Claudia Pechstein wurde für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt. Bei der juristischen Aufarbeitung gibt sie sich jedoch sportlich-kampfbereit, zuletzt mit einer "Athletenerklärung", in der sie und 55 renommierte Hochleistungssportler die faktisch alternativlose Unterwerfung unter die Sportgerichte bemängeln. Von Sportrechtsexperten erntet sie heftige Kritik – zu Unrecht, findet Markus H. Schneider.
Claudia Pechstein ist eine herausragende Sportlerin. Ihre unzähligen nationalen und zahlreichen internationalen Titel sprechen für sich. Doch sie macht auch abseits des Eisschnelllaufs von sich reden, zuletzt durch eine von ihr ins Leben gerufene Protestaktion gegen eine Erklärung, mit der Profisportler sich der Gerichtsbarkeit des Internationalen Sportgerichtshofs CAS unterwerfen.
Pechstein macht geltend, für Profisportler gebe es faktisch keine Alternativen zu einer Unterzeichnung der Erklärung, weshalb diese nicht im eigentlichen Sinne freiwillig und auch nicht in Kenntnis der vollen Tragweite ihres Inhalts erfolge. Die Kritik, die sie hierfür geerntet hat, ist nicht nur unberechtigt, sondern geradezu unerhört.
Dabei geht es nicht um das Ergebnis. Insoweit ist der unter anderem von Jens Adolphsen vertretenen Ansicht durchaus zuzustimmen. Schiedsgerichte sind im Sport nicht nur sinnvoll, sie sind notwendig. Ihre Abschaffung könnte im Ergebnis zu fatalen Folgen für den gesamten Sport führen. Wettkampfergebnisse, das Elixier des Sports, hätten im Zweifel nur provisorischen Charakter. Sie stünden unter dem latenten Vorbehalt der Nachprüfung ordentlicher Gerichte. Das allein wäre vielleicht noch zu ertragen. Tatsächlich sind Sportschiedsgerichte aber vor allem eines: schneller, effektiver und sachnäher. Die rechtskräftige Bestätigung des Medaillenspiegels einer Olympiade erst nach jahrelangem Kampf durch die ordentlichen Gerichtsinstanzen interessiert niemanden. Die Vorstellung ist absurd.
Sportler haben ein Recht, sich auf ihre Grundrechte zu berufen
Dennoch: Claudia Pechstein darf selbstverständlich ihre Rechte zur Nachprüfung stellen. Dabei darf sie gleichfalls die Frage aufwerfen, ob ihre Grundrechte im Rahmen der Beziehung zum Sportverband tangiert sind. Hierzu darf sie sich auch der Hilfe bzw. Unterstützung Dritter bedienen. Sie für dieses legitime Verhalten zu kritisieren, ist verfehlt.
Das Rechtsverhältnis von Sportlern und Sportverbänden ist zivilrechtlicher Natur. Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Sie stellen eine objektive Wertordnung dar, die Ausstrahlung auf das gesamte Recht hat. Tatsächlich verlangt aber der Grundsatz der Privatautonomie, der ebenfalls verfassungsrechtlichen Schutz genießt, den Privatrechtsverkehr vor direktem Einfluss der Grundrechte freizuhalten.
Deshalb gelten Grundrechte nicht unmittelbar im Privatrecht und stellen keine Verbotsgesetze im Sinne des § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dar. Allerdings finden sie mittelbar über die zivilrechtlichen Generalklauseln Geltung, wie etwa über das "Verbot" der Sittenwidrigkeit in § 138 BGB oder über den Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB.
Die Frage, ob Grundrechte im Privatrecht Wirkung entfalten, ist letztlich unumstritten. Lediglich bei der Frage, wie sie dies tun, bestehen seit jeher Diskussionen. Und gerade deshalb sind die von Claudia Pechstein und ihrem Rechtsanwalt aufgeworfenen Fragen wichtig und bedürfen einer klaren Antwort.
Sportverband in staatsähnlicher Position
Wie stark die Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht ist, hängt entscheidend davon ab, wer sich auf privatrechtlicher Ebene gegenübersteht. So kann sich der Einzelne Monopolstellungen bzw. extremen Marktmächten ausgesetzt sehen, oder sonst in wirtschaftliche und persönliche Abhängigkeitsverhältnisse und Ähnliches geraten. Kommt Einrichtungen und Organisationen Monopolcharakter zu, dann ist für die Betroffenen eine Situation sozialer Übermacht gegeben, die der Staat-Bürger-Beziehung ähnelt und deshalb einen entsprechenden grundrechtlichen Schutz rechtfertigt.
So sieht es im Verhältnis Sportler-Sportverband aus. In dieser Beziehung ist der Sportverband Träger gesellschaftlicher Macht im Privatrecht. Deshalb sollte er zwar nicht seiner eigenen Grundrechte entledigt werden. Wenn es jedoch zu einer Abwägung zwischen seinen Grundrechten und jenen der unter seiner Organisation tätigen Sportler kommt, so muss die Machtposition des Verbandes hierbei berücksichtigt werden. In Zweifelsfällen ist dem Schutz der Sportler daher Vorrang zu gewähren. In dubio pro athleta.
Grundrechte der Sportler sind mit denen der Sportverbände abzuwägen
Claudia Pechstein und zahlreiche ihrer Kolleginnen und Kollegen stehen nun auf dem Standpunkt, die Unterwerfung unter die Athletenvereinbarung sei nicht freiwillig und daher rechtswidrig.
Bei der Unterzeichnung sei man sich nicht bewusst gewesen, auf das Recht zu verzichten, ein ordentliches Gericht anzurufen. Insbesondere – und das mag letztlich der entscheidende Aspekt sein – sei man sich nicht darüber im Klaren gewesen, in einer Auseinandersetzung über einen Verstoß gegen das Dopingreglement in einem Schiedsgerichtsverfahren vor dem CAS beweisen zu müssen, nicht schuldhaft gedopt zu haben.
Diese sogenannte "strict liability" zulasten der Sportler stellt in der Tat eine Abweichung vom deutschen Recht dar. Dort gelten die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Selbst feine Unterschiede der Beweislastverteilung können den Ausgang eines Streitfalls entscheidend beeinflussen.
"Friss oder stirb"
Im Ergebnis läuft die Problematik auf eine Abwägung des Justizgewährungsgrundrechts der Sportler gegen die Vereinsautonomie der Sportverbände hinaus. Wessen Recht ist der Vorrang zu geben? Liegen in diesem Einzelfall Zweifel vor? Wohl nein. Der Nutzen der Sportgerichtsbarkeit für den Sport im Ganzen ist evident.
Dennoch: Claudia Pechstein schadet dem Sport nicht. Vielmehr ist ihr Streit um Grundrechte Anlass, die "bewährte" Praxis im Sport zu überprüfen und zu revidieren. Athleten darf nicht einfach vor Erteilung einer Starterlaubnis eine nicht verstandene Athletenerklärung vor die Nase gehalten werden. Motto: "friss oder stirb", "unterzeichne oder geh heim".
Aufklärung ist das Gebot. Die überragende Mehrheit der Sportlerinnen und Sportler wird den Sinn der Schiedsgerichtsbarkeit im Sport im eigenen Interesse verstehen. Wenn schon das gelingt, ist das Verhalten von Claudia Pechstein nicht zu kritisieren, sondern hat gleiche Anerkennung verdient, wie ihre sportlichen Leistungen.
Der Autor Dr. Markus H. Schneider ist Partner in der Kanzlei Dr. Schneider und Partner in Karlsruhe. Er promovierte zu einem sportrechtlichen Thema und ist Lehrbeauftragter für Sportrecht an der Universität Karlsruhe (KIT).
Leistungssportler und die ordentliche Gerichtsbarkeit: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9956 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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