Sind muslimische Jugendliche aus Einwandererfamilien "überproportional kriminell", wie Bild-Autor Nicolaus Fest kürzlich behauptete? Der Kriminologe Christian Walburg hat für den Mediendienst Integration ein Gutachten zur Jugendkriminalität erstellt. Er erklärt: Gewaltbereitschaft hat nichts mit der Herkunft zu tun. Und religiöse Jugendliche begehen eher weniger Straftaten als andere.
LTO: Wird zu wenig über die Kriminalität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesprochen?
Walburg: Zu wenig? Nein, Kriminalität ist ja ein wiederkehrendes Thema. Es gibt immer wieder Vorfälle, die Anlass sind für öffentliche Debatten und die auch in den Medien breit geführt werden. Meistens geht es dann um Gewalttaten junger Männer auf der Straße. Es ist auch erst einmal nichts schlechtes, dass man darüber diskutiert. Aber zum Teil hat man dann das Problem sehr einseitig bei der ausländischen Herkunft der Täter gesehen und das auch sehr stark hervorgehoben. So entsteht ein Bild, als seien solche Gewalttaten typisch für die Migranten in Deutschland. Das ist das Problem, diese Pauschalisierung. Die Vorstellung, dass Ausländer oder Migranten – so genau wird das oft gar nicht unterschieden – häufiger Straftaten begehen und Jugendgewalt mit einer bestimmten Herkunft zu tun hat, ist nach wie vor weit verbreitet. Hinzu kommt, dass sich diese Diskussion nun verschoben hat, weg von Ausländern und hin speziell zu muslimischen Migranten.
LTO: Inwiefern geht denn aus den offiziellen Kriminalitätsstatistiken hervor, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund häufiger kriminell werden als andere Jugendliche?
Walburg: Die offiziellen Kriminalstatistiken sagen zum sozialen Phänomen der Migration wenig aus, die Kategorie des Migrationshintergrundes ist darin gar nicht enthalten. Diese Statistiken unterscheiden nur zwischen deutschen Staatsangehörigen und anderen Staatsangehörigen, also Ausländern. Das Bundeskriminalamt weist in der Polizeilichen Kriminalstatistik selbst ausdrücklich darauf hin, dass man diese Gruppen so nicht miteinander vergleichen kann – etwa weil die Sozialstruktur zu unterschiedlich ist oder weil auch Ausländer in die Statistik fallen, die gar nicht in Deutschland leben. Kriminalitätsraten, die die Kriminalität von Ausländern und Deutschen direkt vergleichen, erstellt das Bundeskriminalamt schon seit den neunziger Jahren nicht mehr, einfach weil die Zahlen zu stark verzerrt sind.
"Statistiken bilden nur einen kleinen Teil der Straftaten ab"
LTO: Trotzdem kann man aus den Zahlen den Schluss ziehen, dass ausländische Jugendliche häufiger als deutsche Jugendliche auffallen – zu diesem Ergebnis kommen Sie in Ihrem Gutachten, in dem Sie die Erkenntnisse bereits vorliegenden Studien zusammenfassen?
Walburg: Den Eindruck gewinnt man, wenn man sich die Kriminalstatistiken anschaut. Zumindest ergibt sich aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, dass Jugendliche ohne deutschen Pass – bezogen auf ihren Anteil an der Wohnbevölkerung – häufiger wegen Gewaltdelikten registriert werden. Sie sind auch häufiger in sogenannten Intensivtäterprogrammen zu finden, in denen die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden diejenigen zusammenfassen, die besonders oft solche Straftaten begehen.
Man muss dazu aber wissen, dass die Kriminalitätsstatistiken nur einen kleinen Teil dessen abbilden, was an Straftaten passiert. Viele Straftaten werden der Polizei ja gar nicht bekannt. Bei dieser Frage spielen die Opfer eine große Rolle. Und hier zeigt sich, dass die Opfer von Straftaten eher zur Polizei gehen, wenn sie annehmen, dass der Täter einen anderen ethnischen Hintergrund hat. Jugendliche mit Migrationshintergrund werden deshalb häufiger bei der Polizei angezeigt als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.
Annelie Kaufmann, Jugendkriminalität und Migrationshintergrund: . In: Legal Tribune Online, 04.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12775 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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