LG Stuttgart spricht Radsportler frei: Im Zweifel für den Dopingsumpf

von Johannes Arnhold

30.10.2013

2/2: In dubio pro reo im Fall Schumacher

Mit Schumachers Anklage wegen Betrugs gegenüber seinem früheren Arbeitgeber lag eigentlich ein Fall vor, der noch am wahrscheinlichsten zu einer Verurteilung hätte führen können. Schließlich hatte der Radprofi das Team Gerolsteiner, in Person Hans-Michael Holzcer, getäuscht, als er ausdrücklich und wahrheitswidrig im Arbeits- oder Dienstvertrag erklärte, keine Dopingmittel einzunehmen. Außerdem hatte er sich verpflichtet, seinem Arbeitgeber positive A-Proben zu melden.

Dennoch hat das Landgericht (LG) Stuttgart Schumacher nicht verurteilt. Das Gericht konnte den Verdacht nicht ausräumen, dass es eine Holczer bekannte Doping-Infrastruktur rund um die Dopingpraxis von Schumacher gab. So hatte der Radprofi bereits im Spiegel-Interview behauptet, während seiner Zeit beim Team Gerolsteiner hätten Ärzte "aktiv beim Dopen mitgemischt",  und Rennstallchef Hans-Michael Holczer habe alles gewusst. Eine Aussage, die während des Prozesses immer nachhallte, obwohl Holczer von keinem einzigen Zeugen der Mitwisserschaft bezichtigt wurde.

Einen Irrtum des getäuschten Teamchefs kann man nämlich schon dann nicht mehr annehmen, wenn man nicht ausschließen kann, dass er die Ausmaße von Dopingaktivitäten überblickt und damit auch die "Unsauberkeit" und "Unlauterkeit" des Sports insgesamt vor Augen hat.

Schützenswertes Rechtsgut: der freie sportliche (Profi-)Wettbewerb

Der Strafkammer blieben solche letzten Zweifel an Holczers Version. So folgte sie dem Grundsatz "in dubio pro reo" und sprach Schumacher frei. Es schien ihr zu schwer vorstellbar, dass er und eine Reihe weiterer, inzwischen überführter Top-Fahrer wie Bernhard Kohl, Danilo Hondo oder Davide Rebellin gedopt haben sollen, ohne dass Holczer dies mitbekommen habe. Doch selbst wenn die Einschätzung der Richter eher wie ein "Freispruch zweiter Klasse" wirkt und nicht das erhoffte, klare und eindeutige Grundsatzurteil im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 263 Abs. 1 StGB bei Dopingvergehen ist, wird durch dieses Verfahren der Systemfehler der mangelnden Kompatibilität von Betrugstatbestand und Dopingvergehen deutlich: Was nicht passt, kann schlecht passend gemacht werden.

Es kann daher nur eine Konsequenz geben: eine staatliche Norm, die das Selbstdoping unter Strafe stellt. Ihre Einführung wäre sowohl juristisch machbar als auch politisch greifbar.

Zwar gibt es bislang kein staatlich definiertes schützenswertes Rechtsgut, dessen Verletzung der Gesetzgeber sanktionieren könnte. Allerdings wäre die Professionalisierung des Sports Anlass genug, hier durch Schaffung eines solchen Rechtsguts tätig zu werden.

Schließlich kann man Doping – zumindest im Profisport – als Angriff auf den freien sportlichen Wettbewerb werten, welcher neben Aspekten wie Fairness und Chancengleichheit vor allem wachsende wirtschaftliche Indikatoren aufweist. Anders ausgedrückt: Bei Berufssportlern sollte eine Ausweitung der staatlichen Verantwortlichkeit im Sport möglich sein.

Anti-Doping-Gesetz nur noch eine Frage der Zeit

Auf Grundlage dieses Ansatzes hat das Land Baden-Württemberg im Frühjahr einen Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der strafrechtlichen Dopingbekämpfung in den Bundesrat eingebracht. Dieser sieht die Erweiterung des § 6a Arzneimittelgesetzesvor. Die Norm soll verbieten, an berufssportlichen Wettkämpfen teilzunehmen, wenn Berufssportler selbst gedopt haben. 

Aber auch an anderer Stelle scheint Bewegung in die Sache zu kommen: der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ließ nach eigenem Bekunden den Prozess in Stuttgart sehr aufmerksam beobachten und will diesen nun auswerten. Und auch die Justizminister der Länder haben sich im Juni mit einem Beschluss der Justizministerkonferenz dafür ausgesprochen, den Kampf gegen das Doping mit strafrechtlichen Mitteln effektiver zu führen. Die Einführung eines Anti-Doping-Gesetzes scheint daher trotz oder wegen des Freispruchs von Stuttgart nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Der Autor Johannes Arnhold ist Rechtsanwalt und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Öffentliches Recht an der Technischen Universität Ilmenau sowie Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Er ist Mitautor des im Januar erscheinenden Lehrbuchs zum Sportrecht.

Zitiervorschlag

Johannes Arnhold, LG Stuttgart spricht Radsportler frei: . In: Legal Tribune Online, 30.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9920 (abgerufen am: 17.11.2024 )

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