Das Urteil gegen die Männer, die beim Autorennen einen Menschen töteten, wird überwiegend als Symbolik bewertet. Michael Kubiciel findet es dagegen rechtsdogmatisch nicht überraschend. Und richtig. Subjektiv, aus der Sicht eines Kölners.
Vor ungefähr drei Jahren fuhr ich fast täglich von Köln-Mülheim mit dem Fahrrad an die Universität zu Köln. Dabei nutzte ich den Auenweg, eine schnurgerade Strecke entlang einem alten Hafengelände. Es geschah nicht nur einmal, dass die berühmt-berüchtigten schwarzen "3er"-BMW und andere Autos mit hoher Geschwindigkeit an mir vorüber rasten. Nach einem Jahr zogen meine Familie und ich ins bürgerliche Lindenthal. Dort erfuhr ich an einem Sommerabend von einem Fakultätskollegen, dass eine Studentin unserer Fakultät auf dem Heimweg von einer Strafrechtsübung - nicht meiner - von zwei Rasern totgefahren worden ist. Auf dem Auenweg.
Drei Wochen später gab es zwei weitere Unfälle, die von Rasern verursacht worden sind. Beide passierten in Lindenthal, wo ich wohnte und häufig mit meinem zweijährigen Sohn und meiner schwangeren Frau spazieren ging. Ein unbeteiligter junger Mann starb.
Ein besonders drastischer Fall
Ich schreibe das in dieser Ausführlichkeit, um zu zeigen, wie dicht das Phänomen Autorennen in den vergangenen Jahren an mich herangerückt ist und wie sehr die Ereignisse mein Sicherheitsgefühl in Köln - einer ohnehin nicht für Law and Order bekannten Stadt - unterminiert haben. Ein paar Monate später hörte ich vom Urteil im Fall Auenweg: Zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung für den einen Fahrer, ein Jahr und neun Monate für den anderen, ebenfalls auf Bewährung. Ab diesem Zeitpunkt war nicht nur mein Sicherheitsgefühl erschüttert, sondern auch mein Gerechtigkeitsgefühl.
Vor diesem Hintergrund habe ich die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin, die beiden Ku'damm-Raser wegen Mordes anzuklagen, mit einem persönlich und professionell interessierten Erstaunen zur Kenntnis genommen. Der Fall in der Hauptstadt war allerdings von einer besonderen Drastik: Bis zu 170 Stundenkilometer sollen die beiden Beschuldigten auf einer der beliebtesten City-Meilen der Stadt gefahren sein. Auf einer Strecke, an deren Rand auch abends noch viele Menschen flanieren und deren Verlauf auch nachts Autos kreuzen, insbesondere dann, wenn ihre Ampel grünes Licht zeigen.
Als die beiden Männer sich in der Nacht zum 1. Februar 2016 mit ihren Sportwagen auf dem Ku'damm in Berlin spontan ein Rennen lieferten, sollen sie mindestens elf Ampeln überfahren haben. Auf einer Kreuzung kurz vor dem Kaufhaus KaDeWe rammte der 28-jährige Beschuldigte mit 160 Stundenkilometern einen Jeep, der 72 Meter weit geschleudert wurde. Der 69 Jahre alte Fahrer starb noch im Auto.
Das Urteil des LG Berlin: Mord mit gemeingefährlichen Mitteln
Die 35. Große Strafkammer des Landgericht (LG) Berlin hat den 28-Jährigen und einen weiteren 25-jährigen Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt (Urt. v. 27.02.2017, Az. 535 Ks 8/16).
Die Angeklagten hätten gewusst, welche Folgen ihr Verhalten für andere Verkehrsteilnehmer hätte haben können und sich mit diesen Folgen abgefunden, so der Vorsitzende Richter Ralph Ehestädt am Montag bei der Urteilsverkündung. Deshalb sei die Kammer von einem bedingten Tötungsvorsatz ausgegangen.
Zudem sei das Mordmerkmal der Verwendung eines gemeingefährlichen Tatmittels verwirklicht. Die Angeklagten hätten ihre "schweren und PS-starken Gefährte" nicht mehr unter Kontrolle gehabt und damit eine hohe Anzahl von anderen Verkehrsteilnehmern und Passanten auf dem auch nachts stark frequentierten Kurfürstendamm in Gefahr gebracht. So sei es dem Zufall überlassen worden, ob und wie viele Menschen durch ihr Verhalten zu Schaden kommen.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Mord-Urteil für die Ku'damm-Raser: . In: Legal Tribune Online, 28.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22224 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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