Die Stiftung Warentest ist gewohnt, zu gewinnen. Wer ihre Testurteile gerichtlich anficht, geht meist als Verlierer nach Hause. Am Montag war es andersherum. Das LG München I untersagte den Testern, zu behaupten, dass die Vollmilch-Nuss-Schokolade von Ritter Sport ein künstliches Aroma enthält. Die Urteilsbegründung enthält nach 40 Jahren mal wieder etwas Neues zu Warentests, meint Roland Schimmel.
1975 wies der Bundesgerichtshof (BGH) die Klage eines Herstellers von Skibindungen ab, der mit einem schlechten Testurteil unglücklich war (Urt. v. 09.12.1975, Az VI ZR 157/73). Im Wesentlichen verlangt die Rechtsprechung seitdem, dass die Untersuchung von Produkten und deren Darstellung neutral, objektiv, sachkundig und sorgfältig angelegt und durchgeführt werden muss. Das gelingt der Stiftung Warentest so regelmäßig, dass die Gerichte diesem Kanon ganz selten etwas hinzuzufügen hätten.
Zwar wird gleichwohl immer wieder einmal Kritik an manchen Testverfahren laut von unzufriedenen Herstellern, die Umsatz- und Imageeinbußen befürchten. Die Zahl der tatsächlich angestrengten Gerichtsverfahren bewegt sich dennoch jährlich im einstelligen Bereich. Eins dieser wenigen Verfahren hatte im vergangenen Jahr Ritter Sport angestrengt. Am Montag ging der Schokoladen-Hersteller als Sieger aus dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hervor und das Landgericht (LG) München I hatte durchaus ein paar neue Dinge festzustellen (Urt. v. 13.01.2013, Az. 9 O 25477/13).
Testurteil: Irreführende Angaben auf der Verpackung
Bei einem Test von Voll-Nuss-Schokoladen hatte die Stiftung Warentest die Sorte von Ritter Sport mit "mangelhaft" bewertet, weil diese entgegen Angaben auf der Verpackung einen künstlichen Aromastoff enthalte. Das würde Verbraucher irreführen und die Schokolade im Rechtssinne nicht verkehrsfähig machen.
Diese in der Dezemberausgabe 2013 der Zeitschrift "test" veröffentlichte Aussage ist für Ritter Sport schwer hinzunehmen. Zum einen stützt die Stiftung Warentest darauf ihr Urteil über die Schokolade als "mangelhaft". Das ist für den Hersteller unglücklich, weil es sich um ein aufwendig beworbenes Produkt handelt, dessen Verkaufspreis näher am oberen als am unteren Ende der Skala liegt, wenn man von Luxusschokoladen einmal absieht. Zum anderen betont der Hersteller seit Jahren, für seine Schokoladen kein künstliches Aroma zu verwenden. Dass also wenigstens ein Teil der Verbraucher irritiert reagiert und auf Milka umsteigt, liegt nahe.
Ritter Sport erwirkte deshalb eine einstweilige Verfügung und warf der Stiftung Warentest vor, die Zusammensetzung des geprüften Produkts nicht sorgfältig ermittelt zu haben.
Testverfahren zu aufwendig und teuer
Die streitige Aussage, Piperonal sei ein künstlicher Aromastoff, hätte man ohne allzu viel argumentativen Aufwand als eine Tatsachenbehauptung einordnen können. Die Pressemeldung des LG München I deutet an, dass das Gericht diese Möglichkeit gesehen hat ("… zumal der Anschein einer tatsächlichen Feststellung ("chemisch hergestellt") geweckt werde"). Die Stiftung Warentest hätte den Schutz der Meinungsfreiheit dann kaum beanspruchen können. Vielmehr wäre für Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der strengere Maßstab des § 824 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einschlägig gewesen. Danach ist die Ersatzpflicht nur ausgeschlossen, wenn dem sich unwahr Äußernden ein berechtigtes Interesse zur Seite steht.
Diesen Weg haben die Münchner Richter aber nicht gewählt. Vielmehr scheinen sie das Testurteil auf die übliche Weise rechtlich eingeordnet zu haben, nämlich als Meinungsäußerung, die zwar grundsätzlich weitgehenden Schutz genießt, aber bei einer Beeinträchtigung der Interessen des Herstellers gleichwohl gegen das Recht am Unternehmen abgewogen werden muss.
Dass die Stiftung Warentest den Aromastoff Piperonal als "künstliches Aroma" bezeichnet hat, sei das Ergebnis einer Auslegung der Europäischen Aroma-Verordnung. Ein Auslegungsergebnis als wertende Entscheidung zu identifizieren – noch dazu bei einer recht speziellen lebensmittelrechtlichen Vorschrift – wirkt juristisch nicht überraschend.
Gleichwohl erstaunt der Ansatz: Sollten die Presseberichte der letzten Wochen zutreffen, bestand nämlich die Besonderheit des Schokoladen-Tests eben darin, dass der naturwissenschaftliche Beweis künstlicher Herstellung gerade nicht geführt worden war, weil das einschlägige Verfahren aufwendig und teuer ist. Vielmehr hatte die Stiftung Warentest wohl aus der Menge des erforderlichen Piperonals den Schluss auf eine künstliche Herstellung gezogen. Dem war Ritter Sport unter Vorlage einer "Garantieerklärung" des Zulieferers entgegengetreten.
Ungewissheiten müssen offengelegt werden
Die Herangehensweise des Gerichts hat den Vorteil, dass es auf die Wahrheit der von der Stiftung Warentest aufgestellten Behauptung allenfalls in zweiter Linie ankommt. Das Urteil stellt maßgeblich darauf ab, dass die von der Stiftung angestellten Erwägungen den Verbrauchern hätten transparent gemacht werden müssen. Eben dies ist aber unterblieben. Auf die Schwierigkeiten und Unsicherheiten der Auslegung einer europäischen Verordnung weist der Testbericht nicht hin.
Für Nicht-Juristen wäre das sicherlich langweilig zu lesen. Diesen Effekt hätten die Tester aber in Kauf nehmen müssen, wenn sie ihr Urteil maßgeblich auf diesen Aspekt stützen. Das überzeugt: Dass von der Schokolade keine Gesundheitsgefährdung ausging, ist unstreitig. Die Bewertung mit "mangelhaft" beruht also letztlich auf der – von manchem Verbraucher vermutlich als ganz unwichtig empfundenen – möglicherweise unzutreffenden Produktbeschreibung. Den daran anknüpfenden Vorwurf nachvollziehbar darzustellen, hätten die Fachjournalisten der Stiftung Warentest gewiss leisten können.
Die erste Lektion aus dem Urteil lautet also: Wer testet, tut gut daran, Ungewissheiten im Tatsächlichen für den Leser offenzulegen. Wenn es um Rechtsbegriffe geht, bedarf es wohl auch eines Hinweises auf die Rechtsgrundlagen und auf Ungewissheiten bei der Auslegung. Die Veröffentlichung des Tests hätte vielleicht auch aufgeschoben werden können, bis solche Unsicherheiten geklärt gewesen wären.
Das Urteil aus München ist bisher nur das Ergebnis des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Vermutlich wird sich die Stiftung Warentest dagegen in der Hauptsache wehren und das kann sich über drei Instanzen erstrecken. Die Angelegenheit ist also bei weitem noch nicht endgültig entschieden.
Der Autor Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.
Roland Schimmel, Stiftung Warentest unterliegt Ritter Sport: . In: Legal Tribune Online, 13.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10644 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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