Die Zeitarbeitsbranche kommt aus der Schmuddelecke des Arbeitsrechts nicht so recht heraus. Dazu tragen auch die jüngsten rechtspolitischen Diskussionen über die missbräuchliche Verwendung von Werkverträgen zur "Verschleierung" von Arbeitnehmerüberlassungen bei, meint Sandra Urban-Crell. Nun liefert ein Urteil des LAG Hamm vom vergangenen Mittwoch zusätzlichen Sprengstoff.
In der Entscheidung vom 24. Juli 2013 (Az. 3 Sa 1749/12) werteten die Hammer Richter einen Fremdpersonaleinsatz bei der Bertelsmann-Tochter Arvato-Systems als Scheinwerkvertrag.
Der Kläger war von einem Reinigungsunternehmen, welches offiziell als sein Arbeitgeber auftrat, auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung über Dienstleistungstätigkeiten für einen Zeitraum von beinahe vier Jahren an die Beklagte überlassen worden. Dort war er für das Facility Management zuständig, erledigte insbesondere Hausmeistertätigkeiten sowie Aufgaben aus den Bereichen Warenannahme und Poststelle. Ihm wurde von der Beklagten ein voll ausgestattetes Büro mit Computer und Intranet-Anschluss sowie Arbeitskleidung und bei Bedarf ein Poolfahrzeug zur Verfügung gestellt. Seine Arbeitsanweisungen erhielt er nicht vom Objektleiter seines Arbeitgebers, sondern von Mitarbeitern der Beklagten.
Ebenso wie bereits das Arbeitsgericht (ArbG) Bielefeld (Az. 6 Ca 1016/12) sah das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm den Vertrag zwischen dem Reinigungsunternehmen und der Beklagten nicht als "echten" Dienstleistungsvertrag an, sondern wertete den Einsatz als illegale Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger hat nun Anspruch auf Lohnnachzahlung und steht in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zur beklagten Bertelsmann-Tochter.
Flucht in Werk- und Dienstverträge
Die einst als Flexibilisierungsinstrument so beliebte Zeitarbeit hat zuletzt viel von ihrem Charme eingebüßt. Nicht nur in der Baubranche, in der Arbeitnehmerüberlassung schon von Gesetzes wegen verboten ist, sondern auch in anderen Wirtschaftszweigen hat ein Trend zur Flucht in Werk- oder Dienstverträge eingesetzt.
Seit 2012 verteuern die Lohnuntergrenze – derzeit 7,50 Euro im Osten und 8,19 Euro im Westen – sowie Branchenzuschläge die Zeitarbeit merklich. Und nun hat auch noch das Bundesarbeitsgericht (BAG) Mitte Juli 2013 (Urt. v. 10.07.2013, Az. 7 ABR 91/11) den Betriebsräten ein Blockaderecht gegen dauerhafte Leiharbeit zugebilligt. Die aktuelle Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit belegt nicht zuletzt auch deshalb ein spürbares Absinken der Quote der Zeitarbeitseinsätze seit ihrem Höhepunkt Mitte 2011 bis Ende 2012 um sieben Prozent.
Unternehmen suchen – gerade für Sekundärbereiche wie Reinigung, Facility Management, Catering, Security, Lagerhaltung, Transport, Wartung und Instandhaltung – daher Alternativen zur klassischen Leiharbeit. Mit Werk- und Dienstleistungsverträgen glauben sie eine kostengünstigere und ebenso flexible "Allzweckwaffe" gefunden zu haben. Dies ist häufig ein Trugschluss, der die Einsatzbetriebe im Nachhinein sehr teuer zu stehen kommt.
Entscheidend ist die gelebte Praxis
Dahinter verbirgt sich die praktisch oftmals schwierige Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen zur Arbeitnehmerüberlassung. Entscheidend ist nicht, wie die Parteien den Vertrag bezeichnen, sondern wie sie ihn leben. Hinweise auf eine Arbeitnehmerüberlassung sind neben arbeitsplatzbezogenen Weisungen durch Mitarbeiter des Kunden auch der Grad der Eingliederung des Arbeitnehmers in dessen Betriebsorganisation.
Nimmt der Arbeitnehmer an der Zeiterfassung des Kunden teil und trägt sich in dessen Urlaubspläne ein, meldet er sich bei Krankheit dem Kunden gegenüber ab, trägt er die gleiche Arbeitskleidung wie dessen Stammpersonal und nutzt er dessen sonstige betriebliche Einrichtungen wie Büro, Intranetzugang und Fahrzeuge, so liegt eher eine Arbeitnehmerüberlassung nahe. Auch das Fehlen dienst- oder werkvertragstypischer Haftungsregelungen im Vertrag ist ein wirksames Indiz.
Wird unter dem Deckmantel eines Scheinwerk- oder Scheindienstvertrages illegale Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis betrieben, kommt zwischen dem Arbeitnehmer und dem Einsatzunternehmen aufgrund gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis zustande. Obgleich diese Rechtsfolge häufig im Mittelpunkt illegaler Fremdpersonaleinsätze steht, drohen auch weitere einschneidende Konsequenzen für die beteiligten Unternehmen.
Zu viel Geiz kann teuer werden
Da der Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer tätig geworden ist, steht ihm für die Dauer seines Einsatzes die Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten Vergütung und derjenigen eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Kundenbetrieb zu. Dafür haften Dienstleister und Kundenunternehmen ebenso gesamtschuldnerisch wie für nachträglich zu entrichtende Sozialversicherungsbeiträge. Zusätzlich drohen Bußgelder von bis zu 30.000 Euro wegen illegaler Beschäftigung und Verfolgung durch die Strafbehörden wegen nicht ordnungsgemäßer Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Dies kann für die Beteiligten sehr schnell sehr teuer werden; von Kosteneinsparung kann dann keine Rede mehr sein.
Für den Bertelsmann-Konzern mag es sich – so auch die Pressemitteilung des LAG – um einen Einzelfall handeln. Das Phänomen illegaler Beschäftigung auf Grundlage von Scheinwerk- und Scheindienstverträgen greift hingegen um sich. Das Urteil des LAG Hamm fällt in eine Zeit, in der mit der SB-Warenhauskette Kaufland, dem Edeka-Discounter Netto oder jüngst der Meyer-Werft in Papenburg diverse namhafte Unternehmen in diesem Zusammenhang negativ in die Schlagzeilen geraten sind.
Die rechtspolitischen Diskussionen, etwa über ein gesetzliches Vetorecht der Betriebsräte gegen Werkverträge zur Vermeidung von Lohndumping, werden auch deshalb nicht so schnell verstummen. Doch welchen Ausgang diese auch nehmen mögen: Unternehmen, die durch "Werkvertragslösungen" die derzeitigen moderaten Regelungen des Arbeitnehmerüberlassungsrechts umgehen, schaden der gesamten Zeitarbeitsbranche.
Die Autorin Dr. Sandra Urban-Crell ist Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kanzlei McDermott, Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP am Standort Düsseldorf. Sie ist Lehrbeauftragte für Arbeitsrecht an der FH Köln und Verfasserin mehrerer arbeitsrechtlicher Fachbücher zur Zeitarbeit.
Sandra Urban-Crell, Fremdpersonaleinsatz: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9219 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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