2/2: "Das hohe Schutzgut rechtfertigt eine weite Strafbarkeit"
LTO: Ist es nicht eigentlich widersprüchlich, dass jemand Bilder von realen, nackten Kindern sammeln kann, ohne sich strafbar zu machen, gleichzeitig aber bereits fiktive Darstellungen von Kindern, zum Beispiel in Comics, Zeichnungen, Phantasiegeschichten usw. strafbar sein können, wenn diese einen eindeutig sexuellen Inhalt haben?
Gercke: Diese Strafbarkeit verfolgt eben mehrere Zwecke. Beim Verbot "fiktiver" Kinderpornographie geht es darum, einen Auslöseeffekt zu verhindern. Umgekehrt sind Bilder von realen, nackten Kindern so lange erlaubt, wie sie keinen sexuellen Bezug haben.
LTO: Ein Auslöseeffekt - passiert das denn tatsächlich? Die meisten Menschen wären doch sicher einfach nur angewidert, wenn sie einen – realen oder auch fiktiven – Kinderporno sähen.
Gercke: Das ist zweifellos richtig. Man wird durch das Betrachten eines kinderpornographischen Werkes nicht selbst pädophil, genau so wenig, wie Sie durch das Ansehen eines Schwulen- oder Lesben-Pornos homosexuell werden.
Aber es kann Leute geben, die diese Neigung bereits in sich tragen, und denen das Betrachten solcher Werke den nötigen Impuls verleiht, um ihre Veranlagung selbst ausleben zu wollen. Das ist zwar nur ein winziger Kreis von Personen, aber auf Grund des hohen Schutzgutes hält der Gesetzgeber eine Strafbarkeit bereits fiktiver Inhalte dennoch für gerechtfertigt.
"Das deutsche Strafrecht hinkt international hinterher"
LTO: Sie sagten eingangs, dass das deutsche Strafrecht im Bereich Kinderpornographie verschärft worden sei. Sind wir damit international auf einem guten Stand?
Gercke: Keineswegs. Das Hauptproblem, an denen die § 184ff. StGB kranken, ist das Festhalten am Begriff der "Schriften". Das meint natürlich nicht nur Schriften im engeren Sinne, sondern auch Bilder, Filme usw. - es setzt aber jedenfalls ein verkörpertes Werk voraus, an dem der Täter Besitz erlangen oder mit dem er Handel treiben muss.
Der reine Konsum von Inhalten ist hingegen nicht strafbar. Sie dürften also in der Theorie zum Beispiel eine Ausstellung mit kinderpornographischen Werken besuchen und diese betrachten, weil Sie dadurch noch keinen Besitz erlangen.
Ein etwas lebensnäheres Beispiel ist der Fall, dass ein Täter im Internet nach Kinderpornographie sucht. Die reine Suche ist nicht strafbar, da durch die Suche noch nicht die Besitzverschaffung an Schriften unternommen wird. Und selbst, wenn der Täter ein Werk findet und dieses streamed, macht er sich unter Umständen nicht strafbar, solange der Film nicht auf seinem Rechner gespeichert wird. Erst im Moment des Speicherns liegt ein Besitz vor, so dass eine Strafbarkeit gemäß § 184b Abs.4 StGB gegeben sein kann.
Damit hinkt Deutschland im internationalen Vergleich deutlich hinterher. Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Kinderpornographie, die diese Probleme adressiert, wurde bereits 2011 verabschiedet und hätte hier eigentlich bis 2013 umgesetzt werden müssen – wurde sie in Deutschland aber nicht. Vielleicht geht der neue Justizminister das Thema ja mit mehr Elan an.
LTO: Herr Professor Gercke, vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Marco Gercke ist Rechtsanwalt und Direktor des Instituts für Medienstrafrecht in Köln. Er hält Vorträge zum Medienstrafrecht an der Universität zu Köln und ist Verfasser zahlreicher Beiträge zu diesem Thema.
Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.
Kinderpornographie im Internet: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11014 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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