Prozess um Schadensersatz für Kunduz-Opfer: Wie unterscheidet man einen Taliban von einem Zivilisten?

von Claudia Kornmeier

21.03.2013

2/2: BGH zur Brücke von Varvarin

Der Anwalt der Bundesrepublik geht zudem davon aus, dass auch die Amtshaftung gar nicht greift. Die Anspruchsgrundlage passe nicht auf den Ausnahmefall einer kriegerischen Auseinandersetzung. Die NATO-Partner könnten sich nämlich nicht mehr auf Deutschland verlassen, wenn sie damit rechnen müssten, dass Deutschland bei jedem Einsatz seiner Soldaten Amtshaftungsansprüche zu befürchten habe. "Solche Handlungen sollten nicht justiziabel sein. Das wäre eine sehr lästige Situation für die Soldaten", sagte Zimmer am Mittwoch.

Vor derselben Bonner Kammer waren bereits die Verfahren "Distomo" und "Brücke von Varvarin" anhängig, in denen ähnliche Fragen geklärt werden mussten. Im Fall Distomo ging es um einen Überfall der deutschen SS während des 2. Weltkriegs auf ein griechisches Dorf. Die Gerichte hatten damals festgestellt, dass solche Kriegshandlungen keine individuellen Ansprüche Einzelner begründen könnten. Ein Ausgleich solle nur zwischen den Staaten selbst stattfinden.

"Mit den Entscheidungen zu Varvarin wurde diese Rechtsprechung relativiert", erläuterte der Vorsitzende. Zivile Opfer eines NATO-Angriffs auf die Brücke der serbischen Kleinstadt Varvarin während des Kosovo-Einsatzes hatten auf Schadensersatz geklagt. Das Verfahren landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH), der - so Sonnenberger - in seinem Urteil andeutete, dass die Distomo-Rechtsprechung nach dem 2. Weltkrieg unter Geltung des Grundgesetzes nicht mehr uneingeschränkt angewendet werden könne (Urt. v. 02.11.2006, Az. III ZR 190/05). "Die Klagen wurden zwar am Ende abgewiesen, grundsätzlich sind aber wohl individuelle Ansprüche möglich, wenn das humanitäre Völkerrecht verletzt wird", sagte Sonnenberger.

Er wies auf einen weiteren Unterschied zwischen Varvarin und Kunduz hin: "Bei dem Angriff auf die Brücke in Varvarin hat zwischen Deutschland und dem ehemaligen Jugoslawien ein Krieg geherrscht. Dass das Bombardement von Kunduz eine Kriegshandlung gegen einen fremden Staat war, kann man dagegen so einfach nicht sagen. Deutschland kämpft ja gegen Aufständische - und zwar auf der Seite der afghanischen Regierung."

Genaue Zahl der Opfer relevant für die Verhältnismäßigkeit des Angriffs

Die Kammer hält die Bundesrepublik wohl auch für den richtigen Anspruchsgegner. "Nach der Anstellungstheorie ist relevant, bei wem Oberst Klein beschäftigt ist. Das ist die Bundeswehr und damit die Bundesrepublik", so Sonnenberger.

Ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg der Klage wird dann sein, ob der Soldat gegen Vorschriften des humanitären Völkerrechts verstoßen hat, die im ersten und zweiten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen niedergelegt sind. Rechtsanwalt Zimmer warf dagegen ein: "Oberst Klein hat noch nicht einmal einen Befehl erteilt. Er hat lediglich Kampfflugzeuge angefordert, also eine Bitte geäußert." Außerdem habe der Generalbundesanwalt in seinem Einstellungsvermerk festgestellt, dass Völkerrecht nicht verletzt worden sei. Im April 2010 hatte die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Offizier und einen Hauptfeldwebel nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt, weil sie keinerlei strafrechtliche Vorschriften verletzt sah.

Relevant werden könnten dabei auch noch die genaue Zahl der zivilen Opfer und das Verhältnis zur Zahl der getöteten Aufständischen. Nach Recherchen Popals kamen 137 Zivilisten ums Leben. Auch die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass nicht nur Talibankämpfer starben; für gesichert hält sie allerdings nur insgesamt 50 Tote und Verletzte. "Die genaue Zahl macht einen Unterschied, wenn es um die Frage der Verhältnismäßigkeit des Angriffs geht", so der Vorsitzende.

Popal: "Ex-gratia-Zahlungen nicht bei Bedürftigen angekommen"

Die Bundesregierung bestreitet sogar, dass die Kläger überhaupt Angehörige von Opfern sind. "Das dürfen Sie natürlich tun", merkte der Vorsitzende an. "Aber Sie haben ja schon Zahlungen geleistet. Wie haben Sie denn da festgestellt, wer Opfer ist und wer nicht?"

Im Winter 2009 auf 2010 hatte das Verteidigungsministerium 5.000 Dollar pro Familie potenzieller Opfer ausgezahlt. "Den Menschen sollte geholfen werden, allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht", so Zimmer. Popal bemängelte daran, dass das Geld lediglich an Männer verteilt worden war. Fremde hätten sich bereichert. Bei den bedürftigen Frauen und Kindern sei dagegen nicht viel angekommen.

Nächster Termin ist der 17. April. Ein Urteil ist an diesem Tag nicht zu erwarten, vielleicht aber doch noch ein Vergleichsvorschlag, den die Kammer selbst bisher nicht gemacht hat. Ansonsten werden die Beteiligten in die Beweisaufnahme einsteigen. Dabei werden sie laut dem Vorsitzenden auch klären müssen: "Wie unterscheidet man einen Taliban von einem Zivilisten? Vor allem, wenn es ein 'Hobby-Kämpfer' ist, der tagsüber Bauer ist und nachts Taliban?"

Zitiervorschlag

Claudia Kornmeier, Prozess um Schadensersatz für Kunduz-Opfer: . In: Legal Tribune Online, 21.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8380 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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