Ein vermurkstes Gesetz der GroKo wird von der Ampel korrigiert: Danach konnten sich Lehrer oder Eltern eines Verbrechens strafbar machen, nur weil sie über vorgefundene kinderpornografische Inhalte informieren wollten.
Im April hatte es LTO bereits angekündigt, nun ist es so weit. Der missglückte Kinderpornografie-Straftatbestand in § 184b Strafgesetzbuch (StGB) wird entschärft, der Strafrahmen wird eingedampft. Das Bundesjustizministerium (BMJ) gab am Donnerstag einen entsprechenden Referentenentwurf in die Ressortabstimmung. Der elfseitige Entwurf liegt LTO vor ("Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 des Strafgesetzbuches – Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte.")
Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte im Jahr 2021 die in der Vorschrift unter Strafe gestellten Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte entgegen nahezu einhelliger Expertenmeinung zum Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr hochgestuft.
Doch kaum war die Vorschrift in Kraft, zeigte sich, dass die Verschärfung in der Praxis mehr Problem schafft als löst.
Besorgten Eltern drohte Strafverfolgung
So führte die Neuregelung dazu, dass sogar gegen Lehrer, Betreuer oder andere Aufsichtspersonen ermittelt werden musste, die kinderpornografisches Material an sich genommen hatten, ohne dass es ihnen dabei auf den Besitz des inkriminierten Inhalts selbst ankam. Eltern können sich nach der (noch geltenden) Regelung z.B. strafbar machen, wenn sie entsprechende Fotos auf den Handys ihrer Kinder finden und an andere Eltern der Schulklasse zur Warnung oder Prüfung weiterschicken. Auch "Spaßvideos", die Kinder auf dem Schulhof teilen, können in den Anwendungsbereich fallen.
Ein weiteres, prozessrechtliches Problem: Durch die Heraufstufung zum Verbrechen wurde den Ermittlern auch ein flexibles Instrumentarium aus der Hand genommen, nämlich Verfahren in bestimmten Konstellationen auch einzustellen, ggf. gegen Auflagen (§§ 153, 153a Strafprozessordnung). Auch minder schwere Fälle sah die Vorschrift nicht vor.
Auch Staatsanwälte für Entschärfung
Sachverständige hatten die GroKo auf diverse Wertungswidersprüche aufmerksam gemacht. So verwies etwa der Tübinger Strafrechtler Prof. Jörg Kinzig in der Bundestagsanhörung darauf, dass selbst bei der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 5 StGB ein minder schwerer Fall vorgesehen sei (Abs. 9). Und die seinerzeit von der Union geladene Staatsanwältin Dr. Julia Bussweiler ergänzte, dass die Anhebung des Strafrahmens das Regelungsgefüge im Hinblick auf Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit erschüttere. "Der Besitz kinderpornographischer Schriften würde (…) als schwerwiegender eingestuft als beispielsweise massive Gewaltanwendungen gegen andere Personen (§ 224 Abs. 1 StGB) oder Minderjährige und Wehrlose (§ 225 Abs. 1 StGB) oder Delikte des Menschenhandels (§ 232 Abs. 1 StGB) oder der Zwangsprostitution (§ 232a StGB), die lediglich mit einem Mindestmaß von sechs Monaten Freiheitsstrafe belegt sind."
In einem Vorwort der letzten Juni-Ausgabe des juristischen Fachblattes "Strafverteidiger", das wie LTO zum Fachverlag Wolters Kluwer gehört, bekräftigte die Staatsanwältin erneut ihre Kritik an der Verschärfung – stellvertretend für viele Strafverfolger. "In einer immer digitaler werdenden Gesellschaft, in der das gedankenlose Weiterleiten jeglicher Inhalte gerade durch Jugendliche an der Tagesordnung ist, trifft die Regelung des § 184b StGB in einer Vielzahl der Fälle nicht das eigentliche Klientel", so Bussweiler. Stattdessen würden Schüler, Eltern und Lehrer als Verbrecher stigmatisiert und die Strafverfolgungsbehörden zum Einsatz ihrer ohnehin knappen Ressourcen gegenüber diesen Personen gezwungen.
Druck aus den Ländern
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) reagiert mit seinem Gesetzentwurf nun auch auf einen Beschluss der Landesjustizminister vor genau einem Jahr. Am 10. November 2022 baten die 16 Landesjustizminister Buschmann, die Verschärfung wieder rückgängig zu machen. Er solle einen Gesetzentwurf vorlegen, der für die Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB "entweder eine Herabstufung zum Vergehen oder eine Regelung für minder schwere Fälle vorsieht und die Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Bandbreite des möglichen Handlungsunrechts auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe festlegt", wie es in dem damaligen Beschluss hieß.
Konkret entschieden hat sich Buschmann nun für die erste Variante. Der Referentenentwurf sieht vor, dass alle Tatbestände des § 184b Abs. 1 und 3 StGB durch Absenken der Mindeststrafen wieder zu Vergehen herabgestuft werden. Die Erhöhung der Höchstfreiheitsstrafe auf zehn Jahre für die schwerwiegenderen Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB wird aber beibehalten. Dadurch werde sichergestellt, dass auch künftig schwere Straftaten nach § 184b Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 StGB angemessen sanktioniert werden können, heißt es in einem Erläuterungspapier des BMJ. Mit der nun auf den Weg gebrachten Änderung wird laut BMJ den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit wiedereröffnet, "angemessen auf Verfahren zu reagieren, bei denen der Tatvorwurf am unteren Rand der Strafwürdigkeit liegt." Diese Verfahren können wieder nach den §§ 153 und 153a StPO eingestellt oder durch Strafbefehl nach den §§ 407 ff. StPO erledigt werden, wenn die Voraussetzungen im Einzelfall vorliegen.
BMJ gegen Einführung eines minder schweren Falls
Gegen die Einführung eines minder schweren Falls spreche laut Gesetzentwurf, "dass nach § 12 Absatz 3 StGB Strafmilderungen, die für minder schwere Fälle vorgesehen sind, für die Einteilung in Vergehen und Verbrechen außer Betracht bleiben". Da die §§ 153 und 153a StPO aber nur für Verfahren gelten, die ein Vergehen zum Gegenstand haben, wäre damit die von der Praxis geforderte Wiedereröffnung der Möglichkeit einer Einstellung von Verfahren am untersten Rand der Strafwürdigkeit weiterhin ausgeschlossen", heißt es. Zudem wäre aus dem gleichen Grund eine Erledigung durch Strafbefehl weiter ausgeschlossen (§ 407 Absatz 1 Satz 1 StPO).
In einem Erläuterungsschreiben zum Gesetzentwurf beschreibt das BMJ diverse Sachverhalte, die die Korrektur des Gesetzes notwendig machten, weil kein strafwürdiges Verhalten vorliege. Zum Beispiel den Fall einer Elternvertreterin, die einen Screenshot von Kinderpornografie aus dem Klassenchat macht und diesen an Eltern und Klassenlehrer sendet, um diese zu informieren. Oder den einer Mutter, die Kinderpornografie im Klassenchat ihres 12-jährigen Sohnes entdeckt und das Bild empört an den Lehrer der Klasse mit der Frage schickt "Wie kann das sein?"
Verfahren beim BVerfG anhängig
Erwähnt wird auch ein weiterer Fall, der derzeit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Form einer Normenkontrollvorlage des Amtsgerichts Buchen anhängig ist. Das zugrundeliegende Strafverfahren vor dem AG richtet sich gegen eine junge Frau, auf deren Mobiltelefon unbeabsichtigt durch automatischen Download schweres kinderpornografisches Material gespeichert und von ihr – auch nach Ansicht des AG – nur aus Nachlässigkeit nicht gelöscht wurde.
Das AG zeigte sich überzeugt, dass die Frau das Material ablehnt und hält die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ohne die Regelung eines minderschweren Falls für verfassungswidrig, da sie gegen das Schuldprinzip verstoße. Fachverbände, die zu dem Verfahren vor dem BVerfG öffentlich Stellung genommen hatten, teilten die Einschätzung des vorlegenden Gerichts. Es ist davon auszugehen, dass sie jetzt auch die von Marco Buschmann auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung begrüßen.
Dass das BMJ seit der Bitte durch die Landesjustizminister für die Ausarbeitung des knappen Gesetzes gut ein Jahr verstreichen ließ, hing wohl auch damit zusammen, dass Buschmann zeitweise zögerte, das heikle Thema in Angriff zu nehmen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hatte berichtet, dass Buschmann in einer internen Runde der Landesjustizminister auf das "politische Diffamierungspotential" bei diesem Thema hingewiesen habe.
Ein stückweit verwunderlich: Selten gab es für eine Entschärfung im StGB eine derart breite Zustimmung.
BMJ-Referentenentwurf in der Ressortabstimmung: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53133 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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