Kritik an Friedensnobelpreisvergabe: "Obama oder Liu Xiaobo haben mit Nobels Vision nichts zu tun"

29.02.2012

Die Nominierten für den Friedensnobelpreis 2012 stehen fest, auch wenn die möglichen Träger nicht offiziell bekannt gegeben werden. Ein unermüdlicher Kritiker der Vergabepraxis aber kämpft weiter. Im LTO-Interview schildert der Jurist und Friedensaktivist Fredrik S. Heffermehl, was Alfred Nobel mit seinem Testament wirklich wollte - und fordert den Rücktritt des Nobelpreiskomitees.

LTO: Herr Heffermehl, in Ihren Büchern und Aufsätzen erläutern Sie, warum der Friedensnobelpreis Ihrer Meinung nach nicht im Sinne von Alfred Nobel vergeben wird. Was läuft falsch bei der Preisvergabe?

Heffermehl: Nobel hat den Preis in seinem Testament den "Friedensverfechtern" gewidmet. Er wollte die Personen auszeichnen, welche die größte Leistung für die Völkerverbrüderung, für den Abbau oder die Reduktion stehender Heere und für die Veranstaltung und Bewerbung von Friedenskongressen erbracht haben.

Auszüge aus seiner Korrespondenz mit der berühmten österreichischen Friedensverfechterin Bertha von Suttner beweisen eindeutig, welche Empfänger Nobel im Sinn hatte, als er sein Testament  unterzeichnete. Die Formulierung "Friedensverfechter" ist damit der Schlüssel zu dessen rechtlicher Interpretation.

Diesen Inhalt des Testaments interpretiert das vom norwegischen Parlament gewählte fünfköpfige Komitee für den Friedensnobelpreis falsch. Es missachtet den Willen des Stifters Alfred Nobel und den von ihm festgelegten Stiftungszweck. Im Grunde wird der Name Nobels missbraucht, für etwas, das im Kern eigentlich in einen Friedenspreis des norwegischen Parlaments umgewandelt worden ist. Die Preisvergabe richtete sich folglich bislang nach der norwegischen Außenpolitik und der Loyalität zur Nato. Meiner Meinung nach ist das mit dem Testamentsrecht in den skandinavischen Ländern nicht vereinbar.

"Das Komitee behauptet, dass das Testament in die Vergangenheit gehört"

LTO: Warum ist es aus rechtlicher Sicht so wichtig, herauszufinden, was Alfred Nobel dachte, als er sein Testament verfasste? Schließlich liegt es ja in schriftlicher Form vor.

Heffermehl: Um seinen Willen zu interpretieren, also zu verstehen, was er mit dem Testament beabsichtigte, muss man sich mit seiner Biografie, seiner Persönlichkeit und seinem Sprachgebrauch auseinandersetzen – und auch mit der Zeit, in der Nobel lebte. Dies missachtet das Nobel-Preis-Komitee, indem es sich willkürlich einzelne Ausdrücke heraussucht und diese wörtlich und aus dem Zusammenhang gerissen liest.

Das Komitee besteht darauf, dass das Testament in einer anderen Zeit abgefasst wurde, und deutet dadurch an, dass Nobels Vorstellungen nicht länger von Interesse seien. Leute, die während des kalten Krieges ihre politischen Ideen entwickelten, sind für Nobels Vision aber  nicht offen.

"Auszeichnungen für Barack Obama und Liu Xiaobo verfehlt"

LTO: Nun wurden bereits viele Preisträger für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte oder ihren Kampf gegen Armut, Klimawandel und Umweltzerstörung ausgezeichnet. Haben diese Personen oder Institutionen in Ihren Augen den Preis nicht verdient? Braucht es nicht eine große Bandbreite an Friedensaktivisten, die sich für die verschiedensten Themen einsetzen?

Heffermehl: Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Wir brauchen einen großzügigen Ansatz, was die Arbeit für den Frieden angeht. Sie sollte viele Formen haben und alle Teile der Gesellschaft einschließen. Die meisten Preisträger verdienen also einen Friedenspreis.

Nobel hat allerdings eine bestimmte Herangehensweise vorgegeben. Ihm ging es um das Kernproblem von Kriegen, den Teufelskreis der Militarisierung. Er wollte die Prinzipien der Zivilisation, von Recht und Gewaltverbot auf eine globale Ebene heben. Wenn das Nobelkomitee den Mut gehabt hätte, den Militärsektor herauszufordern, hätte der Preis jedes Jahr und weltweit viel Gutes bewirken können. Besonders was Demokratie, Menschenrechte, Armut, Klimawandel oder die Umwelt betrifft.

Mit seinem Aufruf zu einem System- und Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen war Nobel seiner Zeit weit voraus und ist es immer noch. Er hat einen Preis für die Personen geschaffen, die sich für Frieden durch Abrüstung einsetzen und die Kooperation und Vertrauen zwischen den Staaten durch Friedenskongresse stärken. Nur zur loyalen Förderung dieses Zwecks sollte der Preis vergeben werden. Das norwegische Parlament, das sein Testament umsetzen soll, will das allerdings immer noch nicht sehen.

LTO: Für welche konkreten Änderungen setzen Sie sich ein?

Heffermehl:  Der erste und absolut notwendige Schritt muss sein, das Testament richtig auszulegen. Nur dann können überhaupt erst geeignete Mitglieder für das Komitee ausgewählt werden, die wiederum passende und qualifizierte Preisträger auswählen können. Die norwegischen Abgeordneten müssen einsehen, dass sie sich nicht einfach über Recht und Gesetz hinwegsetzen können.

Der Vorsitzende des Nobelkomitees, Thorbjørn Jagland, ist zugleich Generalsekretär des Europarats. Als solcher ist er für die Förderung der Ideen von Demokratie und Rechtsstaat in Europa verantwortlich. Über das Verhältnis der norwegischen Politik zu Recht und Gesetz kann ich mich daher nur wundern.

"Die einzig ehrbare Reaktion wäre ein Rücktritt des Komitees"

LTO: Nach Ihrer Beschwerde bei der schwedischen Stiftungsaufsicht hat diese erste Ermittlungen aufgenommen. Die Behörde überwacht, dass eingetragene Stiftungen den Wünschen ihrer toten Stifter nachkommen. Glauben Sie, dass ein Verfahren in Ihrem Sinne enden wird?

Heffermehl: Die Schwedische Stiftungsaufsicht hat meine Kritik schon jetzt unterstützt und gegenüber einer schwedischen Tageszeitung geäußert, dass der Preis mit Friedensarbeit zu tun haben muss. Ich bin also recht optimistisch, dass die Stiftungsaufsicht der Beschwerde Recht gibt.

LTO: Was wären die Konsequenzen einer solchen Entscheidung?

Heffermehl: Nach dem Stiftungsgesetz, das in Schweden im Jahr 1996 in Kraft trat, trägt der Stockholmer Stiftungsvorsitz die volle rechtliche Verantwortung für die Vergabe der Auszeichnungen im Sinne des Testaments. Auch können die Mitglieder des Gremiums unter Umständen persönlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn die Verleihung sich nicht am Willen des Stifters orientiert.

Nobel hat Norwegen den Preis deswegen anvertraut, weil das norwegische Parlament seine Ideen Ende des 19. Jahrhunderts am meisten unterstützte. Das ist nicht mehr der Fall. Das Komitee besteht jetzt aus politischen Gegnern des von Nobel vorgeschriebenen Zwecks. Die einzige ehrbare Reaktion wäre deshalb, wenn es zurücktreten und dem Parlament die Möglichkeit geben würde, ein neues Komitee zu berufen, das die Friedensnobelpreise für 2012 in Nobels Sinne vergeben könnte.

Fredrik Heffermehl ist norwegischer Jurist, Autor und internationaler Friedensaktivist. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Interpretation des Testaments von Alfred Nobel und ihrer Umsetzung bei der Verleihung des Friedensnobelpreises und ist Autor des Buches The Nobel Peace Prize. What Nobel Really Wanted (Praeger 2010. Übersetzungen –http://www.nobelwill.org).

Interview und Übersetzung: Andreas Schmitt.

Zitiervorschlag

Kritik an Friedensnobelpreisvergabe: . In: Legal Tribune Online, 29.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5660 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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