Die Stadt Essen hat der AfD den Mietvertrag für die Grugahalle kurzfristig gekündigt. Die will dort ihren Bundesparteitag durchführen. Die Stadt befürchtet, auf der Veranstaltung könnten in ihren Räumlichkeiten Straftaten begangen werden.
Die AfD hat beim Landgericht (LG) Essen den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt (Az. 9 O 146/24). Ziel ist, die Messe Essen GmbH zu verpflichten, der Partei die Essener Grugahalle für den geplanten Bundesparteitag vom 28. bis 30. Juni zu überlassen. Die Messe-GmbH, deren Mehrheitsgesellschafterin die Stadt ist, hatte den Vertrag am 4. Juni gekündigt.
Bereits am 20. Januar 2023 hatten die Messe Essen und die AfD einen Veranstaltungsvertrag über die Nutzung der Grugahalle mit Foyer und Nebenräumen geschlossen. Die Stadt ist Mehrheitsgesellschafter an der Am 28. Mai dieses Jahres brachte der Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt, Thomas Kufen (CDU), eine Vorlage in Stadtrat ein, der am nächsten Tag tagte. Der Rat sollte beschließen, den Mietvertrag zu ergänzen. Nach diesem zu ergänzenden Passus sollte die Partei sich dazu verpflichten, sicherzustellen, dass auf dem Parteitag keine SA-Parolen geäußert werden. Wegen einer solchen war zuletzt der AfD-Politiker Björn Höcke verurteilt worden, die Revision ist anhängig.
Die Vorlage an den Rat war mit einer Anlage versehen. Auf 48 Seiten legt ein Soziologe dar, wann und wo entsprechende Äußerungen durch die AfD bzw. ihre Anhänger in jüngerer Vergangenheit fielen, welche Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung besteht und damit mögliche strafbare Handlungen auf dem Gelände der Messe begangen werden könnten.
Der Rat folgte dem Antrag, der Geschäftsführer der Messe – der gleichzeitig vom Rat von einer eventuellen Haftung freigestellt wurde – sollte den Passus unter Fristsetzung bis zum 4. Juni einfordern. Als diese Frist ohne Erfolg für die Stadt verstrich, erklärte die Stadt die Kündigung des Mietvertrages. Die AfD will das nicht hinnehmen und strengt nun das Eilverfahren an. Sie gibt sich überzeugt, dass der Bundesparteitag in Essen stattfinden wird.
Unliebsamen Parteien kündigen – ein Klassiker
Die Stadt Essen ist nicht die erste, die versucht, Veranstaltungen von unliebsamen Parteien zu verhindern. Bundesweit bekannt wurde die Stadt Wetzlar, die sich trotz verhängter Zwangsgelder allen Instanzen und schließlich dem Bundesverfassungsgericht widersetzte. Damals ging es um die Vermietung einer Halle an die damalige NPD.
Auch die AfD strengt solche Verfahren immer wieder an, wenn Kommunen sich quer stellen. Erst im März hatte etwa die Stadt Annweiler versucht, eine Vermietung ihrer Bürgerhalle an die AfD zu umgehen. Im Februar wollte die Gemeinde Kürten im Bergischen Land verhindern, dass die Partei das dortige Bürgerhaus für den politischen Aschermittwoch nutzt. Sie hatte daher eine Reservierungszusage zurückgezogen. Doch das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW in Münster entschied, die geplante AfD-Veranstaltung bewege sich "innerhalb der Bestimmungen der Benutzungsordnung und der bisherigen Vergabepraxis". An diese Praxis sei die Gemeinde gebunden.
Verträge über die Nutzung von städtischen Gebäuden zu verhindern oder gar zu kündigen, weil die Partei unliebsam ist, ist also nicht so einfach. Wenn städtische Räumlichkeiten an Parteien vermietet werden, so muss dies für alle Parteien gelten, solange sie nicht verboten sind. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz hatte deutlich entscheid: Wenn eine Stadt auch anderen Parteien den Saal überlässt, müsse dies auch für die AfD gelten (Beschl. v. 20.03.2024, Az. 10 B 10273/24). Zu lösen war der Fall über die Zweistufen-Theorie: Das "Ob" der Nutzung ist öffentlich-rechtlich zu beurteilen. Danach durften dort – wie grundsätzlich jetzt auch in Essen – städtische Einrichtungen genutzt werden. In der zweiten Stufe geht es um die privatrechtliche Nutzung, das "Wie" – also für welche Art von Veranstaltungen ein städtisches Gebäude genutzt werden darf.
Wie wahrscheinlich sind Straftaten?
In Essen ist auch dem Rat klar: Grundsätzlich hat die AfD einen Anspruch, der besteht sowohl nach § 8 Abs. 2 und 4 der Gemeindeordnung NRW (GO NRW) als auch nach Art. 3 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung sowie aus § 5 Abs. 1 Parteiengesetz (ParteiG) – das sagt die Stadt sogar selbst in der Ratsvorlage.
"Wenn die Kommune Leistungen an Parteien gewährt, so muss sie dies gleichheitsgemäß für alle tun", sagt Dr. Sebastian Rossner, Rechtsanwalt in der Kanzlei LLR Rechtsanwälte in Köln. Diese Gleichheitspflicht folge aus Art. 21 Abs. 1 GG, § 5 Parteiengesetz (ParteienG). Dies könne sie nur abgestuft – beispielsweise in Hinblick auf die Anzahl von Wahlplakaten – abgestuft werden nach der Bedeutung der Partei. Diese Ausnahme könne aber bei einer Vermietung nicht greifen.
Aber: "In der Rechtsprechung ist es seit langem anerkannt, dass ein Anspruch auf Zulassung zu kommunalen Einrichtungen dann nicht besteht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es im Rahmen der Benutzung einer öffentlichen Einrichtung zu Rechtsbrüchen in Form einer Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten kommt. Einem Träger hoheitlicher Gewalt, der gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, kann nicht zugemutet werden, durch die Bereitstellung einer öffentlichen Einrichtung dazu beizutragen, dass die Rechtsordnung verletzt wird", so die Stadt in der Vorlage.
Aus Sicht der Stadt liegen konkrete Anhaltspunkt dafür vor, dass auch auf dem AfD-Parteitag rechtswidrige Parolen gerufen werden könnten. Die Einschätzung des Soziologen in der Anlage zur Ratsvorlage soll dies belegen.
Wird das gerichtlich halten?
Ob diese Prognose als Argument für die kurzfristige Kündigung ausreicht, wird am 17. Juni das LG Essen zu beurteilen haben. Die AfD hat die Forderung der Stadt nach der Vertragsanpassung zurückgewiesen und geht nun gegen die daraufhin erfolgte Kündigung vor. “Ein rechtsgültiger Vertrag kann – zumindest in einem Rechtsstaat – nicht nachträglich einseitig modifiziert werden”, so die Partei in einer Mitteilung.
Sollte das LG eine nachträgliche Änderung irgendwie für möglich erachten, wird es zudem die Zulässigkeit der konkreten Klausel der Selbstverpflichtung zu beurteilen haben.
Ob die AfD zudem gegen den Ratsbeschluss beim zuständigen Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen vorgeht, ist bisher nicht bekannt. Die AfD war bis zur Veröffentlichung dieses Artikels zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen, dem VG liegt bisher weder ein entsprechender Antrag vor noch sei eine Klage anhängig, wie es auf LTO-Anfrage hieß.
Robert Hotstegs, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Düsseldorf und Partner der gleichnamigen Kanzlei, rät Kommunen, in solchen Fällen deutlich früher tätig zu werden: "Es bedarf eines Konzeptes, wem welche Räume vermietet werden. Wenn Räumlichkeiten nicht-verbotenen Parteien zur Verfügung gestellt werden sollen, schließt das auch die populistischen, auch die kleinen verfassungsfeindlichen, aber nicht verbotenen allzu häufig mit ein", so der Anwalt. "Dann bedarf es einer vorherigen klaren Vorgabe, wer die Mietverträge unterschreiben darf und ob sich Gremien – wie hier der Stadtrat in Essen – ein Mitspracherecht vorbehalten wollen. Die politische Diskussion ist vorher zu führen, möglichst losgelöst vom konkreten Anlass. Nur dann ist gewährleistet, dass die Vermieter:innen der Stadthallen gleiches Recht für alle anwenden, Gleiche gleich und Ungleiche aber auch ungleich behandeln."
Die Messe Essen wollte wegen des laufenden Verfahrens keine Stellungnahme abgeben.
Streit um Vermietung der Essener Grugahalle: . In: Legal Tribune Online, 10.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54736 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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