratiemonstrum geschaffen, in dem nicht nur die ohnehin schon erheblich belasteten Gerichte, sondern auch die Behörden in Berlin endgültig untergehen werden.
Erhebliche Kritik kam u.a. auch vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV). Der begrüßt zwar einen Mietendeckel grundsätzlich, beanstandet aber die Ausführung. Insbesondere seien zahlreiche Regelungen zu unbestimmt, wenig transparent und zu kompliziert.
Von unbestimmt bis unlogisch: die Härtefallregelungen
Dieser Kritik kann man sich nur anschließen. Ein schlechtes Beispiel sind die Härtefallregelungen in § 7, die Fälle also, in denen der Vermieter ausnahmsweise nicht gezwungen wird, die Miete zu deckeln. Gem. § 7 Abs. 2 des Entwurfs soll eine unbillige Härte insbesondere vorliegen, wenn die Beibehaltung der nach §§ 3 bis 6 des Entwurfs zulässigen, also gedeckelten Miete auf Dauer zu Verlusten für die Vermieter oder zu einer Substanzgefährdung der Mietsache führen würde.
In der ersten Variante ist diese Härtefallregelung ein Oxymoron: Schon die Beibehaltung der bislang zulässigen Miete auf Dauer führt – ohne entsprechende Erhöhungsmöglichkeit – schon zu Verlusten des Vermieters und zwar auf Dauer. Man mag einwenden, dass der Gesetzgeber diese schon durch das Gesetz eintretenden Verluste nicht gemeint haben kann. Geht man hier mit, so bleibt doch noch immer vollkommen unklar, was und wie hoch denn die "Verluste" sein sollen, die einen Härtefall begründen.
Ähnliches gilt für die zweite Variante der Härtefallregelung, die Substanzgefährdung der Mietsache. Was soll diese Gefährdung der Substanz sein, die dem Vermieter erlauben kann, die Miete doch zu erhöhen? Unbestimmt genug ist dieser Ansatz ohnehin. Als Ausnahmeregelung wird die Norm wie alle Ausnahmen bzw. Befreiungen eng auszulegen sein. Gemeint können also nicht kleinere Schäden sein wie Putzabplatzungen im Außenmauerwerk oder ähnliches, sondern es muss sich um Mängel handeln, die eben "an die Substanz gehen", im schlimmsten Falle Schwammbefall, undichte Dächer, durchnässte Wände usw.
Nur: Hat ein Gebäude erst einmal diesen Zustand erreicht, wird der Mieter die Miete ohnehin schon (erheblich) mindern. Bis dahin nimmt der Vermieter schon so viel weniger Miete ein, dass ihm eine übliche Mieterhöhung, wäre sie denn irgendwann einmal zulässig, auch nicht mehr weiterhelfen würde, um das Gebäude noch vor dem Verfall zu retten.
Die Berliner Behörden vor dem Kollaps
Nach § 9 des Entwurfs für den Berliner Mietendeckel findet ein Vorverfahren nicht statt, Rechtsbehelfe haben keine aufschiebende Wirkung. Dies wird die Umsetzung der Mietreduzierung gewissen zugunsten des Mieters beschleunigen. Jedoch: die Verwaltungsgerichte, insbesondere in Berlin, sind – auch durch die Asylverfahren – völlig überlastet. Das gilt auch für die Behörden.
Es ist davon auszugehen, dass viele Tausende von Mietern in Berlin von dem Recht, einen Antrag auf Reduzierung der Mieten zu stellen, Gebrauch machen würden. Die Berliner Behörden und die Verwaltungsgerichte müssten ihre Arbeit praktisch einstellen.
Wie in den einstweiligen Rechtsschutz-Verfahren gem. §§ 80, 80a Verwaltungsgerichtsordnung zudem hochkomplizierte Probleme wie die Ortsüblichkeit der Miete oder die Größe der Wohnfläche - Fragen, die regelmäßig durch Sachverständigengutachten geklärt werden müssen - in der Kürze der Zeit geregelt werden sollen, bleibt unerfindlich. Oder es soll wohl der (kollabierenden) Praxis überlassen bleiben.
Bußgelder, die niemand verhängen kann
Geradezu grotesk auch vor dem genannten Hintergrund der Belastung der Behörden und Gerichte wird es, wenn man sich die Regelung in § 10 (Ordnungswidrigkeiten) ansieht. So sollen gegen den Vermieter, der etwa eine überhöhte Miete vereinbart, bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Verhalten Bußgelder bis zu 500.000 Euro verhängt werden können.
Wie aber soll ein Vermieter angesichts auch der Unsicherheiten des Mietspiegels, mag er auch qualifiziert sein, wirklich wissen, was die maximal zulässige Miete im Einzelfall ist? Was ist, wenn sich das Bezirksamt bei der Herabsetzung im hochkomplizierten Verfahren gem. § 4 des Entwurfs verrechnet, also eine Miete falsch festsetzt, und der Vermieter die falsch festgesetzte Miete ignoriert? Soll es für die Verhängung eines Bußgelds auf den falschen Bescheid oder auf die materiell richtige Rechtslage ankommen?
Vor allem aber: Welche Mitarbeiter der schon durch das Verwaltungsverfahren völlig überlasteten Behörden sollen sich nun auch noch um die repressiven staatlichen Verfahren kümmern mit dem Ziel, Bußgelder zu verhängen? Und im Fall eines Einspruchs des Vermieters: Wie viele Sonderabteilungen bei den Amtsgerichten müssten gebildet werden, um auch noch diese Verfahren aufzufangen?
Die bayerische Initiative
Stellt sich dieser Gesetzentwurf quasi als Kapitulation des Landesgesetzgebers vor der Forderung nach einem Mietendeckel dar, so unterscheidet sich der Vorschlag der bayerischen Initiative von der Berliner Idee durch eine auf den ersten Blick deutlich unkompliziertere Regelung. Kürzer und einfacher, so fällt die Bewertung auf den ersten Blick aus.
Bei Bestandsmieten ist eine Erhöhung nur bis 80 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete zulässig; Mieten, die bereits höher liegen, bleiben unangetastet (Art. 2 des Entwurfs). Bei Neuvermietungen bildet die ortsübliche Vergleichsmiete die Obergrenze (Art. 3 des Entwurfs). Mieterhöhungen wegen Modernisierungen dürfen die ortsübliche Vergleichsmiete nicht überschreiten. Auf Index- und Staffelmieten darf der Vermieter sich nicht berufen.
Vieles ist deutlich übersichtlicher und sinnvoller. Dies gilt etwa für die Beschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ("leichtfertig") i.S.d. Art. 4 Abs. 1 des Entwurfs, wenn der Vermieter gegen das Gesetz verstößt. Dadurch werden die Behörden und ggf. auch die Amtsgerichte erheblich entlastet. Bußgeldverfahren gegen die Vermieter müssten demnach nur in eindeutigen Fällen eingeleitet werden.
Und ihr grundlegendes Problem
Aber auch beim bayerischen Modell zeigen sich Probleme. So wird der Begriff der Miete im Gesetz nicht definiert. Geht es also um die Nettokaltmiete? Was ist mit Nebenkosten? Unklar bleibt auch, warum bei laufenden Mietverhältnissen 80 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete die Grenze sein soll, während der Vermieter bei Neuvermietungen bis zur ortsüblichen Miete herangehen darf. Für diese Ungleichbehandlung ist kein sachlicher Grund erkennbar.
Vor allem aber: Verstöße gegen die Regelungen sollen zur Nichtigkeit des Mieterhöhungsverlangens gem. § 134 BGB führen. Anders als der Berliner Entwurf, der die mietrechtlichen Streitigkeiten den Verwaltungsgerichten zuordnet, bleibt es nach dem bayerischen Vorschlag daher bei der originären Zuständigkeit der Zivilgerichte.
Dann aber stellt sich für diesen Entwurf viel mehr noch als für das Berliner Modell die Frage nach der landesrechtlichen Zuständigkeit. Die Stimmen, die die Kompetenz des Landesgesetzgebers bejahen, setzen auf den Kompetenztitel des öffentlichen Mietpreisrechts, das nicht unter die konkurrierende Gesetzgebung Art. 74 Abs. 1 Nr.11 GG falle. Für Regelungen wie von der bayerischen Initiative vorgeschlagen wäre aber momentan ohne Grundgesetzänderung dann wieder ohne jeden Zweifel der Bundesgesetzgeber zuständig. Bayern würde so ohne behördliche Regelungsbefugnis in die originären zivilrechtlichen Regelungen eingreifen.
Die Lösung muss vom Bundesgesetzgeber kommen
Will man selbst nach einer Nachbesserung der handwerklichen Defizite nicht in verwaltungsrechtlichen Verfahren ersticken, bliebe als letztlich vernünftiger Weg nur eine Öffnungsklausel für Regelungen durch den Landesgesetzgeber in den entsprechenden BGB-Normen, den §§ 558ff BGB. Gefragt ist also der Bundesgesetzgeber. Auf der Hand liegt etwa eine Regelung wie zur Mietpreisbremse bei Neuvermietungen in § 556d Abs. 2 BGB oder bei Mieterhöhungen in § 558 Abs. 3 BGB.
Würde man dann noch die Defizite im bayerischen Entwurf beseitigen, schüfe man durch eine solche Neuregelung – wenn man sie überhaupt will – zwar mehr Arbeit für die Amts- und Landgerichte. Doch diese sind an den Themen Miethöhe, ortsübliche Vergleichsmiete o.ä. ohnehin dichter dran als die Behörden oder Verwaltungsgerichte. Gefordert ist also nach wie vor die Bundespolitik – und eine Große Koalition, die die lauten Rufe aus den Bundesländern ernster nehmen sollte.
Der Autor Dr. Michael Selk ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, für Bau- und Architektenrecht sowie für Strafrecht bei Weiland Rechtsanwälte in Hamburg. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Mietrecht, Fortbildungsreferent und u.a. Mitherausgeber der Neuen Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht (NZM).
Mietendeckel- und Mietenstopp-Pläne: . In: Legal Tribune Online, 11.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38129 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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