Der Telefonanbieter Telio ist deutscher Marktführer für Gefängnis-Telefone. Doch die Gefangenen beschweren sich über zu hohe Gebühren. Nun zieht ein Insasse vor Gericht – der Fall könnte bundesweit für Aufsehen sorgen.
"Wenn wir eine Phonio-Anlage aufbauen, bauen wir ganz nebenbei so einiges damit ab: Aggressionen bei den Gefangenen und Frustration bei den Vollzugsbeamten", verspricht das Hamburger Unternehmen Telio auf seiner Webseite. Die Telio Communications GmbH hat sich auf Kommunikationssysteme im Strafvollzug spezialisiert und ist damit Marktführer in Deutschland. Rund 100 Gefängnisse sind in Deutschland zurzeit mit dem Phonio-System ausgestattet. Für die Justizvollzugsanstalten verspricht Telio zahlreiche Kontrollmöglichkeiten, wenig Aufwand – und keine Kosten. Telio finanziert sich ausschließlich über die Telefongebühren der Insassen. Die sind allerdings weniger begeistert. Denn die Gebühren sind hoch.
Für Ortsgespräche zahlen die Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) 10 Cent pro Minute, für Ferngespräche 20 Cent. Für Anrufe auf einem Handy werden rund 70 Cent pro Minute fällig, Auslandsgespräche sind ab 60 Cent möglich, je nach Region aber deutlich teurer. Dagegen bekommt man draußen längst Flatrate-Tarife, die um die 20 Euro im Monat kosten. Aber im Gefängnis ist nicht draußen und den Häftlingen bleibt wenig anderes übrig, als die Tarife zu akzeptieren. Handys sind verboten, Internet ist in den meisten Gefängnissen ebenfalls nicht zugänglich oder nur stark eingeschränkt. Münzsprecher und Kartentelefone wollen die Anstaltsleitungen vermeiden, damit kein Bargeld oder eine Ersatzwährung in Telefonkarten kursiert. Telio rechnet deshalb alle Gespräche über Nutzerkonten ab, darauf können auch Angehörige einzahlen, um die Telefongebühren zu finanzieren. Auf den Anstaltstelefonen anrufen können sie nicht.
Kläger-Anwalt: Kontakt zur Familie ist wichtig für Resozialisierung
Den Gefangenen bleiben Briefe und die kurzen Besuchszeiten. "Dabei ist doch klar, dass der Kontakt zur Familie total wichtig ist für die Resozialisierung", sagt der Rechtsanwalt Jan Oelbermann. Er vertritt einen Gefangenen aus der JVA Burg bei Magdeburg. Cornelius R. telefoniert regelmäßig mit seiner Frau, sie wohnt in Niedersachsen und kann nicht jedes Mal zur Besuchszeit nach Burg kommen. R. ist seit fünf Jahren in Haft, seit Anfang 2009 hat er 12.000 Euro für Telefongebühren bezahlt. Jetzt will er die JVA dazu zwingen, die Gebühren zu senken. Er beruft sich dabei auf die Fürsorgepflicht der Anstalt für die Gefangenen. Diese sei dazu verpflichtet, den Insassen angemessene Telefonpreise anzubieten – entweder mit Telio oder mit einem anderen Anbieter. R.s Antrag auf niedrigere Telefongebühren lehnte die JVA ab, nun muss das Landgericht (LG) Stendal nach § 109 Strafvollzugsgesetz entscheiden, ob die Haftanstalt verpflichtet ist, für niedrigere Gebühren zu sorgen. Sollte sich herausstellen, dass die Gebühren unangemessen hoch sind, könnte R. versuchen, Geld zurückzubekommen.
Der Fall könnte bundesweit für Aufsehen sorgen. Denn in dem Verfahren wurde erstmals ein Sachverständiger eingeschaltet, um die Telio-Gebühren zu bewerten. Das Gutachten liegt LTO vor und kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Gebühren sind um 272 Prozent überhöht. Die Gewinnspanne schätzt der Sachverständige auf 66 Prozent – das sei "sehr hoch".
Bisher hatten die Gerichte in ähnlichen Fällen argumentiert, die Gebühren seien immerhin niedriger als die in öffentlichen Telefonzellen. Der Sachverständige hält das jedoch für nicht vergleichbar und stellt stattdessen auf das günstigste Angebot für Telefone in Haftanstalten ab. Insgesamt seien die hohen Gebühren jedenfalls nicht mit den besonderen technischen Anforderungen für Telefone im Gefängnis zu rechtfertigen. Das Phonio-System bietet den Haftanstalten etwa die Möglichkeit, Telefonate zu begrenzen, mitzuhören oder mit sogenannten "black/white lists" bestimmte Telefonnummern zu sperren oder zuzulassen. Das Gutachten geht davon aus, dass solche Techniken auch günstiger angeboten werden können. So berechne die Firma Telcis in der JVA Aachen Ort- und Ferngespräche mit 5 Cent pro Minute und Anrufe im Handynetz mit 31 Cent pro Minute.
Justizministerium: Telefon-Angebot ist Service, keine gesetzliche Verpflichtung
Telio hält das Gutachten für "vollumfänglich falsch", so Unternehmenssprecher Stefan Vidos. Der Vergleich mit günstigeren Anbietern hinke: "Das sind nicht die etablierten Marktteilnehmer, sondern Anbieter, die gerade erst versuchen am Markt Fuß zu fassen – als marktüblich kann man diese Preise nicht bezeichnen."
Das LG Stendal hat nun einen Erörterungstermin angesetzt, im September oder Oktober soll die Entscheidung fallen. Rechtsanwalt Oelbermann zeigt sich zuversichtlich: "Das Gutachten ist völlig eindeutig. Die JVA wird nicht drum herum kommen, die Gebühren zu senken." Schon jetzt liegen beim Gericht mehrere weitere Anträge aus der JVA Burg. Sollte Cornelius R. Erfolg haben, dürfte sich das auch in anderen Gefängnissen schnell herum sprechen und zu Beschwerden führen.
Die Haftanstalten stünden dann vor einem Problem: Sie haben langfristige Verträge mit Telio und das Unternehmen versucht offenbar, sich gegen Billig-Konkurrenten zu wappnen. Demnächst soll ein Vieltelefonierer-Rabatt eingeführt werden – die Insassen können dann einen festen Betrag zahlen und erhalten dafür eine Gebührenermäßigung von 25 oder 50 Prozent. Laut Telio will etwa die Hälfte der Haftanstalten mitmachen.Im Justizministerium Sachsen-Anhalt, das auch für die JVA Burg zuständig ist, sieht man das allerdings skeptisch. "Eine Einladung zum Vieltelefonieren würde die Abläufe in der Anstalt stören", erklärt Sprecher Tino Kleinert. Zu dem laufenden Verfahren in Stendal will man sich im Ministerium nicht äußern. Kleinert verweist aber darauf, dass Sicherheitsaspekte eben entsprechende Telefonsysteme erforderten. "Es ist doch sowieso eine Service-Leistung, dass wir Telefongespräche anbieten. Gesetzlich dazu verpflichtet sind wir nicht."
Ein Angebot von Telio, die Gebühren für Nutzer zu senken, wenn sich das Justizministerium dafür an den Telefonkosten beteiligt, lehnt man deshalb ab: "Wir finanzieren doch nicht die privaten Telefongespräche der Gefangenen." Wenn das LG Cornelius R. Recht gibt, müsste das Ministerium aber wohl nachverhandeln. "Auf den bestehenden Verträgen können sich die Haftanstalten nicht ausruhen", betont Rechtsanwalt Oelbermann. Er überlegt schon, für seinen Mandanten außerdem von Telio Geld zurück zu fordern: Schließlich habe R. rund 8.700 Euro zu viel gezahlt. Weil er eben ziemlich oft mit seiner Frau telefoniert. Auch wenn es teuer ist.
Annelie Kaufmann, Teure Gespräche im Gefängnis: . In: Legal Tribune Online, 12.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12870 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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