Im Nachbarland Berlins schlagen Richter Alarm, sie halten ihre Besoldung für evident verfassungswidrig. 57.000 Euro brutto locke keinen Nachwuchs nach Perleberg. Mit der drohenden Pensionierungswelle sehen sie die Justiz in eine Krise rutschen.
25 Prozent mehr Geld? Das fordert nicht der Chef der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer Claus Weselsky, sondern die Brandenburger Richter und Staatsanwälte. Sie sorgen sich um die Zukunft ihrer Justiz. Der Landesverband des größten Justizverbands "Deutscher Richterbund" (DRB) hat dazu einen zehnseitigen Brief veröffentlicht, der nichts anderes ist als eine vernichtende Bestandsaufnahme.
In Brandenburg gehen nach Schätzungen des Justizministeriums innerhalb der nächsten neun Jahre rund vier von zehn Richtern und Staatsanwälten in den Ruhestand. Die Forderung nach deutlich mehr Besoldung ist danach vor allem als Versuch zu sehen, die Justiz für gute Nachwuchsjuristinnen und -juristen attraktiv zu machen. Denn die Nachwuchsgewinnung stecke in einer Krise, so der Brandenburg-Brief. Hinter dem Brief steht der Landesverband mit nach eigenen Angaben rund 330 Mitgliedern aus Richterschaft und Staatsanwaltschaft. Die Praktiker bilanzieren: Auf die im Jahr 2023 insgesamt 28 neu zu besetzenden Richterstellen im Land habe es statistisch gesehen nicht einmal eine Bewerbung pro freie Stelle gegeben. Zuletzt habe man gerade noch zwei der 13 offenen Stellen besetzt können.
Justiz lockt mit 57.000 Euro, Berliner Großkanzleien mit 150.000 Euro
Das mag auch an der Bezahlung liegen. Der Brief rechnet vor: Während ein Berufsanfänger in Brandenburg (Besoldungsgruppe R1, Erfahrungsstufe 2, ledig, keine Kinder) im richterlichen Dienst derzeit ein Jahreseinkommen von rund 57.500 Euro erwarten könne, lägen die Einstiegsgehälter bei den bekannten großen, auch in Berlin tätigen Anwaltskanzleien inzwischen bei 150.000 Euro und mehr. Dass eine Arbeitswoche am Amtsgericht Perleberg möglicherweise anders aussieht als im M&A-Referat in einem Großkanzleiturm am Potsdamer Platz gehört natürlich auch in den Vergleich. Und man kann diskutieren, wie angemessen die Verdienstmöglichkeiten im Jahr 2023 sind, orientiert an den Faktoren Einfamilienhaus, Anerkennung, Altenheim.
Argumente, die abgesehen von der Bezahlung für den Staatsdienst sprachen, sehen die Richterinnen und Staatsanwälte ebenfalls langsam zerbröseln: Der sichere Arbeitsplatz – in Zeiten des Fachkräftemangels weniger entscheidend. Solide Altersvorsorge – bekommen Anwältinnen und Anwälte auch über das Versorgungswerk. Gute Work-Life-Balance in den Gerichtszimmern und Amtsstuben – abhängig von Erfahrung, Aufgabengebiet, Krankenstand und nicht zuletzt davon, wie viele Stellen unter den Kollegen auch wirklich besetzt sind.
Hinzu kommt ein Problem, das viele große Flächenländer mit dem Justiznachwuchs haben: Viele Bewerber würden bereits vor einer Bewerbung zurückschrecken, weil sie lange Arbeitswege befürchteten. Wer weiß, wo man eingesetzt wird?
Wenn nun der Verband eine Besoldungserhöhung um "mindestens 25 Prozent" fordert – für Einsteiger 1.200 Euro brutto mehr – mag man das vor allem als Warn- oder Hilferuf verstehen.
Besoldung in Brandenburg verfassungswidrig?
Dass der Richterbund in Brandenburg die Besoldung für verfassungswidrig hält, wird in dem Brief mit einem einzigen Satz dagegen nur als Randnotiz erwähnt: "In den nachfolgenden Ausführungen soll nicht der Versuch unternommen werden, […] aufzuzeigen, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte in Brandenburg jedenfalls in den vergangenen Jahren evident verfassungswidrig zu gering bemessen war und es wahrscheinlich noch ist."
Auf Nachfrage antwortet Marcus Sonneberg, Mitglied des Landesvorstands und Richter am Landgericht, bislang sei noch nicht rechtskräftig festgestellt, dass die Besoldung in Brandenburg verfassungswidrig zu niedrig ist. Eine Vorlage des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder aus dem Jahr 2018 warte noch beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf eine Entscheidung.
Das hatte zuletzt 2020 für Berlin festgestellt, dass das Land seinen Richterinnen und Richtern zwischen 2009 und 2015 zu wenig gezahlt habe. Der Zweite Senat entschied, dass Teil der Berliner Besoldungsvorschriften mit dem von Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz (GG) gewährleisteten Alimentationsprinzip unvereinbar seien.
Bald soll es auch neue Klagen gegen die Besoldungsregeln aus Brandenburg geben. "Besoldungsklagen bezüglich der Jahre ab 2017 sind in Vorbereitung", kündigt Sonneberg an.
Deutschland belegt im EU-Ranking den letzten Platz
Eine Untersuchung in den Europaratländern hat im Jahr 2022 die Bruttoeinkommen von Richtern im Vergleich zum Durchschnittsbruttoeinkommen der jeweiligen Bevölkerung erhoben. Das Schlusslicht: Deutschland. Die deutschen Richter müssen mit einer Einstiegsbezahlung nah dem Durchschnittseinkommen zufrieden sein. Und sie landen damit hinter Rumänien, Bulgarien, Estland oder Aserbeidschan. Einem norwegischen Richter steht im Vergleich durchschnittlich ein doppelt so hohes Bruttoeinkommen zur Verfügung (rund 112.000 Euro zum Berufseinstieg, rund 178.000 Euro für einen Richter der höchsten Instanz.)
Kritik kommt deshalb auch aus Brüssel. In ihrem aktuellen "Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2023" stellt die EU-Kommission fest: "Darüber hinaus ist die Besoldung in der Justiz im Gehaltsvergleich (durchschnittliches Bruttogehalt) nach wie vor sehr niedrig". Und sie variiere von Land zu Land erheblich. Eine angemessene Besoldung von Richtern sei außerdem wichtig, um sie bei ihren Entscheidungen vor Druck von außen zu schützen. Eine Sorge, die die Kommission in anderen Ländern vor allem im Zusammenhang mit Korruption umtreibt.
Abwärtsspirale bei den Examensnoten und bei Qualität in der Justiz
Die Brandenburger Gerichte haben aus Sicht des Landesverbands auch noch einen weiteren Standortnachteil: die Nähe zur Bundeshauptstadt mit ihren Bundesministerien und Behörden. Man stehe "in einem harten, oftmals nahezu aussichtslosen Wettbewerb um die besten juristischen Fachkräfte". Neben besseren Aufstiegsmöglichkeiten und besserer Ausstattung erhält etwa ein Referent als Berufseinsteiger (Besoldungsgruppe A13, Stufe 1, ledig, keine Kinder, inkl. Ministerialzulage) eine monatliche Besoldung von 4.867,31 Euro, ab März 2024 aber 5.321 Euro. Hingegen könne ein Berufsanfänger in Brandenburg nach der R-Besoldung (Besoldungsgruppe R1, Erfahrungsstufe 2, ledig, keine Kinder) derzeit 4.792 Euro erwarten.
Brandenburg hat wie viele Bundesländer die Notenschwelle abgesenkt, um auf dem Bewerbermarkt seine Chance zu verbessern. Das Land verlangt aktuell im zweiten Examen mindestens acht Punkte und dass sich die Bewerberinnen und Bewerber "durch besondere persönliche Eigenschaften auszeichnen". In der Realität sei man wegen des Bewerbermangels längst dazu übergegangen, im Einzelfall auch Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, deren zweite Examensnote geringfügig unter 8,0 Punkten liegt, heißt es in dem Brief. Doch auch dieser Schritt habe die Bewerberlage nicht verbessert.
Ein Trend, der den Richterinnen und Richtern Sorgen macht: "Die derzeitigen Besoldungsvorschriften im Land Brandenburg forcieren eine Entwicklung dahingehend, immer geringere Anforderungen an die fachliche Eignung der Bewerber zu stellen." Die Prognose der DRB-Richter und -Staatsanwälte ist düster: "Der ohne geeignete Gegenmaßnahmen drohende Verlust an Berufserfahrung und praktischer Fachkenntnis in den Kollegien der Gerichte und Staatsanwaltschaften wird die Qualität der Rechtsprechung und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft spürbar herabsenken." Das treibt auch das Landesjustizministerium um. "Diese Höhe der Besoldung ist nicht nur für die Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber wichtig, sondern dient auch zur Gewährleistung einer weiterhin hohen Qualität der Rechtsprechung", schreibt ein Sprecher auf LTO-Anfrage.
Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung zur Besoldung auch kritische Ausführungen zu den abgesenkten Anforderungen gemacht: Ab 2007 habe die Justizverwaltung in Berlin statt mindestens der Note "vollbefriedigend" diese nur noch "in der Regel" erwartet. Ab 2011 durfte an den Auswahlverfahren auch teilnehmen, wer 7,5 Punkte im der Ersten Staatsexamen und 8,5 Punkte in der Zweiten Staatsprüfung erzielt hatte. Das Land Berlin hatte zu seiner Verteidigung in einer Stellungnahme vorgebracht, auch zuvor seien Bewerber "nach Angebot und Nachfrage" ohne die geforderte Qualifikation zum Zuge gekommen. Die Verfassungsrichter fanden aber, das ändere nichts daran, dass ein vormals jedenfalls im Ausgangspunkt nicht für geeignet erachteter Bewerberkreis angesprochen werden musste.
Justizministerium sieht keine Nachwuchsprobleme
Wie sieht die Lage der Richterinnen und Staatsanwälte in Brandenburg aus Sicht des zuständigen Ministeriums der Justiz aus? Auf Anfrage von LTO antwortet ein Sprecher, "dass im Bereich des richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienstes bisher keine Nachwuchsprobleme in der Justiz Brandenburgs festzustellen sind."
Das Ministerium erwartet, bis Ende des Jahres rund 60 Neue in den Dienst einstellen zu können. Das entspricht grob den jeweiligen Zahlen der letzten fünf Jahre. Zwischen 2018 und 2022 seien 289 neue Richter und Staatsanwälte auf 767 Bewerbungen eingestellt worden, so die Antwort. Eine Auflistung zeigt aber, dass die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber in den letzten Jahren rückläufig ist. Das Ministerium betont allerdings: "Insgesamt werden in der Legislaturperiode ab Herbst 2019 deutlich mehr Richter und Staatsanwälte neu eingestellt als der Justiz in diesem Zeitraum durch Altersabgänge verloren gehen." Also keine Probleme.
Eine Antwort, die beim Landesverband des DRB für Kopfschütteln sorgt. Gegenüber LTO widerspricht die Vorsitzende des Verbands, Oberstaatsanwältin Jessica Hansen, der Einschätzung des Ministeriums. Ihr Verband sehe "erhebliche Probleme in der Nachwuchsgewinnung".
Soll der Bund die Besoldung zentral festlegen?
Ende September erst hat die Brandenburger Justiz die Ergebnisse einer "Zukunftskonferenz" vorgestellt. Auch dabei ging es um die Pensionierungswelle, Nachwuchsgewinnung und Besoldung als Wettbewerbsfaktor. "Der große Fehler war, die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten im Rahmen der Föderalismusreform auf die Länder zu übertragen", sagte Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU).
"Die Besoldung wurde früher vom Bund aus geregelt, so dass es keinen Besoldungs-Wettbewerb zwischen den Bundesländern gab. Bayern zahlt nach meinen Erkenntnissen die höchsten Gehälter, die ärmeren Länder können da nicht mitgehen." Das schaffe eine unnötige Konkurrenzsituation. "Das Beste wäre, die Zuständigkeit wieder beim Bund anzusiedeln, um diese Wettbewerbsprobleme zu beseitigen", so Hoffmann.
Der Bund könnte zwar verhindern, dass die Brandenburger Richter im Vergleich zu ihren bayerischen Kollegen relativ arm sind. Aber damit ließen sich nicht alle Standortnachteile beheben. Für seine Sexiness muss das Berliner Nachbarbundesland wohl doch selbst sorgen.
Pensionierungswelle droht: . In: Legal Tribune Online, 29.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53296 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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