Das BVerfG rettet die Linkspartei – aber nur vorerst. Denn die Ansage des Gerichts ist eindeutig. Der Gesetzgeber könnte Regeln treffen, die zum Ausscheiden der Linkspartei aus dem Bundestag führen. Was sagt Gregor Gysi zu diesem Szenario?
LTO: Herr Gysi, ist das jetzt ein Erfolg für die Linkspartei?
Gregor Gysi: Ja, natürlich ist das ein Erfolg. Es gibt die Maßgabe, dass die Drei-Direktmandatsregelung (Anm. der Red.: auch Grundmandatsklausel), bis es zur Neuregelung kommt, wieder gilt. Die war ja gerade abgeschafft worden von der Koalition. Ich sage immer, die Koalition ist bedingt vorsätzlich in die Grundgesetzwidrigkeit hineingestoßen und hat vieles verletzt, was man nicht verletzen darf. Aber das ist ja zweitrangig. Erstrangig ist, dass meine Partei heute einen Aufwind erlebt.
Sind Sie wirklich Gewinner? Das Bundesverfassungsgericht hat ja recht eindeutig die Verfassungswidrigkeit der fehlenden Grundmandateklausel nur am Beispiel der CSU festgemacht. Es argumentiert, dass der Rechtfertigungsgrund der Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der CSU nicht greift. Denn die negativen Folgen einer Zersplitterung des Parlaments, wie eine schwierige Mehrheitsbildung, drohten durch die CSU nicht. Sie arbeite ja mit der CDU zusammen, bei regionaler Aufteilung bundesweit.
Doch. Sie haben ja die Maßgabe getroffen: Solange es kein neues Gesetz gibt, gilt wieder diese Direktmandatsregelung. Und so eilig hat es der Bundestag nicht.
Und dann haben sie drei Varianten angeboten. Entweder man bleibt bei der Drei-Direktmandatsregelung oder man senkt die Fünf-Prozent-Hürde. Oder man geht den Weg, zwei Parteien, die eine Fraktionsgemeinschaft bilden, zusammenzurechnen bei der Überschreitung der fünf Prozent, wie bei CDU und CSU.
Aber genau die letztere Variante wäre ja für die Linkspartei schlecht. Der Bundestag könnte also nach dem BVerfG ein neues Gesetz verabschieden, bei dem die Linkspartei auch mit drei Direktmandaten nicht in den Bundestag kommt, wenn sie die Fünf-Prozent-Hürde verpasst. Also ist es doch kein Sieg?
Wenn das Gesetz so verabschiedet würde, müsste die CSU auf ihr Mittel verzichten, die CDU unter Druck setzen zu können mit der Drohung, bundesweit anzutreten. Weil sie ja dann zwingend verheiratet ist mit der CDU. Und wie ich die CSU kenne, müsste sie ihren Charakter vollständig verändern. Und das wird sie nicht tun. Sie braucht das ja immer als Druckmittel.
Ich weiß noch, als das zugespitzt war zwischen Franz Josef Strauß und Kohl, dass dann Strauß gesagt hat: “Wir können auch eigenständig in den Bundestag gehen.” Und Kohl gesagt hat: “Wir können ja auch in Bayern kandidieren.” Und dann haben sie sich doch wieder zusammengerauft, sage ich mal.
Aber dieses Druckmittel wird die CSU nicht hergeben, sodass ich an diese Lösung, die der Senat, das Bundesverfassungsgericht, wahrscheinlich sogar bevorzugt, nicht glaube. Zumindest nicht für 2025, aber ich glaube, auch später nicht.
Jetzt gilt ja erst einmal die Ersatzregelung des Bundesverfassungsgerichts: Die Grundmandateklausel ist wieder in Kraft. Was glauben Sie, welche Regelung der Bundestag dann später verabschieden wird?
Der Bundestag wird wahrscheinlich die Frage diskutieren, ob sie die Direktmandatsklausel wieder hereinnehmen oder die Prozenthürde senken. Und wie ich die Mehrheit des Bundestages kenne, sind die alle in die Fünf-Prozent-Hürde verliebt und werden deshalb lieber die Direktmandatsklausel aufnehmen. Mir wäre es lieber, die Fünf-Prozent würde gesenkt.
Und Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW)? Gibt das Urteil Anlass, über eine Zusammenarbeit nachzudenken?
Die haben sich ja gerade von uns geschieden, wir werden ja nicht einen Tag später wieder heiraten. Außerdem müssten wir ja dann die Bundesländer aufteilen, wo wir antreten. Das geht gar nicht. Weder verzichten die auf Bundesländer, noch verzichten wir auf Bundesländer.
Besten Dank, Herr Gysi, für dieses Gespräch.
LTO-Interview mit Gregor Gysi zum Wahlrechtsurteil: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55107 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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