Sie liefern Essen aus oder sammeln E-Roller ein, ihre Aufträge bekommen sie per App: Crowdworker gelten meist als Selbstständige, Anspruch auf Mindestlohn und Urlaub haben sie nicht. In München klagt einer von ihnen nun auf Beschäftigung.
Diese Menschen arbeiten mit ihrem Computer oder Smartphone. Sie installieren eine App und bekommen darüber Aufträge von Unternehmen, einen nach dem anderen. Gelegentlich dürfen sie einen Auftrag wegdrücken, doch nicht zu oft, sonst bekommen sie irgendwann gar keine mehr. Wie viel Geld sie für ihre Arbeit bekommen, ist festgelegt vom Unternehmen. Sind sie schnell, ist der Stundenlohn passabel bis hoch, in anderen Fällen wird der zum Januar 2015 eingeführte Mindestlohn von damals 8,50 Euro nicht ansatzweise erreicht.
Dass muss er aber auch nicht, denn die Menschen, von denen die Rede ist und die als sogenannte Crowdworker arbeiten, gelten in aller Regel als Solo-Selbstständige, also allein arbeitende Menschen ohne Mitarbeiter. Es sind diejenigen, die das bestellte Essen liefern, die irgendwo abgestellten E-Roller wieder einsammeln oder für Unternehmen Fotos von Waren im Supermärkten machen, die am Ende die Verkäufe optimieren und damit den Gewinn steigern können.
Nicht selten tätig für das immer gleiche Unternehmen
Einer dieser Menschen hat einige Zeit für Roamler gearbeitet, einem niederländischen Crowdworking-Anbieter mit Niederlassungen in diversen, meist europäischen Ländern. Eine davon ist in München. Der Mann hatte die entsprechende App installiert, erledigte eine Vielzahl von Aufträgen, brachte es zum Besten Roamler des Jahres und lag mit seinem Verdienst über dem Mindestlohn. Üblich ist, dass der räumliche Umkreis der möglichen Aufträge anhand des Standorts des Crowdworkers begrenzt wird. Für diesen Mann hob das Unternehmen diese Einschränkung sogar auf - bis es zu, um es weitestgehend neutral zu formulieren, Unstimmigkeiten kam.
Roamler beendete die Zusammenarbeit, der Mann konnte keine weiteren Aufträge mehr über das Handy annehmen. Bis dahin hatte er rund 15 bis 20 Stunden die Woche für das Unternehmen gearbeitet und so rund 60 Prozent seiner Einkünfte erzielt. Er klagte.
Es geht dabei um die Frage, ob er tatsächlich Selbstständiger ist und wie die Arbeit 4.0 ausgestaltet sein muss, um vom Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses ausgehen zu können. Denn ohne ein solches gelten für Crowdworker wie ihn keine Kündigungsfristen, es gibt keine Sozialbeiträge und damit keine Arbeitslosenversicherung.
Arbeit so verschieden wie die Apps
In der ersten Instanz verlor der klagende Crowdworker vor dem Arbeitsgericht München (Urt. v. 20.2.2019, Az. 19 Ca 6915/18). Am kommenden Mittwoch geht es vor dem Landesarbeitsgericht (LArbG) München weiter (Az. 8 Sa 146/19). An seiner Seite stehen der Arbeitnehmeranwalt Dr. Rüdiger Helm und die IG Metall, bei der der Mann Mitglied ist. Die Gewerkschaft macht sich stark für Crowdworker: Ein neues Klientel für die Metaller, wo doch anderen Orts Mitglieder teils ganzer Branchen wegbrechen.
Der Gewerkschaftssekretär Robert Fuß, beschäftigt im Projekt Crowdsourcing beim IG Metall Vorstand, erwartet vom LArbG keine Musterentscheidung, die generell auf andere Crowdworker übertragbar wäre: "Es gibt Kriterien, anhand derer sich ein Arbeitnehmerstatus feststellen lässt", erklärt er. "Arbeitsrechtlich betrachtet sind das die persönliche Abhängigkeit des Beschäftigten, der Anteil am Einkommen, der mit dieser Arbeit erzielt wurde, die Einbindung in den Betriebsablauf und die Weisungsgebundenheit. Im Allgemeinen passen diese Kriterien auf Crowdworker meist nur sehr eingeschränkt.
"Verglichen mit dem Normalarbeitsverhältnis sind die Konstellationen, in denen die Menschen als Crowdworker tätig sind, so verschieden wie die Apps, mit denen sie arbeiten", sagt der Gewerkschafter Fuß.
Sind Crowdworker weisungsgebunden?
Tatsächlich gebe es zwar einen kleinen Anteil unter den Crowdworkern, der gut verdiene und daher gut von dieser Art der Arbeit leben könne. "Für die Masse gilt das allerdings nicht. Crowdworker tragen allein das soziale Risiko wie etwa die fehlende Rentenversicherung, die sich sonst Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen", so Fuß. Absprechen über ihren Lohn dürften sich die so arbeitenden Menschen übrigens auch nicht – als Selbstständige fielen sie unter die kartellrechtlichen Regelungen, nach denen Preisabsprachen verboten sind. Die Arbeit 4.0 unterscheide sich von den herkömmlichen Beschäftigungsverhältnissen so sehr, dass umfangreiche Reformen notwendig seien.
Das betrifft etwa die Aufträge: Wie ist es zu beurteilen, dass die Aufträge über die App übermittelt werden und es gar keine Betriebsstätte mehr gebe? Und dass Algorithmen darüber entscheiden, welche Aufträge angezeigt werden – und es weniger werden können, wenn zu viele Aufträge abgelehnt werden? Gerichte in anderen Ländern seien so schon zu der Einschätzung gelangt, zum Beispiel Uber-Fahrer als Arbeitnehmer einzustufen, sagt Fuß.
Ein weiteres Beispiel dafür, wo es Probleme bei der Einordnung geben kann: die Weisungsabhängigkeit. So sei es bei Essenslieferanten üblich, dass dem Fahrer genau mitgeteilt wird, welche Lieferung er auszuführen hat – eine Auswahl ist nicht möglich, die Fahrer sehen nur diesen einen Auftrag, so der Gewerkschafter. Liegt darin eine Weisung, wie sie für ein Beschäftigungsverhältnis üblich ist?
Roamler: Jeder entscheidet frei
Beim beklagten Unternehmen Roamler läuft das alles allerdings etwas anders: Dort werden die Aufträge auf der Roamler-Plattform im Wege einer Auslobung bereitgestellt, die Interessierten laden sich die App aus einem App-Store herunter. Sind sie registriert und haben das App-Training durchlaufen, können sie auswählen, welche Aufträge sie annehmen – und welche nicht. Haben die Nutzer den Auftrag angenommen, können sie ihn ausführen oder letztlich doch noch abbrechen. Die Bezahlung erfolgt, wenn sie den Auftrag dann entsprechend der Auftragsbeschreibung erledigt haben.
"Unsere Idee ist, dass die Menschen ihr Arbeitsleben vollkommen frei gestalten können", sagt Geschäftsführer Florian Weigel, selbst Volljurist und einst für einen internationalen Vertriebsdienstleister tätig. "Jeder entscheidet selbst, was er wann und wie machen will". Es gebe weder eine Integration ins Unternehmen noch eine Pflicht zur Annahme bzw. Durchführung eines Auftrags. "Und die wirtschaftliche Abhängigkeit – selbst wenn eine solche vorliegen sollte", sagt Weigel, "spielt nun einmal für die Statusfrage keine Rolle." Das sei höchstens relevant für die Beurteilung, ob der Nutzer ein arbeitsähnlicher Selbstständiger ist – die Betonung liegt hier aber auf Selbstständiger und damit ist dies allein eine rentenversicherungsrechtliche Frage.
Mit dem Fall des ehemaligen, nun klagenden Mitarbeiters, der sich als Gewerbetreibender bei Roamler angemeldet und seine Rechnungen mit Umsatzsteuer ausgewiesen habe, sei die Rentenversicherung Bund schon befasst gewesen: "Die haben den Arbeitnehmerstatus bereits geprüft und abgelehnt."
BMAS prüft Regelungen
Rüdiger Helm, der Anwalt des Klägers in München, geht davon aus, dass jedenfalls die meisten Microtasker, das sind Crowdworker, die durch unselbständige Produktionsschritte an der Entstehung eines Gesamtprodukts mitwirken oder einfache Zuarbeiten, wie Lieferdienste für eine Plattform erbringen, entgegen ihrer eigenen Einschätzung Arbeitnehmer sind.
Dass das so ist, muss der Kläger allerdings selbst beweisen: "Und hier haben wir das nächste Problem: In diesen sogenannten Statusklagen, also Klagen auf die Feststellung, ob jemand Arbeitnehmer ist oder Selbstständiger, müssen die Kläger alle Beweise beibringen", sagt Helm. Und weiter: "Diese Klagen müssen in den Zuständigkeitskatalog des § 2a Arbeitsgerichtsgesetz aufgenommen werden, damit hier ein Amtsermittlungsgrundsatz greifen kann." Denn die zu klärenden Rechtsfragen sind über den Einzelfall hinaus bedeutend und die Beschäftigten, so der Anwalt, hätten gar nicht ausreichend Zugriff auf die Unternehmensstrukturen, um irgendwelche Beweise beibringen zu können.
Eine Überraschung ist das nicht: Schließlich haben sie zum Arbeiten nur das eigene Handy. Eine Handlungsnotwendigkeit hat übrigens auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erkannt: "Der Arbeitsmarkt ist mit neuen, digitalen Akteuren konfrontiert, deren Geschäftsmodell darauf beruht, Arbeit und Dienstleistungen zu vermitteln", erklärte eine Sprecherin auf Anfrage der LTO. "Gute Arbeit in der Plattformökonomie braucht gute Regelungen. Entsprechend wird das BMAS Vorschläge machen, um Augenhöhe zwischen Plattformtätigen und Plattformen herzustellen. Gleichzeitig wollen wir damit Plattformbetreiber schützen, die faire Bedingungen gewährleisten, damit sie keinen Wettbewerbsnachteil erleiden." Die BMAS-interne Prüfung möglicher konkreter Maßnahmen laufe allerdings derzeit noch.
Arbeitnehmerstatus für Crowdworker?: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38543 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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