In den USA hat VW den Betrug im Abgasskandal zugegeben. Vor deutschen Gerichten mauert der Konzern weiterhin. Aber nichts zu sagen reicht nicht mehr, meint das LG Oldenburg. Nicht nach dieser Äußerung des VW-Chefs bei Markus Lanz.
Die Beschlüsse, die Günter König, Richter am Landgericht (LG) Oldenburg, gegen VW in gleich mehreren Verfahren erlassen hat, sind jeweils mehr als sechs Seiten lang. Alle Prozesse betreffen Ansprüche von Autokäufern im sog. Dieselskandal gegen Volkswagen.
Nun liegt selbiger schon einige Zeit zurück, so mancher Anspruch ist bereits verjährt. Das gilt vor allem für die kaufrechtlichen Ansprüche auf Mängelbeseitigung. Verbrauchern bleibt nun noch der Anspruch aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. In den USA hat der deutsche Autobauer längst eingeräumt, seine Kunden über die Abgasemissionen der Fahrzeuge getäuscht zu haben. In Deutschland aber ist das bis heute nicht passiert - jedenfalls nicht vor Gericht. Dort wehrt VW sich weiterhin in hunderten Verfahren gegen die Begriffe der "unzulässigen" Abschalteinrichtung und stellt sich auf den Standpunkt, nicht getäuscht zu haben – insbesondere auch nicht das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Jedenfalls der Vorstand oder leitende Mitarbeiter, so der gebetsmühlenartig und praktisch ohne Bezugnahme auf das jeweilige Einzelverfahren wiederholte Vortrag, hätten von nichts gewusst. Und überhaupt kläre man immer noch den Sachverhalt auf.
Das reicht einigen Gerichten schon länger nicht mehr. Auch Richter König vom LG Oldenburg, auf dessen Tisch gleich mehrere VW-Verfahren liegen, hat den Autobauer schon früher aufgefordert, substantiiert vorzutragen statt nur pauschal zu bestreiten. Wer denn genau im Unternehmen aus Sicht des Vorstands den "Betrug" begangen habe, fragte er in einem Verfahren noch Ende Juni 2019. Passiert ist aber nichts. Vor deutschen Gerichten sagte niemand, wer wann bei VW wovon Kenntnis hatte, wer Anweisungen gab und Verantwortung trug für die Programmierung und den Einbau der Abschalteinrichtungen. Nun reicht es König offenbar: VW habe nun genug Zeit gehabt, um genauer zu erklären, wie es denn wirklich gewesen sei.
Aufklärung könnte ausgerechnet eine Aussage des amtierenden VW-Chefs Dr. Herbert Diess in der TV-Show "Markus Lanz" bringen. Vom Moderator auf das Verhalten von VW im Dieselskandal angesprochen, gab er öffentlich zu: "Das, was wir gemacht haben, war Betrug, ja". In einem aktuellen Beschluss zieht Richter König diese Aussage nun explizit heran.
LG Oldenburg: Diess wusste genau, was er sagte
König interpretiert in dem Beschluss, über den zunächst das Handelsblatt berichtete, die öffentliche und seines Erachtens bewusst deutliche Erklärung als Abkehr von der bisherigen öffentlichen Sprachregelung von VW. Er übernehme mit dem "Wir" Verantwortung, schiebe eben nichts auf namenlose Mitarbeiter unterer Ebenen, deren Handeln dem Konzern nicht zurechenbar wäre.
Der Autobauer könne nicht einerseits durch seine Anwälte vor Gericht die Abschalteinrichtung für zulässig und das KBA für nicht getäuscht erklären, wenn sich andererseits mittlerweile selbst Diess öffentlich zur Schuld des Unternehmens bekannt habe, so argumentiert König in seinem ausführlichen Beschluss.
Gegenüber dem Handelsblatt erklärte VW, die Betrugs-Aussage von Diess sei nicht im "rechtstechnischen Sinne" zu verstehen und ändere deswegen nichts an der rechtlichen Position. Zwar habe der Konzern in den USA bereits zugestanden, ein unzulässige Abschaltvorrichtung verwendet zu haben. "Die in Deutschland und der EU verwendete Umschaltlogik ist hingegen nach unserer Rechtsauffassung legal", zitiert das Blatt einen VW-Sprecher.
Den Einwand von VW, Diess' Äußerung sei "nicht im rechtstechnischen Sinne" zu verstehen gewesen, lässt König nicht gelten. Diess habe genau gewusst, was er sagte, nichts deute auf eine Spontanäußerung hin. Der VW-Chef kenne die seit Jahren andauernde öffentliche Diskussion um den "Betrug" durch VW, wisse um seine inhaftierten VW-Kollegen und werde seit geraumer Zeit von seinen Firmenjuristen bis ins kleinste Detail beraten. Vielmehr schließt der Richter aus Diess' Äußerung, dass sehr wohl Mitarbeiter von der "Umschaltlogik" gewusst hätten, diese keineswegs für rechtmäßig hielten und auch ihre Vorgesetzten informiert hatten.
Gericht hält VW für darlegungspflichtig
Nur so erklärt sich aus Sicht von Richter König auch eine weitere, öffentlich bekannte Aussage, die er VW in seinen Gerichtsverfahren zurechnet: VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hatte im Mai 2017 gesagt, dass es nach den internen Ermittlungen der Kanzlei Jones Day bei VW keinen Abschlussbericht gebe und geben werde. "Alles andere wäre für Volkswagen unvertretbar riskant", sagte Pötsch bei der VW-Hauptversammlung. VW wolle sich nicht in Widerspruch zu einem gemeinsam mit dem US-Justizministerium herausgegebenen Statement of Facts setzen.
Dass dem Konzern zurechenbare Vertreter nichts von einer unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hätten, von diesem Pauschalvortrag will König nun endgültig nichts mehr wissen. VW sei sekundär darlegungspflichtig - und dieser Pflicht in keiner Weise nachgekommen. Man habe keine Protokolle von MItarbeitervernehmungen vorgelegt, keinerlei Angaben zu maßgeblichen Abläufen, vielleicht auch zu denkbaren unvermeidbaren Verbotsirrtümern oder zu den Zeitpunkten gemacht, zu denen höhere Entscheidungsebenen bis hin zum damaligen Vorstand Kenntnis erlangten.
Klägervertreter* Prof. Dr. Rogert von der Kölner Kanzlei Rogert und Ulbrich, die zahlreiche Geschädigte in Verfahren gegen VW vertritt, sagte gegenüber LTO: "Man muss sich schon die Frage stellen, weshalb der Vorstandsvorsitzende öffentlich Verlautbarungen abgibt, die man als Geständnis werten muss, und im Verfahren als Beklagte diese Aussage quasi als unqualifiziert abtut und am vorherigen Vortrag festhält. Man sollte sich schon der neuen Situation stellen."
Bislang ist offen, ob VW das tun oder aber an der bisherigen Strategie von Vernebelung und Verzögerung weiterhin festhalten wird. Schließlich vertritt das Unternehmen auch nach einem entgegenstehenden Hinweisbeschluss des Bundesgerichtshofs weiterhin stoisch die Auffassung, die Abschalteinrichtung sei kein Mangel im kaufrechtlichen Sinne. Und auch Ansprüche von Verbrauchern aus § 826 BGB stehen noch vor einer Hürde. Einer der Beschlüsse von Richter König endet mit einem Hinweis: Die Frage, ob es für einen Anspruch aus § 826 BGB ausreicht, wenn Managementebenen unterhalb der Vorstandsebene von der Täuschung des KBA wussten, sei weiterhin offen.
*korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 21.43 Uhr
"Das war Betrug, ja": . In: Legal Tribune Online, 09.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36393 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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