Bayern hat in den Bundesrat den Entwurf des Kulturgut-Rückgewähr-Gesetzes eingebracht, wonach sich der bösgläubige Besitzer einer abhandengekommenen Sache nicht mehr auf Verjährung berufen darf. Damit will die Bayerische Staatsregierung "die Konsequenzen aus dem 'Schwabinger Kunstfund' ziehen". Das geplante Gesetz könnte den betroffenen Eigentümern jedoch womöglich sogar schaden, meint Lorenz Kähler.
Seit letzter Woche ist bekannt, wie Bayern die juristischen Probleme des Schwabinger Kunstfundes lösen will: nicht mit einer Verlängerung oder gar Streichung der Verjährung, sondern mit einem Ausschluss der Verjährungseinrede. Ist eine Sache etwa durch Diebstahl abhandengekommen, so soll der Anspruch auf ihre Herausgabe zwar nach wie vor verjähren. Der bösgläubige Besitzer jedoch soll sich darauf nicht mehr berufen können. Ähnlich konnte schon bisher die Verjährungseinrede in Ausnahmefällen an Treuwidrigkeit scheitern. Die "pfiffige" Konzeption, wie etwa Heribert Prantl sie in der Süddeutschen Zeitung bezeichnet, soll den verfassungsrechtlichen Einwand einer Enteignung ausräumen, die mit einer Streichung der Verjährungseinrede droht.
Von dieser Pfiffigkeit dürften sich die Gerichte allerdings kaum beeindrucken lassen. Denn letztlich kommt es darauf an, ob ein Besitzer eine gestohlene Sache herausgeben muss. Das kann man unter bestimmten Voraussetzungen durchaus bejahen. Indes vermeidet man eine Enteignung nicht allein dadurch, dass man die Verjährungseinrede des Besitzers für fortbestehend erklärt. Verliert er das Bild, ist es kein Trost, dass er wenigstens die Verjährungseinrede behält. Die Eigentumsfreiheit schützt auch tatsächliche Positionen und nicht nur virtuelle Rechte.
Fahrlässigkeit soll weiterhin nicht schaden
Interessant ist auch die Sicherheit, mit der die Bayerische Staatsregierung davon ausgeht, mit dem Gesetz die durch den Schwabinger Kunstfund aufgeworfenen Fragen zu lösen. Denn das setzt voraus, dass Cornelius Gurlitt kein Eigentum erworben hat und die Herausgabe deshalb nur an der Verjährung scheitert. Das ist denkbar, aber mangels eines Verfahrens unter Beteiligung der bisher vielfach unbekannten Opfer keinesfalls geklärt. Ein Gericht kann durchaus zum Ergebnis kommen, dass Gurlitt die Fremdheit der Bilder zwar hätte erkennen können, sie sich ihm aber nicht hätte aufdrängen müssen. Dann hätte er "nur" fahrlässig gehandelt, wäre aber nicht bösgläubig gewesen und hätte folglich das Eigentum durch Ersitzung erworben.
Der Gesetzentwurf bestätigt indirekt, dass er dann selbst diejenigen Bilder nicht mehr herausgeben müsste, die den Opfern einst durch Raub entwendet wurden. Die Fahrlässigkeit späterer Erwerber, die schon nach geltendem Recht nicht schadet, soll nach dem Gesetzentwurf weiter unbedenklich bleiben. Sie sollen schutzwürdiger als die Opfer sein, obwohl diese sich nichts haben zu schulden kommen lassen. Das wäre eine fragwürdige Form der Vergangenheitsbewältigung.
Das Hauptproblem wird sogar verschärft: die Beweislast
Bedenklicher aber noch sind die möglichen Auswirkungen des geplanten Gesetzes auf die Beweislast. Entscheidend ist vor allem, ob der Erwerber selbst seinen guten Glauben beweisen muss oder ob diesen der ursprüngliche Eigentümer widerlegen muss. Denn die maßgeblichen Vorgänge liegen lange zurück, sind kaum dokumentiert und daher schwer nachzuweisen. Nach dem bayerischen Gesetzentwurf obliegt der Beweis "in den hier einschlägigen Fällen in der Regel" demjenigen, der die Herausgabe begehrt, also dem ursprünglichen Eigentümer und seinen Nachfahren. Dem widerspricht allerdings die neuere Rechtsprechung, die für abhandengekommene Sachen die Beweislast demjenigen auferlegt, der sich auf eine Ersitzung beruft (unter anderem OLG Celle, Urt. v. 17.09.2010, Az.: 4 U 30/08). Da dies jedoch nur auf einer Analogie beruht, ist die Grundlage dafür vergleichsweise schwach.
Diese Grundlage droht daher zu zerbrechen, wenn sich die Sichtweise des Gesetzentwurfs durchsetzt. Denn dann steht das Argument im Raum, der Gesetzgeber habe eine abschließende Regelung zu geraubter Kunst getroffen. Man müsse danach die Beweislast dem Eigentümer auferlegen, der sein Bild von einem anderen verlangt. Der Eigentümer wird zu diesem Beweis häufig nicht imstande sein. Wie soll man auch Jahrzehnte zurückliegende Vorgänge beweisen, an denen man nicht selbst beteiligt war? Dass "Lücken und Unklarheiten in der Frage der Herkunft" der im Dritten Reich entwendeten Bilder unvermeidlich sind, hatte bereits die Washingtoner Erklärung zur von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Kunst betont. Umso mehr erstaunt, dass sich die Bayerische Staatsregierung jetzt auf den Geist der gemeinsamen Erklärung von Bund und Ländern beruft, die genau diese Washingtoner Erklärung umsetzen will. Denn die bayerische Position zur Beweisfrage trägt diesen Schwierigkeiten gerade nicht Rechnung.
Der Eigentümer ist auch bei Verjährung nicht völlig rechtlos
Ebenso problematisch ist die Annahme im Gesetzentwurf, dass im Falle einer Verjährung das Eigentum "nahezu vollständig entwertet" sei. Dem widerspricht, dass der Herausgabeanspruch der zentrale, aber nicht der einzige Anspruch ist, der aus dem Eigentum fließt. Dem Eigentümer bleiben etwa neu entstehende Ansprüche auf Schadensersatz oder auf Unterlassung einer Beeinträchtigung. Das gibt ihm eine schon jetzt nicht zu unterschätzende Verhandlungsposition. Diese stellt der Entwurf in Frage, indem er mit dem Herausgabeanspruch auch andere Ansprüche des Eigentümers für erledigt hält. Gerade wegen dieser Ansprüche muss eine Neuregelung keine Enteignung darstellen. Allein durch die Verjährung eines Herausgabeanspruchs erwirbt niemand Eigentum und wird das Recht des Eigentümers nicht vollständig ausgehöhlt.
Sollte der jetzige Entwurf Gesetz werden, so muss sich die Sichtweise seiner Begründung nicht durchsetzen. Die Gerichte können über sie hinweggehen, solange sie im Gesetzestext nicht deutlich formuliert ist. Darauf aber sollte man es nicht ankommen lassen. Wenn man die durch den Kunstfund aufgeworfenen Fragen befriedigend regeln möchte, darf man daher die Rechtslage der Eigentümer nicht schlechter darstellen, als sie ist. Vor allem aber sollte man entscheiden, wer schutzwürdiger ist: Der Eigentümer, dem ein Bild geraubt wurde, oder der Besitzer, der diese Herkunft fahrlässig verkannt hat. Solange man den Opfern einen Schutz versagt und die Fahrlässigkeit der "glücklichen" Besitzer für unerheblich erklärt, bleibt das einstige Unrecht bestehen.
Der Autor Prof. Dr. Lorenz Kähler ist Inhaber eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bremen.
Schwabinger Kunstfund: . In: Legal Tribune Online, 14.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10651 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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