Ein Beschluss der Bundesverfassungsrichter in eigener Sache hat die öffentliche Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Richter-Wahl wieder in Gang gebracht. Mit Bundestagspräsident Lammert äußerte sich am vergangenen Wochenende ein prominenter Kritiker. Das geltende Wahlverfahren, die Kritik hieran und die aufgeworfenen Änderungsvorschläge erklärt Claudia Kornmeier.
Das Grundgesetz (GG) hält sich nicht lange auf mit der Wahl der Bundesverfassungsrichter. Kurz und knapp heißt es in Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG: "Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt." Den Rest überlässt die Verfassung dem einfachen Gesetzgeber.
Der nimmt sich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) der Wahl der Richter an. Nach § 6 BVerfGG entscheidet ein Wahlausschuss aus zwölf Abgeordneten des Bundestags unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit über die Richter. In dem Ausschuss sind die Fraktionen entsprechend ihrer parlamentarischen Stärke vertreten. Die Abgeordneten sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Der Bundesrat entscheidet dagegen im Plenum und öffentlich, § 7 BVerfGG. Ebenfalls mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Allerdings bereiten die Landesjustizminister die Wahl in der Regel nicht-öffentlich vor.
Dieses Wahlverfahren verleiht den Verfassungsrichtern eine besondere demokratische Legitimität gegenüber anderen, "normalen" Bundesrichtern; denn letztere beruft gemäß Art. 95 Abs. 2 GG ein Bundesminister gemeinsam mit den Länderministern und Abgeordneten des Bundestags. Die bei den Bundesverfassungsrichtern nötige Zwei-Drittel-Mehrheit schreibt das Grundgesetz dort nicht vor. Für die Besetzung des höchsten deutschen Gerichts soll sie verhindern, dass nur die jeweilige Mehrheit im Bundestag oder Bundesrat zum Zuge kommt.
Wahl fest in der Hand der großen Parteien
Tatsächlich hat sich die Entscheidung über die Richterstellen aus den gesetzlichen Gremien heraus und in informelle Parteigremien hineinverlagert. Der mit der Zwei-Drittel-Mehrheit einhergehende Zwang zur Einigung hat dazu geführt, dass die beiden großen Parteien die Entscheidung über Richterstellen unter sich aufgeteilt haben. Sie gewähren sich wechselseitig ein Vorschlagsrecht und beziehen gelegentlich ihre kleinen Koalitionspartner mit ein, indem sie ihnen "ihr" Vorschlagsrecht abtreten.
Scheidet ein Richter aus, kommt die Partei zum Zuge, die den ausscheidenden Richter vorgeschlagen hatte. Die Kritik hieran liegt auf der Hand: Zum Zuge kommen in der Regel parteinahe Kandidaten. Allerdings können sich die Parteien nicht unbedingt darauf verlassen, dass "ihr" Richter auch im Sinne der Partei entscheiden wird.
Mitte Juni hatten die Richter des Zweiten Senats über die Verfassungsmäßigkeit ihrer eigenen Wahl zu entscheiden (Beschl. 19.06.2012, Az. 2 BvC 2/10). Das Ergebnis: alles verfassungskonform. Das Grundgesetz schreibe die Art und Weise der Wahl nicht vor, sondern sei darauf angelegt, dass der Gesetzgeber die Wahl der Richter ausgestalte. Ob die Wahl in öffentlicher Sitzung des Plenums oder in einem nicht-öffentlichen Ausschuss getroffen werde, lasse das Grundgesetz völlig offen.
Alles verfassungskonform, aber ein Schlupfloch für Änderungen bleibt
Zwar müsse der Bundestag als repräsentatives Organ seine Aufgaben grundsätzlich durch alle seine Mitglieder wahrnehmen. Hiervon könnten jedoch Ausnahmen gemacht werden und zwar zum Schutz anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang wie der Vertraulichkeit einer Angelegenheit. Das sei erkennbares Ziel des nicht-öffentlichen Wahlverfahrens gewesen. Das Ansehen des Gerichts und das Vertrauen in seine Unabhängigkeit sollen so gefestigt, seine Funktionsfähigkeit gesichert werden.
Ein Schlupfloch ließ das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch offen: Eine vertrauliche Wahl der Richter sei nicht in dem Maße verfassungsrechtlich geboten, dass es den Gesetzgeber daran hindere, das Verfahren zu ändern.
Ob der nicht-öffentlich tagende Wahlausschuss des Bundestags überhaupt die gewünschte Vertraulichkeit erreichen kann, mag die Anfang 2008 öffentlich geführte Debatte um einen möglichen Bundesverfassungsrichter Horst Dreier durchaus in Frage gestellt haben. Zwar sollte der Bundesrat und nicht der Bundestag den Würzburger Rechtswissenschaftler wählen. Das heißt, die Wahl wäre ohnehin öffentlich verlaufen. Allerdings nahm die Diskussion um Dreier bereits ihren Lauf, bevor eines der gesetzlichen Verfahren überhaupt beginnen konnte. Grund hierfür war ein Leck, wohl aus dem Umkreis der SPD.
Kritik von allen Seiten bis hin zum BVerfG-Präsidenten selbst
Das Urteil des BVerfG zum EFSF-Sondergremium las sich noch ganz anders als der Beschluss zum Wahlverfahren: Entscheidungen von erheblicher Tragweite müssten grundsätzlich öffentlich im Plenum getroffen werden, auch um eine öffentliche Diskussion zu gewährleisten, hieß es damals (Urt. 28.02.2011, Az. 2 BvE 8/11).
Hier setzt auch die Kritik des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) an. Ist die Wahl der Bundesverfassungsrichter etwa keine Angelegenheit von erheblicher Tragweite? Lammert sprach sich am vergangenen Wochenende dann auch für eine öffentliche Wahl der Richter durch das Plenum des Bundestags aus.
Wolfgang Neskovic (Die Linke), der Vorsitzende des Wahlausschusses, wirbt dafür, dass sich die Kandidaten zumindest einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss stellen.
Kritik am Wahlverfahren äußerte übrigens auch der Präsident des BVerfG Andreas Voßkuhle selbst. Allerdings nicht in dem Beschluss des 2. Senates, dessen Vorsitzender er ist, sondern als Bearbeiter des Grundgesetz-Kommentars v. Mangoldt/Klein/Starck.
Claudia Kornmeier, Wahl der Bundesverfassungsrichter: . In: Legal Tribune Online, 17.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6636 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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