Die Finanzkrise hat die NRW-Kommunen längst erreicht. Und Stadtwerke befürchten, dass Regulierung und Wettbewerbsdruck die Energie-Erlöse stoppen. Professoren-Gutachten, Gerichtsverfahren und politische Initiativen suchen das Heil in der überörtlichen Betätigung. Ein entsprechender Gesetzentwurf lässt aber systematisch und handwerklich zu wünschen übrig.
Wie schlimm steht es wirklich um die NRW-Stadtwerke? Der von den Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegte Entwurf trägt den Titel: "Gesetz zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts" (LT-Drs. 15/27). Bereits im März war ein "Stadtwerkerettungsgesetz" eingebracht worden - erfolglos. Rettung und Wiederbelebung – das kennt man sonst nur, wenn es um existenzielle Dinge wie Menschenleben oder Glaubenswahrheiten geht. Hier geht es nur um die kommunalen Unternehmen. Aber Eile tut offenbar Not: Einbringung des Entwurfs: 7.7.2010; Amtsantritt der neuen Ministerpräsidentin: 14.7.2010; erste Lesung des Entwurfs im Landtag: 15.7.2010.
Was im allgemeinen Trend der Dramatisierung alles Erlebten liegt, lenkt auch den Blick auf das eigentliche Problemfeld der Kommunalwirtschaft im Energiebereich: Rettung – wovor eigentlich? Vor dem Wettbewerb? Wiederbelebung des (Gemeindewirtschafts-)Rechts: Hat die andere politische Couleur mit ihrem "Privat vor Staat" das Recht so zugerichtet, dass es leblos daniederliegt?
Gesucht: Gegengewicht zu den großen Vier
Der Entwurf verfolgt das Ziel, "die Wettbewerbsfähigkeit der Kommunalwirtschaft in Zeiten von deregulierten Märkten zu erhalten und wieder zu verbessern". Gesucht wird ein Gegengewicht zum Oligopol der großen Vier im Energiemarkt. Dazu will die Gesetzesänderung der Kommunalwirtschaft wieder Leben einhauchen. Mittel der Wahl ist ein zweifaches: erstens die Rückgängigmachung der Verschärfungen aus der Zeit der Vorgängerregierung; zweitens die Einführung eines eigenen Zulässigkeitstatbestands für die energiewirtschaftliche Betätigung.
Dieser nordrhein-westfälische Weg ist bislang noch ohne Beispiel. Nur ein weiteres Bundesland, nämlich Sachsen-Anhalt, hat die kommunalwirtschaftliche Tätigkeit in den Energiemärkten bislang eigenständig geregelt. In manchen Formulierungen lehnt sich der nordrhein-westfälische Entwurf hieran an. Er weist jedoch beachtliche (und problematische) systematische Unterschiede auf.
Von der Lebendigkeit des Gemeindewirtschaftsrechts
(Spring-)lebendig macht der Entwurf das Gemeindewirtschaftsrecht jedenfalls insofern, als er den maßgeblichen Tatbestand des § 107 Gemeindeordnung NRW (GO NRW) in die fünfte Fassung innerhalb der letzten 15 Jahre versetzen will.
Im Kern geht es um die auch in anderen Bundesländern immer wieder virulent gewordene Fragen: Muss die wirtschaftliche Betätigung durch einen dringenden oder überhaupt einen öffentlichen Zweck erfordert werden? Müssen die Kommunen sie ebenso gut oder besser als Private ausüben können? Seit 1994 hat sich dieser Tatbestand im Rhythmus Verschärfung – Lockerung – Lockerung – Verschärfung zur seit 2007 aktuellen, in beiden Punkten verschärften Rechtslage hinbewegt. Der vorliegende Entwurf will nun beides wieder lockern.
Dies ohne Not: Die Praxis der Kommunalaufsicht in NRW hatte die heftigsten Ausschläge dieser volatilen Gesetzeslage längst abgefedert. Die Verschärfung wurde nämlich – gesetzesbegründungskonform – nur als eine "Erhöhung der Darlegungslast der Gemeinde" verstanden. So sind seit 2007 auch keine Vorhaben bekannt geworden, die an der Verschärfung gescheitert wären. Das Gemeindewirtschaftsrecht wird also bereits gelebt, und zwar durchaus reibungslos.
Ein neuer Tatbestand schafft Reibungen
Reibungen schafft hingegen der vorliegende Entwurf. Sein Herzstück ist die Einführung eines § 107a. Dieser soll die sogenannte energiewirtschaftliche Betätigung privilegieren. Diese wird als "einem öffentlichen Zweck dienend" fingiert und im Rahmen der Leistungsfähigkeit der Gemeinde für zulässig erklärt. Das soll nicht nur im Ortsgebiet, sondern auch überörtlich gelten.
Die nordrhein-westfälische Besonderheit: Dieser neue Tatbestand soll ausdrücklich ein eigenständiger sein. Nun kennt das nordrhein-westfälische Gemeinderecht die "wirtschaftliche Betätigung" von "Unternehmen" und die "nicht-wirtschaftliche Betätigung" von "Einrichtungen". Wie die Entwurfsbegründung ausdrücklich betont, soll die energiewirtschaftliche Betätigung nun etwas Anderes sein. Realiter ist sie aber zweifellos nichts derart Eigenständiges, dass sie einer eigenständigen Regelung bedürfte. Wenn doch, dann müsste diese konsequent durchgehalten und mit den bestehenden Regelungen verzahnt werden. Daran fehlt es in dem Entwurf.
Zwei Beispiele: Die energiewirtschaftliche Betätigung soll neben der wirtschaftlichen Betätigung bestehen, enthält diese jedoch als Definitionsmerkmal – ist also in Wahrheit ein Unterfall. Umgekehrt nennt die Regelung über die wirtschaftliche Betätigung in § 107 Abs. 1 GO NRW auch die angeblich eigenständige energiewirtschaftliche Betätigung. Diese Verwirrung hat weitreichende Folgen: Die zahlreichen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Gründung, Verträge, Wirtschaftsgrundsätzen usw. führen die beiden Begriffe des Unternehmens und der Einrichtungen im Tatbestand. Sollen sie für die energiewirtschaftliche Betätigung nicht gelten, da diese ja etwas Anderes ist?
Diese Fragen wirft der Gesetzentwurf unnötiger Weise auf. Im Vollzug müssen sie geklärt werden, notfalls durch Kommunalaufsicht und Gerichte. Will der Gesetzgeber die energiewirtschaftliche Betätigung der Kommunen wirklich liberalisieren, muss die handwerkliche Umsetzung verbessert werden. Dazu dürfte die bisher an den Tag gelegte Eile nicht förderlich sein. Der Sanitäter möchte doch bei seinen lebensrettenden Sofortmaßnahmen kein zusätzliches ärztliches Eingreifen notwendig machen.
Der Autor Prof. Dr. Thorsten Attendorn lehrt u.a. Kommunalrecht an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen in Dortmund und war zuvor in der Kommunalaufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen tätig.
Kommunale Energiewirtschaft: . In: Legal Tribune Online, 28.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1512 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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