Im Juli untersagte das LG Frankfurt am Main dem Reichelt-Portal NiUS, eine Transfrau als Mann zu bezeichnen. Nun hob das Gericht seine einstweilige Verfügung wieder auf. Grund war aber kein Sinneswandel, sondern ein anwaltlicher Fehler.
Der Fall nahm seinen Ausgangspunkt im März: Einer transidenten Frau, die ihren Geschlechtseintrag schon vor Jahren auf "weiblich" hatte ändern lassen, wurde die Mitgliedschaft in einem Erlanger Frauenfitnessstudio verweigert. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes schaltete sich im Mai ein und regte eine Entschädigungszahlung der Studiobetreiberin von 1.000 Euro an.
Das von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt geführte Nachrichtenportal "NiUS" erfuhr zuerst davon und veröffentlichte in wenigen Tagen insgesamt sieben Artikel. In der Berichterstattung war stets von einem Mann die Rede, der sich Zugang zu dem Fitnessstudio habe verschaffen wollen. Absichtlich das falsche Geschlecht anzugeben, verletzt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person, entschied das Landgericht (LG) Frankfurt am Main mit Eilbeschluss v. 18. Juli und untersagte NiUS dieses Misgendern zum Nachteil der trans Frau. Das Gericht sah darin einen "Angriff auf ihre Menschenwürde" (Az. 2-03 O 275/24); LTO berichtete.
Doch nun hob das Gericht die einstweilige Verfügung auf Widerspruch von NiUS wegen eines Formfehlers wieder auf. Das teilte das Gericht am Donnerstag mit. Das Urteil liegt LTO im Volltext vor. Julian Reichelt veröffentlichte derweil bereits Urteilskopf und -tenor auf X – wobei er den Klarnamen der Betroffenen nicht schwärzte. Zudem nannte er den Namen nochmals in seinem Tweet und fügte ein unverpixeltes Foto bei. Namen und (formal: zwei andere als das nun verwendete) Fotos zu veröffentlichen, hatte das LG NiUS in seinem Verfügungsbeschluss ebenfalls untersagt.
Veröffentlichungen bleiben rechtswidrig – aber nicht verboten
Nach der vollständigen Aufhebung der Verfügung sind alle diese Äußerungen – die Bezeichnung der trans Frau als Mann sowie die Veröffentlichung von Foto mit Namen – formal nicht mehr verboten. Rechtswidrig bleiben sie nach Auffassung des Gerichts aber trotzdem. Der Entscheidung, die einstweilige Verfügung aufzuheben, ging kein Sinneswandel voraus. Vielmehr betonte die Pressekammer zu Beginn der Urteilsbegründung, dass sie "an ihrer materiell-rechtlichen Bewertung nach erneuter Abwägung und Sach- und Rechtslage festhält".
Der Grund für die Aufhebung der Unterlassungsverfügung war allein formaler Natur. Er stammt zudem aus der Zeit nach Erlass der Verfügung. Die Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt: Wer eine einstweilige Verfügung erwirkt, muss diese innerhalb von einem Monat nach Zustellung an sich auch dem Gegner zustellen (§§ 936, 929 Abs. 3 S. 2, Abs. 2 ZPO). Hintergrund ist, dass die einstweilige Verfügung sofort vollziehbar ist und die Mitteilung der Verfügung an den Gegner diese schon vollzieht (§ 929 ZPO). Da die erfolgreiche Partei den Zeitpunkt der Vollziehung selbst in der Hand haben soll, liegt die die Zustellung an den Gegner in ihrer Verantwortung (§ 922 Abs. 2 ZPO). Die zeitliche Befristung der Vollziehbarkeit auf einen Monat trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gericht im Eilverfahren die Sachlage nur vorläufig bewertet und sich jederzeit ändern kann.*
Diese Regeln wurden hier nicht eingehalten. Zwar erfolgte die Zustellung innerhalb eines Monats, allerdings an die falsche Person, nämlich an NiUS selbst und nicht – wie nach § 172 ZPO erforderlich – an dessen Prozessbevollmächtigten Reinhard Höbelt (Kanzlei Steinhöfel).
Dieser hatte in dem Verfahren erst nach der Beschlussfassung des Gerichts über die einstweilige Verfügung einen Schriftsatz eingereicht. Auch im Beschlussrubrum war er nicht aufgeführt. Im Tenor wurde der Betroffenen aufgegeben, die Verfügung NiUS selbst zuzustellen. Allerdings ging Höbelts Schriftsatz kurz nach Erlass der Verfügung bei Gericht ein, die von der Betroffenen beauftragte Anwaltskanzlei Dunkel Rechtsanwältinnen wurde davon sowie von einem weiteren Höbelt-Schriftsatz innerhalb der Monatsfrist auch unterrichtet. Es hätte also bekannt sein müssen, dass die Kanzlei Steinhöfel NiUS in dem Verfahren vertritt. Da die Zustellung aber an die Betreibergesellschaft von NiUS erfolgte, war sie fehlerhaft.
Fehler kostet Eilverfahren
Dieser Fehler wurde nach Auffassung des Gerichts auch nicht nach § 189 ZPO geheilt. Demnach gilt ein fehlerhaft zugestelltes Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der richtigen Person tatsächlich zugegangen ist. Höbelt bestritt in der mündlichen Verhandlung über den Widerspruch, den Verfügungsbeschluss einschließlich der erforderlichen Anlagen innerhalb der Frist erhalten zu haben. Dem konnte die Kanzlei der Antragstellerin nichts entgegenhalten, da sie eine Zustellung an die Kanzlei Steinhöfel nicht veranlasst hatte. Dass das Gericht selbst den Verfügungsbeschluss zwischenzeitlich formlos an die Kanzlei Steinhöfel übersandt hatte, heilt den Zustellungsmangel nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht. Denn für ein vollständiges Bild fehlten der Verfügungsantrag und die Anlagen. Selbst wenn Höbelt diese möglicherweise vorgelegen haben sollten, sei dieser nicht zu einem "Zusammenpuzzeln" verpflichtet.
Ein folgenschwerer Fehler: Weil die Frist versäumt ist, lässt sich die Verfügung nach §§ 936, 929 Abs. 2, 3 S. 2 ZPO nicht mehr vollziehen. Die Unvollziehbarkeit begründet neue Umstände, die eine Aufhebung der Verfügung nach § 927 ZPO rechtfertigen.
Gegen das Urteil ist zwar theoretisch noch die Berufung beim Oberlandesgericht möglich. Allerdings verspricht diese keine Aussicht auf Erfolg. Eine neue einstweilige Verfügung kann die Betroffene ebenfalls nicht beantragen: Zwar sind die sieben beanstandeten NiUS-Artikel nach wie vor unverändert online, doch ist zwischen ihrer Veröffentlichung und einem etwaigen neuen einstweiligen Verfügungsantrag zu viel Zeit vergangen, um noch ein Eilverfahren anzustoßen. Damit ist die Betroffene hinsichtlich der sieben Online-Artikel auf das Hauptsacheverfahren verwiesen. Dieses hätte jedenfalls in erster Instanz vor dem LG Frankfurt gute Erfolgschancen, denn das Gericht hat seine Rechtsauffassung ja bereits deutlich gemacht. Allerdings würde sich ein solches Verfahren über Jahre hinziehen.
Möglich wäre ein Eilverfahren allerdings gegen Reichelts Tweet vom Freitag, denn dabei handelt es sich um eine neue, eigenständige Veröffentlichung. Und dass die Foto- und Namensveröffentlichung die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt, hatte das LG Frankfurt im Juli schon entschieden. Ob die Betroffene Reichelt deshalb abmahnt und wie das Verfahren gegen NiUS weitergeht, müsse man nun mit der Betroffenen besprechen, teilte ihre Kanzlei LTO mit.
* Hinweis: Absatz nachträglich angepasst, weil der Gesetzeszweck nicht zutreffend wiedergegeben worden war (15.11.2024, 19:35 Uhr, mk)
Reichelt-Portal NiUS mit Erfolg gegen Transfrau: . In: Legal Tribune Online, 15.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55877 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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