Kachelmann-Prozess: Unbefangen richten

von Prof. Dr. Matthias Jahn

06.09.2010

Das Strafverfahren gegen Jörg Kachelmann beginnt mit Befangenheitsgesuchen gegen zwei Berufsrichter. Überflüssiges prozessuales Vorgeplänkel oder ein unaufschiebbares Anliegen Kachelmanns, der der Strafkammer immerhin schon vier Monate U-Haft zu verdanken hat? Prof. Dr. Matthias Jahn über die Ablehnung von Richtern im Strafverfahren und deren Maßstäbe.

"Muss das denn sein?", werden sich einige aus der vielköpfigen Reporterschar gefragt haben, die am Montagmorgen den Prozessauftakt des Verfahrens gegen Jörg Kachelmann in Mannheim erwartet haben: Statt Verlesung der Anklage und Beantwortung der Frage, ob sich Jörg Kachelmann zur Sache äußern oder – zumindest vorerst – von seinem Schweigerecht Gebrauch machen wird, wird nach dem wochenlangen und öffentlich inszenierten Gutachterstreit einen neuer prozessualer Schauplatz eröffnet: Das Befangenheitsgesuch gegen zwei Richter der Mannheimer Strafkammer, die eigentlich über den Vergewaltigungsvorwurf urteilen sollen.

Der Stoßseufzer einiger Prozessbeobachter ist nach den Maßstäben des geltenden Strafprozessrechts aber eindeutig zu beantworten: Ja, es muss sein! Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Strafgericht muss die Richterablehnung spätestens zu Beginn der Vernehmung des Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse erfolgen, also noch vor Verlesung des Anklagesatzes.

Das mutet auf den ersten Blick merkwürdig an, ist aber sinnvoll. Ein etwa vorliegender Ablehnungsgrund kann nicht beliebig lange geltend gemacht werden. Ansonsten könnte der Angeklagte einfach abwarten, wie sich das Verfahren entwickelt, um dann mit der Richterablehnung den Prozessabschluss doch noch zu verhindern.

Die Kachelmann-Verteidigung hatte also zumindest in zeitlicher Hinsicht keine andere Wahl, als den Schriftsatz zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts zu reichen, bevor die Verhandlung zur Sache begann. Anderenfalls hätte sie riskiert, mit ihrem – berechtigten oder unberechtigten – Vorbringen präkludiert zu sein, die Befangenheitsrüge vor dem Bundesgerichtshof (zuständig wäre im Falle der Anfechtung des Urteils am Ende der Hauptverhandlung dessen 1. Strafsenat) in der Revisionsinstanz also nicht mehr mit Erfolg anbringen zu können. Was aber sind die inhaltlichen Maßstäbe für diesen Erfolg?

Nicht entscheidend, ob sich der Richter selbst für unbefangen hält

Richter kann in der Bundesrepublik Deutschland nur ein im Rechtssinne unbeteiligter Dritter sein. Wer sich in eine Sache selbst auch nur mittelbar verstrickt, kann aufgrund seiner Erwartungshaltung bereits den Sachverhalt nicht mehr zutreffend erfassen. Die Strafjuristen sprechen hier vom Redundanzprinzip.

Darüber hinaus vermag ein solcher Richter auch nicht richtig zu werten. Deshalb droht durch sein Fehlurteil, wie etwas pathetisch, aber in der Sache zutreffend formuliert wird, eine Störung des Vertrauens der Gemeinschaft in die Lauterkeit der Rechtsordnung.

Auch deshalb ist der Maßstab für die Befangenheit recht weit formuliert. Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter bereits dann abgelehnt werden, wenn der Angeklagte ihn aus nachvollziehbaren Gründen für befangen ansieht. Entscheidend ist also gar nicht, ob der Richter tatsächlich befangen ist oder ob er sich selbst für befangen hält.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist aber auch nicht aus der Sicht des Angeklagten Kachelmann zu beurteilen. Dieser würde wohl kaum auf die Unbefangenheit einer Strafkammer vertrauen, deren Entscheidungen für ihn vier Monate Untersuchungshaft nach sich zogen. Weil das Gesetz dieses Problem kennt, ist die Unbefangenheit vom Standpunkt eines verständigen, sozusagen „durchschnittlich belastbaren“ Angeklagten aus zu beurteilen.

Es genügt der böse Anschein

Voraussetzung ist nach der etwas gestelzten Formulierung der Obergerichte, dass er Grund zu der Annahme haben muss, der abzulehnende Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung an, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Hierdurch soll ein weiterer Zweck der Vorschriften über die Ablehnung erreicht werden: Das Urteil wird eher akzeptiert, wenn es den Umständen nach ordnungsgemäß zustande gekommen ist.

Deshalb dürfen auch keine auch nur befangen erscheinenden Richter mitwirken, denn sonst schwebt der Vorwurf der Unsachlichkeit im Raum. Es genügt schon, wie der Bundesgerichtshof mehrfach festgestellt hat, der böse Anschein. Ein erfolgreich abgelehnter oder ausgeschlossener ist also kein gesetzlicher Richter mehr, wie ihn auch das Grundgesetz fordert. Ob diese Voraussetzungen im Fall Kachelmann vorliegen, ist derzeit offen. Die Spekulationen über etwaige Querverbindungen zwischen den Mannheimer Richtern und der Opferzeugin sowie ihren Familienangehörigen werden also noch etwas ins Kraut schießen.

Wie geht es nun weiter? Die Strafkammer wird, wenn sie das Ablehnungsgesuch nicht für missbräuchlich hält, außerhalb der Hauptverhandlung ohne die Schöffen entscheiden. Dabei werden die beiden abgelehnten Richter durch ihre Vertreter ersetzt: Die Vertretung ist vorab im Geschäftsverteilungsplan des Mannheimer Landgerichts festgelegt. Ist der Angeklagte mit der für den 13. September erwarteten Entscheidung dieser so genannten Vertreterkammer nicht einverstanden, kann er dies nur zusammen mit dem Urteil überprüfen lassen. Aber bis dahin ist es für alle Beteiligten noch ein weiter Weg.

Der Autor Prof. Dr. Matthias Jahn ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht und Leiter der Forschungsstelle für Recht und Praxis der Strafverteidigung (RuPS) der Universität Erlangen. Er ist selbst im Nebenamt Richter am Oberlandesgericht Nürnberg.

Zitiervorschlag

Matthias Jahn, Kachelmann-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1377 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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