Anwälte gibt es im Bundestag zu Hauf. Juraprofessoren nur ganz selten. Demnächst wird es wieder einen geben: den CDU-Direktkandidaten Heribert Hirte aus Köln, der einen Lehrstuhl an der Uni Hamburg innehat. Im Interview erläutert er, wie er Steuerverschwendung unter Strafe stellen will, was er für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun möchte und warum er vom Programm seiner Partei abweicht.
LTO: Herr Professor Hirte, herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Was steht jetzt bei Ihnen an?
Hirte: Unter Juristen stellt man sich natürlich zuerst die Frage, ab wann man überhaupt Abgeordneter ist. Das ist mit der Eröffnung der konstituierenden Sitzung des Bundestags der Fall. Sobald der Bundeswahlleiter das amtliche Wahlergebnis festgestellt hat, laufen aber bereits die Rechte und Pflichten als Abgeordneter an. Gleichzeitig ruhen ab diesem Zeitpunkt automatisch die Rechte aus meinem Beamtenverhältnis als Hochschulprofessor.
Im Augenblick bin ich nur gewählter Abgeordneter. Noch sind die alten Abgeordneten im Amt. Falls es jetzt noch einmal etwas zu beraten und entscheiden gäbe, würden sie einberufen werden.
LTO: Vier Jahre im Bundestag sind eine lange Zeit. Was wird derweil aus Ihrem Lehrstuhl?
Hirte: Die Vertretung ist noch nicht endgültig geklärt. Ich habe das Recht, aber nicht die Pflicht, bis zu einem Viertel meiner Lehrtätigkeit fortzuführen. Außerdem darf ich weiter Promotionen und Habilitationen betreuen.
Beides werde ich sicherlich für einige Zeit machen, um im wissenschaftlichen Betrieb drin zu bleiben und zurückkehren zu können, falls ich nicht wiedergewählt werde. Außerdem hoffe ich natürlich, als Abgeordneter in den Feldern zu arbeiten, in denen ich vorher auch als Professor geforscht habe. Um diesen "Synergieeffekt" nutzen zu können, will ich auf jeden Fall an meinen "großen Werken" in diesen Bereichen weiterschreiben.
"Elektronische Erreichbarkeit kann Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern"
LTO: Neben dem Steuerrecht haben Sie sich im Wahlkampf auch für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingesetzt. Sie sind selbst Vater von zwei Kindern im Teenageralter, haben als Juraprofessor erst in Jena, dann in Hamburg gearbeitet. Künftig werden Sie viel in Berlin sein, leben aber eigentlich mit Ihren Kindern und Ihrer ebenfalls berufstätigen Frau in Köln. Wie funktioniert das?
Hirte: Das war immer ziemlich nervig und das gesellschaftliche Verständnis für Pendlerbeziehungen ist gering. Als ich mal überlegt hatte, meine Stelle in Hamburg wegen der Kinderbetreuung zu reduzieren, wurde mir entgegengehalten, ob sich nicht meine Frau um die Kinder kümmern könnte… Da schluckt man dann zweimal. Wir haben das trotzdem hinbekommen ohne fremde Hilfe. Ich war nie die ganze Woche in Hamburg und meine Frau hat keine 100-Prozent-Stelle.
LTO: Wie würden Sie als Bundestagsabgeordneter dafür eintreten, dass sich Familie und Beruf besser vereinbaren lassen?
Hirte: Die alleinige Fokussierung auf Kita-Plätze bringt nichts. Und ich halte auch das Betreuungsgeld für den falschen Ansatz, weil es zwar einmal – was ich für richtig halte – die Wahlfreiheit zwischen eigener Betreuung durch die Eltern und Fremdbetreuung betont; es kann aber andererseits – und das ist problematisch – zu "Mitnahmeeffekten" bei solchen Eltern führen, deren Kinder eine Fremdbetreuung als Fördermaßnahme bitter nötig hätten. Die Kosten für die Kinderbetreuung sollten abzugsfähig sein, einschließlich der Kosten für einen häuslichen Arbeitsplatz (und zwar nicht erst dann, wenn es ein ganzes Arbeitszimmer ist). Zu Hause arbeiten zu können, erleichtert die Organisation der Kinderbetreuung nämlich ganz wesentlich.
Daran knüpft auch der nächste Punkt an: die elektronische Erreichbarkeit. Tendenziell gehen die Überlegungen dahin, solche "elektronischen Fußfesseln" arbeitsrechtlich jenseits der "Arbeitszeiten" für unzulässig zu erklären. Diesen Weg sind etwa das Bundesarbeitsministerium und VW unter maßgeblicher Beteiligung der Gewerkschaften gegangen. Völlig falsch sind diese Ansätze sicherlich nicht. Ein kontinuierliches Durcharbeiten ist nicht gut für die Gesundheit. Man braucht Freizeit. Allerdings erleichtert die elektronische Erreichbarkeit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zumal viele Menschen im Privatleben dauerhaft elektronisch "on" sind Überzeugender wäre es daher meines Erachtens, für eine Erreichbarkeit über bestimmte Zeiten hinaus zeitliche Gutschriften vorzunehmen.
"Meine Auslandsaufenthalte waren steuerrechtliche Doktorarbeiten"
LTO: Sie treten für ein einfacheres Steuerrecht ein. Was wäre ein erster Ansatz?
Hirte: Ich habe mit Sicherheit nicht vor, wie Kirchhof und Merz das Steuerrecht neu zu erfinden. Das lässt sich – hier muss man realistisch sein – nicht durchsetzen. Wir müssen aber hinkriegen, dass nicht mehr so viele Menschen an ihrer Steuererklärung verzweifeln. Ich habe mehrere Auslandsaufenthalte hinter mir. Jeder davon war steuerrechtlich eine Doktorarbeit. Das Finanzamt weiß es häufig selbst nicht besser und wenn man nachfragt, bekommt man keine Antwort. Am Ende sind die Bürger zu tausenden gezwungen, einen Einspruch gegen ihre Steuerfestsetzung einzulegen.
Auch dann, wenn eine Frage, die mehrere Personen betrifft, in einem Einzelfall geklärt ist, besteht das Finanzamt immer noch viel zu oft darauf, dass alle anderen jeweils einen eigenen Einspruch einlegen. Stattdessen sollte der Fiskus einfach allen Betroffenen das Geld zurückzahlen.
Außerdem müsste man den Leuten einen Rabatt dann geben, wenn sie ihre Steuererklärung durch einen Steuerberater machen lassen. Es gab mal die Möglichkeit, diese Kosten steuerlich abzuziehen. Das könnte man wieder einführen oder sogar noch deutlicher machen: Der Steuerberater nimmt dem Fiskus nämlich eine Menge Arbeit ab, indem er alle Unterlagen sortiert und aufbereitet.
Am Ende brauchen wir mehr Pauschalierung und Vereinfachung. Wir leben in einem System, in dem die Einzelfallgerechtigkeit bis zum Exzess getrieben wird, und das ist unserer Wirtschaftsordnung nicht zuträglich.
2/2: "Öffentliche Treuhänder sollen für Steuerverschwendung haften"
LTO: Sie wollen außerdem die Verschwendung von Steuermitteln unter Strafe stellen. Wie soll das funktionieren?
Hirte: Das ist natürlich eine plakative Forderung, die mit dem Vorhaben der SPD zusammenhängt, Steuerhinterziehung stärker zu bestrafen. Vielen fällt es schwer, mit Begeisterung Steuern zu zahlen, wenn sie sehen, wofür diese Steuern ausgegeben werden.
Mein Vorbild sind die Straftatbestände für die Vorstände systemrelevanter Banken, die in den letzten Monaten eingeführt worden sind. Danach macht sich strafbar, wer vorsätzlich oder fahrlässig die Bestandsgefährdung eines Kreditinstituts herbeiführt (§ 54a Kreditwesengesetz n.F.). Solche Haftungstatbestände sollten wir auf öffentliche Treuhänder übertragen. Aber es wird mit Sicherheit schwierig sein, diese Idee nach vorne zu bringen.
LTO: Haben Sie schon Mitstreiter?
Hirte: Es gibt Gespräche. Aber ich habe mir die Freiheit erlaubt, erst einmal meine eigenen Überlegungen voranzutreiben. Meine Programmpunkte zeichnen sich durch eine gewisse Individualität aus. Manches finden Sie so nirgendwo, anderes steht im Parteiprogramm der CDU sogar genau andersherum.
LTO: Ein Punkt, bei dem Sie nicht auf Parteilinie liegen, ist die Finanztransaktionssteuer. Im Gegensatz zu Ihrer Partei lehnen Sie diese ab. Warum?
Hirte: Schauen Sie zum Beispiel nach Frankreich und Italien, die bereits eine Finanztransaktionssteuer eingeführt haben. Dort kann man beobachten, dass sich das Geschäftsvolumen an den Börsen halbiert hat und nach Frankfurt und London abgewandert ist. Sogar die SPD-Finanzminister in Deutschland stellen sich daher bereits die Frage, ob die Finanztransaktionssteuer wirklich richtig ist.
"Vielleicht sollte man als geschäftsführende Regierung die Sache aussitzen"
LTO: Sie wenden sich entschieden gegen Steuererhöhungen. Was, wenn die Koalitionsverhandlungen mit der SPD zu einem anderen Ergebnis führen?
Hirte: Wir halten an dieser Kernforderung unseres Programms fest. Trotzdem brauchen wir eine Regierung und die CDU hat nun mal leider keine absolute Mehrheit bekommen. Durch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat haben wir sie erst recht nicht. Es wird also Kompromisse geben müssen.
Vielleicht wäre es geschickter, zunächst als geschäftsführende Regierung die Sache "auszusitzen". Ich bin mir da nicht sicher, aber eine Überlegung wäre es wert. Irgendwann tut es der anderen Seite nämlich auch weh, wenn sie die erhofften "Posten" nicht bekommt.
Vielleicht würden sich die Grünen beim Thema Steuern sogar eher auf die CDU zubewegen als die SPD, wenn wir ihnen dafür bei anderen Fragen, zum Beispiel in der Gleichstellungspolitik, entgegenkommen. Denn der SPD dient – anders als den Grünen – der Vorschlag von Steuererhöhungen ja nicht nur der Erzielung von Mehreinnahmen, sondern auch dazu, den Neidkomplex zu bedienen.
"Ich würde gerne im Rechts- oder Finanzausschuss mitarbeiten"
LTO: Im Moment wird auch ausgehandelt, wer in welchen Ausschuss geht. Wie läuft diese Verteilung überhaupt ab?
Hirte: Man kann einen Wunschzettel abgeben. Dann gleicht die "Teppichhändlerrunde" der Union – das sind die Vorsitzenden der Landesgruppen –die Wünsche ab. Die Verteilung läuft dabei auch nach Gesichtspunkten der Anciennität und des Föderalismus.
LTO: Was steht auf Ihrem Wunschzettel?
Hirte: Recht und Finanzen. Beide Wünsche sind gleichwertig. Bei meinen Themen macht das keinen Unterschied.
LTO: Juristen gibt es viele im Bundestag, ein Juraprofessor ist aber doch etwas Außergewöhnliches. Welche Erfahrungen und Kenntnisse können Sie aus Ihrer Tätigkeit an der Uni und der Forschung mit in den Bundestag bringen?
Hirte: Natürlich meine Sachkenntnis. Außerdem ist man es als Professor gewohnt, Dinge zu erklären und dabei zu vereinfachen. Das muss man als Abgeordneter auch tun. Nur eben nicht gegenüber Studenten, sondern gegenüber Bürgern und Parteimitgliedern.
LTO: Wie sind Sie überhaupt dazu gekommen, sich als Direktkandidat zu bewerben?
Hirte: Das war ein längerer Prozess. In den 70ern und 80er habe ich mich bereits in der Kommunalpolitik engagiert. Ausschlaggebend für meine jetzige Kandidatur war, dass ich nach Sitzungen im Rechtsausschuss, bei denen ich als Sachverständiger gehört wurde, gedacht habe: Eigentlich kannst du das genauso gut. Ich denke, es ist gut für dieses Land, wenn im Bundestag Leute mit Sachverstand sitzen, damit das Parlament nicht ständig über den Tisch gezogen wird.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Prof. Dr. Heribert Hirte, LL.M. (Berkeley) ist Direktor des Seminars für Handels‑, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg. Privat wohnt er in Köln-Sürth. Bei der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag gewann er im Wahlkreis Köln II (Stadtbezirke Rodenkirchen und Lindenthal sowie südliche Teile der Innenstadt) das Direktmandat für die CDU.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Prof. Dr. Heribert Hirte, LL.M. (Berkeley), Vom Lehrstuhl in den Bundestag: "Abgeordnete mit Sachverstand sind gut für dieses Land" . In: Legal Tribune Online, 02.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9727/ (abgerufen am: 19.07.2024 )
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