Wiederholt hat sich der BGH in der Vergangenheit mit der Frage auseinandergesetzt, wie kurze Textauszüge aus einer Webseite, so genannte Snippets, urheberrechtlich zu bewerten sind. Für die betroffenen Verlage will die Bundesregierung nun klare Verhältnisse schaffen – mit möglicherweise weitreichenden Folgen für die Funktionsweise des Internet insgesamt. Von Markus Ruttig.
In einem Interview mit dem Internetradiosender DRadio Wissen hat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger bestätigt, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage in das Urheberrechtsgesetz aufnehmen will.
Dies war bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden. Dort heißt es, dass ein entsprechendes Recht den Schutz von Presseerzeugnissen im Internet verbessern soll. Ziel ist es, den Verlagen einen Vergütungsanspruch für den Fall zu gewähren, dass etwa Suchmaschinenbetreiber wie Google Meldungen ausschnittweise und unverändert als so genannte Snippets im Internet übernehmen.
Tatsächlich scheint sich der Anwendungsbereich eines neuen Leistungsschutzrechts für Presseverlage auf diesen Anwendungsfall zu beschränken. So passen etwa das Verlinken und auch das Suchmaschinencrawling weder unter das vom Leistungsschutzrecht umfasste Vervielfältigungsrecht noch unter das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
Das eigentliche Problem der angestrebten Regelung aber besteht darin, dass ein solcher Vergütungsanspruch nicht in die rechtliche Landschaft passt. Zudem muss der Gesetzgeber aufpassen, dass er sich nicht in Widersprüche verstrickt, wenn er plötzlich auch bei Schriftwerken "kleinste Kleinigkeiten", die bislang frei zugänglich waren, mit Hilfe des Urheberrechts schützen will.
BGH: Nicht nur Inhalt, sondern auch Form geschützt
Die Internetgemeinde definiert den Begriff "Snippet" als einen kurzen Textauszug aus einer Webseite, angezeigt in der Ergebnisliste einer Suchmaschine. Das Wörtchen "kurz" lässt den mit dem Urheberrecht Vertrauten sofort aufhorchen. Zwar knüpft der Schutz grundsätzlich nur an die Individualität und Gestaltungshöhe geistigen Schaffens an. Bei "kurzen" Leistungsergebnissen allerdings, der so genannten kleinen Münze, sind Individualität und Gestaltungshöhe eben nur sehr schwer zu bestimmen.
Ob sie vorliegen, ist stets eine Frage des Einzelfalls, wie der Bundesberichtshof (BGH) erst kürzlich für so genannte Abstracts entschieden hat. In dieser "Perlentaucher-Entscheidung" haben die Karlsruher Richter allerdings betont, dass bei einem Schriftwerk urheberrechtlich nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form und damit die sprachliche Gestaltung geschützt sein können. Für einzelne Wörter gilt dies – anders als bei einzelnen von einem Tonträger entnommenen Tonfolgen - hingegen nicht (Urt. v. 01.12.2010, Az. I ZR 12/08).
Auf der anderen Seite hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der so genannten Infopaq-Entscheidung bereits klargestellt: Eine Aneinanderreihung von elf Wörtern kann durchaus eine eigene geistige Schöpfung darstellen (Urt. v. 16.07.2009, Az. C-5/08).
Nutzung nicht zwangsläufig unberechtigt
Unterstellt man bei hinreichender Wortfolge einmal die grundsätzliche urheberrechtliche Schutzfähigkeit der Snippets, bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass ihre Schöpfer, also die Journalisten, hieran ein Urheberrecht besitzen. Es handelt sich ja um ihre individuellen geistigen Schöpfungen beziehungsweise Teile davon.
Das Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung nach §19 a Urheberrechtsgesetz (UrhG) an ihrem Werkschaffen dürften die Journalisten allerdings dem Verleger eingeräumt haben, der ihren Artikel online oder offline nutzt. Damit kann der Verlag nur dann selbst wegen einer unberechtigten Nutzung auch von Textauszügen der jeweiligen Artikel rechtlich vorgehen, wenn er exklusiver Rechteinhaber ist. Eine einfache Rechteeinräumung, die nicht branchenunüblich ist, reicht für die Klagebefugnis nicht aus. Dies ist ein Grund für die Forderung der Verlage nach einem eigenen Leistungsschutzrecht.
Doch eine weitere, entscheidende Hürde für die Rechtsdurchsetzung kommt hinzu: Die Nutzung in Form von Snippets muss unberechtigt erfolgen. Auch hierzu gibt es höchstrichterliche Rechtsprechung, die das nicht ohne weiteres annimmt. So lässt sich der gerade einmal ein Jahr alten "Vorschaubilder-Entscheidung" des BGH in der Tat entnehmen, dass der Betreiber einer Suchmaschine, der Abbildungen von durch Dritte ins Internet eingestellte Werke als Vorschaubilder (so genannte Thumbnails) in der Trefferliste auflistet, die abgebildeten Werke zwar nach § 19a UrhG öffentlich zugänglich macht.
Einen rechtswidrigen Eingriff in urheberrechtliche Befugnisse verneint der 1. Zivilsenat aber, wenn die Berechtigten in die rechtsverletzende Handlung eingewilligt haben. Das sei schon dann anzunehmen, wenn der Zugriff auf die Inhalte ohne weiteres möglich ist und der Rechteinhaber insbesondere von technischen Sperren keinen Gebrauch macht (Urt. v. 29.4.2010, Az. I ZR 69/08).
Probleme zwar identifiziert, aber noch nicht komplett gelöst
Der Gesetzgeber steht damit vor dem Problem, dass die Nutzung bestimmter Inhalte einer Vergütungspflicht unterworfen werden soll, obwohl diese Nutzung vom Rechteinhaber bislang geduldet und vom ihm nicht verhindert wird, was ihm technisch möglich wäre. Eine Vergütungspflicht für die Nutzung von Snippets, die ein entsprechendes Verbietungsrecht für die Presseverlage voraussetzt, widerspricht außerdem dem höchstrichterlichen Verständnis von der Reichweite des Urheberechtsschutzes im Internet und dessen Funktionsweise.
Aus diesem Grund können gegenwärtig nicht einmal die Urheber der Texte selbst erfolgreich Unterlassung verlangen. Dafür müsste die Rechtsprechung vom Gesetzgeber korrigiert werden - womöglich zu Gunsten aller Rechteinhaber mit dann allerdings weitreichenden Folgen nicht nur für Suchmaschinenbetreiber und andere Metaportale, sondern für die Funktionsweise des Internet insgesamt.
Eine bloße Verlinkung von und auf frei zugängliche Beiträge dürfte mit dem Leistungsschutzrecht für Verlage ohnedies weder verhindert noch vergütungspflichtig werden. Auch hier drohte sonst ein Widerspruch mit der Rechtsprechung des BGH ("Paperboy-Entscheidung", Urt. v, 17.7.2003, Az. I ZR 259/00).
Zwar hat die Bundesjustizministerin in dem eingangs genannten Interview auch darauf hingewiesen, dass die künftige Gesetzgebung sich an der digitalen Agenda der Europäischen Union orientieren wird. Es ist allerdings zweifelhaft, ob Deutschland gut beraten ist, eine Vergütungspflicht für Snippets ausschließlich für Presseverlage im Alleingang einzuführen. Die Probleme einer solchen Pflicht sind in der nunmehr zweijährigen Debatte zwar identifiziert, aber noch nicht zufriedenstellend gelöst worden.
Der Autor Dr. Markus Ruttig ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz bei CBH Rechtsanwälte in Köln und Dozent für Medienrecht an der Fachhochschule Fresenius. Einer der Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegt im Urheber- und Presserecht, er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen auf diesem Gebiet.
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Markus Ruttig, Leistungsschutz für Presseverlage geplant: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3300 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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