Die Bundesregierung hat ihren Entwurf zur Strafbarkeit des Betreibens krimineller Handelsplattformen im Internet vorgelegt. Selten war ein Gesetzgebungsvorhaben so sinnlos, meint Mark A. Zöller.
Dass das Internet kein strafrechtsfreier Raum sein darf, gehört von Amts wegen zum Credo eines jeden Justizministers und einer jeden Justizministerin. Immer wieder machen Meldungen über illegale Internet-Handelsplattformen die Runde. Dort lassen sich fast alle denkbaren Waren und Dienstleistungen beziehen. Das Angebot reicht von Drogen, Waffen und Munition, Hacking-Software, gefälschten Dokumenten und kinderpornografischem Material über die Anmeldung von Wohnsitzen, Fahrzeugen, Bankkonten, bis hin zur Ausführung von Auftragsmorden.
Um solchen Angeboten Einhalt zu gebieten, hatte die Bundesregierung schon in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2017 gesetzgeberische Aktivität angekündigt. Dort heißt es "Wo Strafbarkeitslücken bestehen, werden wir eine Strafbarkeit für das Betreiben krimineller Infrastrukturen einführen...".
Ein Vorschlag aus Bayern erreicht Berlin
Schon Anfang 2019 hatte Nordrhein-Westfalen im Bundesrat eine Initiative angestoßen und für das Anbieten von internetbasierten Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten die Einführung eines neuen § 126a für das Strafgesetzbuch (StGB) vorgeschlagen. Mit ihren darüberhinausgehenden Vorstellungen, insbesondere in Gestalt des Verzichts auf einen Straftatenkatalog und eine Beschränkung auf Plattformen im Darknet, konnte sich die Vertreter Bayerns im Bundesrat seinerzeit nicht durchsetzen.
Infolgedessen tauchte der bayerische Vorschlag dann kurioserweise und zeitlich parallel im Referentenentwurf des von einem Bayern geführten Bundesinnenministeriums (BMI) für ein IT-Sicherheitsgesetz 2.0 wieder auf. Danach passierte rund anderthalb Jahre lang erst einmal nichts. Im nun vorgelegten Regierungsentwurf zu den Internet-Handelsplattformen, der offensichtlich das Ergebnis eines zwischenzeitlich erfolgten Abstimmungsprozesses zwischen dem SPD-geführten Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und dem BMI ist, haben sich nun weitgehend die ursprünglichen "weiß-blauen" Vorstellungen durchgesetzt. Mitte Februar beschloss die Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf.
Vorgeschlagen wird die Einfügung eines neuen § 127 StGB, der bestehende § 127 StGB (Bildung bewaffneter Gruppen) soll zum § 128 werden, der gerade unbesetzt ist. Nach der neuen Regelung soll derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden, der eine Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung bestimmter Straftaten zu ermöglichen oder zu fördern. Dieselbe Strafe soll denjenigen treffen, der absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur hierfür bereitstellt. Anders als noch im Bundesratsentwurf von 2019 erfolgt keine Beschränkung auf das Darknet. Auch der ehemals überschaubare Katalog typischer Internetstraftaten ist entfallen. Stattdessen sieht der Regierungsvorschlag vor, dass alle Verbrechen und eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Vergehen als Anlasstaten in Betracht kommen sollen. Eine inhaltliche Beschränkung auf typische Fälle von Internetkriminalität erfolgt somit nicht. Dass dieser "Wunschkatalog von Internetermittlern" den Rahmen des Verhältnismäßigen sprengt, liegt nahe.
Gehilfen im Darknet
Ergänzt wird der Grundtatbestand durch zwei Qualifikationen sowie eine strafanwendungsrechtliche Regelung für Auslandstaten. Und schließlich werden einmal mehr auch die strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse ausgeweitet. Konkret will die Bundesregierung die Qualifikationstatbestände des neuen § 127 StGB auch zu Anlasstaten für die strafprozessuale Telekommunikationsüberwachung, die Erhebung von Verkehrsdaten sowie die Online-Durchsuchung machen. Auch das riecht ein wenig nach blindem Aktionismus. Schließlich bleiben technikgestützte Ermittlungsmaßnahmen mit Blick auf die vor allem im Darknet eingesetzte Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechnologie regelmäßig wirkungslos. Und Instrumente wie die Quellen-Telekommunikationsüberwachung oder die Online-Durchsuchung sind mit dem Einsatz sog. "Staatstrojaner" so aufwändig, dass sie in der Praxis nur in absoluten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen können.
Die Notwendigkeit für die gesetzliche Neuregelung begründet die Bundesregierung vor allem mit angeblich nicht ausreichenden Regelungen zur strafrechtlichen Beihilfe, deren subjektive Voraussetzungen man bei vollautomatisiert operierenden Internetplattformen für schwer nachweisbar hält. Allerdings ist diese kühne mittlerweile These unisono durch eine ganze Reihe von Stellungnahmen im strafjuristischen Schrifttum widerlegt worden. Von diesen ist in der Entwurfsbegründung nicht eine einzige erwähnt – vermutlich weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Einmal mehr werden Einwände aus der Wissenschaft ignoriert, wenn sie rechtspolitisch nicht opportun sind.
Dabei ist die Annahme, der Betreiber einer Handelsplattform in Internet hätte keine konkrete Vorstellung davon, was auf seiner Plattform vor sich geht, naiv. Häufig ist schon der von ihm gewählte Plattformname verräterisch. Wer seinen Marktplatz "Chemical Revolution", "Fraudsters" oder "Cocaine Market" nennt, wird kaum ernsthaft vortragen können, er habe nichts davon geahnt, dass dort illegale Substanzen und Dienstleistungen angeboten werden. Noch deutlicher wird der Gehilfenvorsatz, wenn der Plattformbetreiber in die Geschäfte aktiv ordnend, gestaltend oder regulierend eingreift, in dem er etwa eindeutig illegale Angebotskategorien, etwa für Waffen oder Betäubungsmittel erstellt, Foren- und Bewertungssysteme betreut oder Treuhandmodelle für die Kaufabwicklung anbietet und dafür Gebühren, Provision oder Kommission erhält.
Dass der Nachweis der Beihilfe von Betreibern krimineller Plattformen zu den darüber abgewickelten Straftaten praktisch ohne weiteres möglich ist, belegt eindrucksvoll eine viel, nur leider nicht von Seiten des BMJV beachtete Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe Ende 2018. Hier ging es um den Betrieb der Darknet-Plattform "Deutschland im Deep Web". Über diese wurde u.a. der Verkauf der Tatwaffe angebahnt, mit der vom Käufer später im Rahmen eines Amoklaufs beim Olympia-Einkaufszentrum in München neun Menschen getötet und weitere fünf Menschen verletzt worden sind.
Zudem wird auch der Tatsache nicht ausreichend Beachtung geschenkt, dass das deutsche Strafrecht eine Reihe von Instrumenten bereithält, das Verhalten von Betreibern krimineller Plattformen im Internet sogar täterschaftlich zu erfassen, etwa im Bereich von Betäubungsmittelstraftaten und Waffendelikten. Und auch eine Strafbarkeit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) sollte nicht vorschnell beiseitegeschoben werden, da seit der Reform im Jahr 2017 nur noch geringe Anforderungen an den Vereinigungsbegriff gestellt werden und insbesondere auch die Tathandlung der Unterstützung als zur Täterschaft verselbständigte Form der Beihilfe häufig erfüllt sein wird.
Wo bleibt der Anwendungsbereich?
Vor allem aber ist der Regierungsentwurf durch ein trügerisches Verhältnis des Grundtatbestandes zu seinen Qualifikationen geprägt. Als qualifizierende Umstände nach § 127 Abs. 3 StGB-E werden die Gewerbsmäßigkeit und die Bandenmitgliedschaft angeführt. Damit erhöht sich der Strafrahmen auf sechs Monate bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Das Vorliegen dieser Merkmale dürfte aber gerade dem Regelfall des Betriebs illegaler Plattformen im Internet entsprechen. Plattformbetreiber handeln typischerweise nicht altruistisch. Sie verfolgen ein Geschäftsmodell, dass ihnen möglichst schnell, anonym, unkompliziert und über einen möglichst langen Zeitraum möglichst hohe Gewinne in Gestalt von Gebühren, Provisionen oder Kommissionen einbringen soll. Und der Betrieb einer weltweit verfügbaren Internet-Handelsplattform setzt schon aus organisatorischen, technischen und logistischen Gründen regelmäßig das Zusammenwirken von drei oder mehr Personen voraus, die untereinander durchaus durch eine Bandenmitgliedschaft verbunden sein können.
Nach § 127 Abs. 4 StGB-E soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung sogar ein Verbrechenstatbestand geschaffen werden. Voraussetzungen ist, dass der Betreiber beabsichtigt oder sicher weiß, dass die Plattform den Zweck hat, Verbrechen zu ermöglichen oder zu fördern. Das zielgerichtete Zusammenführen von kriminellen Akteuren ist aber gerade der Sinn und Zweck der allermeisten Plattformen. Und unter den so geförderten Straftaten werden zwangsläufig auch Verbrechenstatbestände (insbesondere aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelikte) sein.
Nach alledem dürfte für den Grundtatbestand des § 127 StGB nur ein geringer Anwendungsbereich verbleiben. Die Folge wäre eine verdeckte, nicht ausreichend durchdachte und unverhältnismäßige Anhebung des Strafniveaus für Betreiber krimineller Handelsplattformen. Das dürfte für eine derart weite zeitliche Vorverlagerung der Strafbarkeit mit Hilfe eines weiteren abstrakten Gefährdungsdelikts und ohne ein klar erkennbares, geschütztes Rechtsgut eindeutig den Bereich des Verhältnismäßigen verlassen.
Prof. Dr. Mark A. Zöller ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und das Recht der Digitalisierung an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Kriminelle Handelsplattformen im Internet: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44475 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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