2/2: Abwägung nach Art und Umfang der Position
Es liegt auf der Hand, dass dieses Abwägungsgebot bei der Einstellung nicht umfassend einzuhalten ist. Dieses würde voraussetzen, dass sämtliche persönlichen und sozialen Umstände des Bewerbers abgefragt werden, was jedoch das Fragerecht des kirchlichen Dienstgebers bei weitem überschreiten würde. In Bezug auf die Kirchenzugehörigkeit dürfte es schon jetzt dem Gebot christlicher Nächstenliebe entsprechen, dem fachlich qualifiziertesten Bewerber ungeachtet der Kirchenzugehörigkeit den Vorzug zu geben.
Hinzu tritt ein bislang ungelöstes, weil nicht abschließend geklärtes, kirchenarbeitsrechtliches Problem: Die Abstufung der Anforderung an die Kirchenzugehörigkeit nach Art und Umständen der Funktion und Tätigkeit. Hier setzt sich das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 22. Oktober.2014 bewusst in Gegensatz zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus 2010/2011. Das Gericht hat diese Abstufung in das Ermessen der Kirchen gestellt und einer Kontrolle durch die staatlichen Arbeitsgerichte entzogen.
Der EGMR sieht dies anders. Die Richter dort meinen, im Rahmen einer Verhältnismäßigkeits- und Angemessenheitsprüfung hätten die staatlichen Gerichte auch zu ermitteln, ob das Verlangen nach Kirchenmitgliedschaft einer Bibliothekarin genauso zuzumuten sei wie einem Mitglied des Einrichtungs- beziehungsweise Unternehmensvorstandes.
BVerfG umgangen - EuGH muss entscheiden
Genau an diesem Widerspruch setzt nun auch das BAG mit seinem Vorabentscheidungsantrag vom 17. März 2016 an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) an - und zwar bemerkenswerterweise unter Umgehung des BVerfG. Der EuGH soll entscheiden, ob die Vorschrift des § 9 Abs. 2 AGG, der die Abstufung von Loyalitätspflichten kirchlicher Mitarbeiter nach Funktion und Tätigkeit allein in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen stellt, noch mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 EG vereinbar ist.
Nach der Richtlinie stellen besondere Loyalitätspflichten von kirchlichen Mitarbeitenden nur dann keine rechtlich unzulässige Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung dar, wenn sie "aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung" darstellen. Das aber spricht dafür, dass bei Einstellung nicht alle Bewerber, sondern nur solche für Stellen aus der Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung und Leitung (VSUL-Stellen) nach der Kirchenzugehörigkeit gefragt werden dürfen.
Bemerkenswerterweise wird dadurch, offenbar entgegen den Befürchtungen des BVerfG, nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV eingegriffen. Denn katholische und evangelische Kirchen befinden sich gegenwärtig in einem Reformprozess, der in die gleiche Richtung weist. Zwar müssen sich alle Mitarbeiter unabhängig von ihrer Kirchenmitgliedschaft zum Unternehmensleitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft bekennen.
Art. 3 Abs. 2 GrO sieht jedoch in katholischen Einrichtungen die Kirchenzugehörigkeit nur für sogenannte VSUL–Mitarbeitende vor. Im evangelischen Bereich findet darüber gegenwärtig eine innerkirchliche Diskussion auf europäischer und nationaler Ebene statt, die eindeutig in die Richtung einer Lockerung der Kirchenzugehörigkeit für alle kirchlichen Mitarbeitenden mit Ausnahme der Mitarbeitenden in der VSUL weist und spätestens 2018 in eine Novellierung der Loyalitätsrichtlinie der evangelischen Kirche münden soll.
Schon Lockerung bei Kündigungen beschlossen
Bereits im vergangen Jahr hat der katholische Verband der Diözesen Deutschlands beschlossen, dass künftig auch Scheidung und Wiederheirat Geschiedener sowie gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften nicht mehr automatisch zur Kündigung führen. Sie stellen zwar weiter einen "schwerwiegenden Loyalitätsverstoß" dar. Für eine Kündigung können Sie jedoch bei nichtkatholischen Mitarbeitenden überhaupt nicht mehr und bei katholischen nur noch herangezogen werden, wenn zuvor alle Einzelfallumstände gegeneinander abgewogen wurden.
Es liegt auf der Hand, dass hiernach die generelle Frage nach der Kirchenzugehörigkeit bei der Einstellung nicht mehr ohne weiteres zulässig ist. Um dies im Einzelfall zu überprüfen, müssen die staatlichen Gerichte indessen nicht in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen eingreifen. Sie können sich darauf beschränken, unzweifelhaft im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zustande gekommene kirchenrechtliche Regelungen anzuwenden.
Der Autor Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Hammer ist Senior der Anwaltskanzlei Hammer Rechtsanwälte in Hildesheim und auf das kirchliche Arbeitsrecht spezialisiert. Er ist Autor mehrerer einschlägiger Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen.
Ulrich Hammer, Konfessionsfrage bei Einstellung kirchlicher Mitarbeiter: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19144 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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