Justizministerin Christine Lambrecht stellte vor Karlsruher Juristen ihr rechtspolitisches Programm vor - von der Meldepflicht für Offizieldelikte im Internet bis zur Bestrafung des Fotografierens unter Röcken. Christian Rath war dabei.
Für Christine Lambrecht (SPD) ist es der Antrittsbesuch als Justizministerin in Karlsruhe. Sie besucht Mittwoch und Donnerstag das Bundesverfassungsgericht, den Bundesgerichtshof (BGH), die Bundesanwaltschaft und die Justizpressekonferenz. Am Mittwochabend stellte sie im BGH auf Einladung der Juristischen Studiengesellschaft ihre wichtigsten rechtspolitischen Projekte vor.
Wie am Vortag in Berlin warnte Lambrecht intensiv vor dem bröckelnden Zusammenhalt der Gesellschaft, dem zunehmenden Hass und der rechtsextremen Gewalt.
Ihr wohl wichtigstes Projekt dagegen ist eine Verschärfung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Mit diesem Gesetz wurden 2017 die Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook verpflichtet, ein funktionierendes Beschwerdemanagement aufzubauen. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sollen von den Betreibern binnen 24 Stunden gelöscht werden.
Meldepflicht ins NetzDG
Lambrecht will nun zusätzlich eine Meldepflicht einführen. Die Betreiber sollen "Offizialdelikte" der Polizei anzeigen. Als Beispiel nannte die Ministerin Morddrohungen, Volksverhetzung und Beleidigungen (obwohl die Beleidigung derzeit noch ein Antragsdelikt ist).
Den Vorwurf, dass hier die Strafverfolgung privatisiert werde, wies Lambrecht zurück. Bei Banken sei es auch selbstverständlich, dass sie Geldwäsche-Verdachtsfälle den Behörden melden. Zwar werde eine Meldepflicht für Offizialdelikte neue Herausforderungen für die Justiz bringen. "Aber diese Herausforderung müssen wir annehmen", erklärte die Justizministerin, "wir können nicht nur Sonntagsreden halten." Sie erinnerte dabei an den Pakt für den Rechtstaat, mit dem 2000 neue Stellen für die Justiz geschaffen wurden. "Wir werden sehr genau hinschauen, ob die Länder ihren Verpflichtungen nachkommen", kündigte Lambrecht an.
Eine Klarnamenpflicht im Internet lehnte Lambrecht ab. Zwar sei es wohl richtig, dass die Anonymität im Internet ein Grund für die zunehmende Enthemmung sei. Eine Pflicht, nur noch unter Klarnamen zu posten, helfe aber nicht weiter. "Es gibt so viele Heinz Müllers in Deutschland", sagte sie, "ist es nun der Heinz Müller aus Hamburg oder der Heinz Müller aus Berlin?"
Faire Verbraucherverträge ohne Überrumpelung
Als Verbraucherschutz-Ministerin arbeitet sie an einem Gesetz für faire Verbraucherverträge. Die Menschen sollen künftig weniger übervorteilt werden. "Da kommen Leute von der Arbeit nach Hause, haben noch die Einkaufstüte in der Hand, da ruft jemand an und überredet sie, den Energieversorger zu wechseln", beschrieb Lambrecht das Problem, "nicht alle Menschen können in so einer Situation die Vor- und Nachteile erkennen." Deshalb soll es künftig eine Pflicht geben, das beim telefonischen Vertragsschluss Gesprochene schriftlich zu dokumentieren, bevor der Vertrag endgültig in Kraft gesetzt wird.
Sie habe diesen Plan mit den Stadtwerken ihrer Heimatstadt Viernheim diskutiert, so erzählt Lambrecht. Eigentlich hatte sie erwartet, dass die Stadtwerke wegen des zusätzlichen Aufwands skeptisch seien, aber sie hätten im Gegenteil das Vorhaben unterstützt, weil sie auch unter unseriösen Geschäftemachern leiden, erzählt Lambrecht. "Da gebe es Anrufer, die sich als Vertreter der Stadtwerke ausgeben und einen 'besseren Vertrag' versprechen. Am Ende hätten die Kunden dann aber einen neuen Vertrag mit einem ganz anderen Anbieter, ohne das zu wollen."
Kategorie: "So etwas macht man nicht"
Lambrecht warb auch für die geplante Reform der Strafprozessordnung (StPO). Verfahren sollten "nicht mehr unnötig verzögert" werden können, etwa indem ein Beweisantrag immer wieder gestellt wird. Rechte der Betroffenen würden damit nicht beschnitten. Es sei fast etwas zu hoch gegriffen, den Zehn-Punkte-Plan zur StPO als "Reform" zu bezeichnen. "Da habe ich unter Herta Däubler-Gmelin an ganz anderen Reformen mitgewirkt, etwa zum Schuldrecht", erklärte Lambrecht launig.
Früher habe sie sich auch kaum vorstellen können, Dinge im Strafrecht zu regeln, die in die Kategorie "so etwas macht man nicht" fallen. Konkret nannte sie das Filmen von Toten nach Verkehrsunfällen und das so genannte Upskirting, also das Fotografieren unter den Rock. Sie wisse, dass das Strafrecht ultima ratio sei, aber wenn man feststelle, dass so etwas passiere, könne der Staat nicht einfach zuschauen. Er müsse dann reagieren und "die Lücke schließen".
Lambrecht warb auch für ihren Entwurf eines Unternehmens-Sanktionenrecht. "Kein Arbeitnehmer kommt morgens auf die Idee, Gammelfleisch umzuetikettieren, da stecken Strukturen dahinter", so die Ministerin. Unternehmen sollten bei Betrug und Korruption nicht ungeschoren davon kommen. Wichtig sei die Einführung des Legalitätsprinzips. Bisher gebe es einen "Flickenteppich", oft werde auf Ermittlungen gegen Unternehmen verzichtet. Essenziell seien auch Sanktionen, die "der wirtschaftlichen Stärke entsprechen". Die bisherige Obergrenze für Geldbußen von 10 Millionen Euro sei bei großen Unternehmen nicht angemessen.
"Verfassungsrechtliche Fragen" zum Mietendeckel
Die Ministerin freute sich, dass sie im Mietrecht die Lebenssituation der Bevölkerung positiv beeinflussen könne. So werde die Mietpreisbremse für Neuvermietungen um fünf Jahre verlängert und verschärft. Zuviel gezahlte Miete könne künftig rückwirkend für 30 Monate zurückgefordert werden.
In der Diskussion äußerte sie sich eher skeptisch zum geplanten Berliner Mietendeckel. Sie habe dazu "verfassungsrechtliche Fragen", wenn Mieten sogar abgesenkt werden sollen. Wie die SPD im Bund sei sie aber für einen "Mietenstopp". In bestimmten Regionen sollen danach Mieterhöhungen nur noch bis zur Höhe des Inflationsausgleichs möglich sein.
Karlsruhe und Leipzig "auf Augenhöhe"
Der Karlsruher Rechtsanwalt Christian Kirchberg äußerte in der Diskussion die Befürchtung, das sich der Schwerpunkt des geplanten Rechtsstaat-Vermittlungsprojekts Forum Recht "unter der Hand" von Karlsruhe nach Leipzig verlagere. Der Karlsruher Förderkreis bestehe allerdings auf dem "Erstgeburtsrecht". Das Forum Recht in Karlsruhe müsse deshalb "mit Vorsprung vor Leipzig" realisiert werden.
Lambrecht hält es grundsätzlich für richtig, dass eine Einrichtung zur Vermittlung von Rechtsstaatlichkeit auch in den neuen Ländern einen Standort brauche. Sie werde sich aber dafür "stark machen", dass beide Standorte, Karlsruhe und Leipzig, "auf Augenhöhe" konzipiert und ausgestattet werden. Kein Standort solle die Nebenstelle des anderen werden.
Lambrecht in Karlsruhe: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38093 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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