Presseberichte nach seiner Festnahme vom 11. April lassen den Eindruck gewinnen, dass eine Auslieferung Assanges von Großbritannien an die USA reine Formsache und schnell erledigt wäre. Doch das Gegenteil ist der Fall, zeigt Thomas Wahl.
Die jüngste Vergangenheit ist reich an Beispielen, bei denen Auslieferungen zur Strafverfolgung zum Politikum geworden sind. Deutschland ist nur zu gut die geforderte Überantwortung des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont an Spanien vor gut einem Jahr in Erinnerung. Zwischen Griechenland und der Türkei schwelt indes ein Streit über die Auslieferung von acht nach Griechenland geflohenen Soldaten wegen ihrer Rolle beim Putschversuch 2016. Ebenso Schlagzeilen machte kürzlich die Auslieferung des für die Football-Leaks-Enthüllungen verantwortlichen Ruiz Pinto von Ungarn nach Portugal.
Und nun Julian Assange, dem die USA vorwerfen, sich mit Chelsea (früher: Bradley) Manning verschworen zu haben, um Passwörter von US-Militärcomputern zu knacken und brisantes Material aus den Afghanistan- und Irakeinsätzen der US-Armee auf Wikileaks offengelegt zu haben. So jedenfalls die bisher bekannte Anklage gegen Assange, die voraussichtlich auch die Grundlage für das Auslieferungsersuchen der USA an das Vereinigte Königreich sein wird.
Die Fälle weisen freilich Unterschiede auf, schon deswegen, weil für die Auslieferungen unterschiedliche Rechtsgrundlagen gelten. Allen Fällen ist jedoch gemein, dass kurz nach Festnahme der betroffenen Personen die Berichterstattung von politischen Statements überlagert wird. Diese fordern von der Regierung vehement entweder die Auslieferung zu stoppen oder rasch zu vollziehen.
Richtig ist, dass Regierungen auch im modernen Auslieferungsrecht – jedenfalls außerhalb der Europäischen Union – ein Wörtchen mitzureden haben. Allerdings ist ihr Entscheidungsspielraum beschränkt, wie wir gleich sehen werden. Spielmacher sind zunächst nämlich die Gerichte. Ihnen obliegt es - losgelöst von der politischen Dimension des Falles - streng nach dem Recht für oder gegen eine Überstellung an eine ausländische Gerichtsbarkeit zu entscheiden. Nur: Dieses Recht ist selten eindeutig.
Faktencheck: Strafbarkeit in beiden Ländern
Die mögliche Auslieferung Assanges richtet sich nach dem bilateralen Auslieferungsvertrag zwischen Großbritannien und den USA in Verbindung mit dem Extradition Act (beide aus dem Jahr 2003). Vertrag bedeutet dabei, dass der in das Auslieferungsverfahren involvierten Exekutive (in England der Home Secretary) kein politischer Ermessensspielraum zusteht, die Auslieferung zu verweigern, wenn dieser laut Vertrag nichts entgegensteht. Der Vertrag enthält die sich im 19. Jahrhundert herausgebildeten Auslieferungshindernisse, deren Vorliegen zunächst vom District Judge zu prüfen ist.
Danach muss die Straftat überhaupt auslieferungsfähig sein, das heißt, sie muss auch in England mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr strafbar sein. Diese Voraussetzung der beiderseitigen Strafbarkeit richtet sich allein nach der Faktenlage (conduct test). Nicht entscheidend ist, ob das britische Recht den gleichen Straftatbestand wie das US-Recht kennt. Es muss nur irgendein Straftatbestand erfüllt sein, allerdings dann in all seinen straftatbegründenden Merkmalen.
Hier spielt hinein, inwieweit das britische Recht die Strafbarkeit des Staatsgeheimnisverrats zugunsten der Meinungs- und Pressefreiheit einschränkt, wie es teilweise das deutsche Recht macht. Nur am Rande sei angemerkt, dass auch nach deutschem Strafrecht die Pressefreiheit keinen Persilschein für die straflose Offenbarung eines Staatsgeheimnisses erteilt.
Umstrittene Voraussetzungen: Tatort und politische Verbrechen
Eine Rolle kann auch der Tatort spielen. In der Vergangenheit wurde beispielsweise die Auslieferung von Hackern zugunsten ihrer Strafverfolgung in Großbritannien abgelehnt, da sie dort gehandelt haben. Im Fall Assange stellt sich damit die spannende Rechtsfrage, ob es für die angeklagte Verschwörung allein darauf ankommt, ob Manning auf US-Gebiet gehandelt hat, oder auch darauf, wo Assange seinen Tatbeitrag geleistet hat. Im letzteren Fall hätte der District Judge die sogenannte Extraterritorialitätsklausel zu umschiffen, wonach unter ähnlichen Umständen auch das englische Recht Gerichtsbarkeit für die außerhalb des Territoriums begangene Tat begründen würde.
Eine Auslieferung ist laut Vertrag ebenfalls zu versagen, wenn sie wegen einer politischen Straftat ersucht wird. Hierbei handelt es sich um einen der schillerndsten Begriffe des Auslieferungsrechts. Eine allgemeingültige Definition fehlt. Der amerikanische Rechtsprofessor Max Paul Friedman erklärte die Ausnahme in einem Fachbeitrag so: "Unlike the common criminal, who acts to further personal interests, political offenders are convinced of the truth for their beliefs and act out of an altruistic motivation aimed at some sort of social or moral change." Trifft das nicht perfekt auf Assanges Handeln zu?
Gleichwohl muss man wissen, dass britische Gerichte die Ausnahme in der Vergangenheit restriktiv ausgelegt haben. Die politische Straftat ist aber ein dehnbarer Begriff und auch das in der US-Anklageschrift umschriebene Verhalten kann darunter gefasst werden.
Todesstrafe: Anklage darf nicht einfach so erweitert werden
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Anklage gegen Assange später auf eine schwerwiegendere Straftat erweitert werden kann, für die ihm womöglich sogar die Todesstrafe droht, also etwa Spionage, Landesverrat oder andere Verbrechen gegen die nationale Sicherheit der USA. Gegen die Anklage eines weiteren Lebenssachverhalts schützt ihn der ebenfalls im Auslieferungsvertrag verankerte Spezialitätsgrundsatz. Hierdurch wird die libido puniendi des ersuchenden Staates völkerrechtlich beschränkt, indem sichergestellt wird, dass andere bereits begangene und im Auslieferungsersuchen nicht genannte Straftaten nicht verfolgt werden dürfen. Fehlt die Überzeugung, dass der Grundsatz eingehalten wird, ist die Auslieferung ebenfalls abzulehnen.
Allerdings wird oft übersehen, dass der ersuchte Staat (hier also Großbritannien) eine Strafverfolgung wegen anderer Taten nachträglich genehmigen kann, das Individuum also staatlicherseits entrechtet wird. Die Grenze bildet gleichwohl die Capital-punishment-Klausel in Art. 7 des Auslieferungsvertrages, wonach die USA zusichern müssen, dass wegen der Straftat keine Todesstrafe verhängt wird.
Dass es nicht zur Todesstrafe kommt, wird per doppeltem Boden durch die sogenannte human rights clause im Extradition Act abgesichert. Danach ist eine Auslieferung unzulässig, wenn die Auslieferung nicht mit den in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Menschenrechten vereinbar wäre. Und das wäre sie nicht, wenn die Todesstrafe verhängt werden kann, was der Extradition Act ausdrücklich klarstellt.
Im Zusammenhang mit dieser Klausel wären weitere Einwände durch Assange denkbar, etwa dass er in den USA kein faires Verfahren erhalte (Art. 6 EMRK). Die Hürden für die in der Praxis oftmals vorgebrachte Rüge liegen freilich hoch, da ein Auslieferungshindernis nur bei einer offenkundigen Rechtsverweigerung (flagrant denial of justice) anzunehmen wäre, eine in der Vergangenheit von den britischen Gerichten äußerst selten gezogene Karte.
Where does it end?
Dieser Überblick zeigt, dass Assange nun mehrere Verteidigungsmöglichkeiten offenstehen. Von einer regelrechten Routineangelegenheit, wie diverse Medienberichte den Eindruck erwecken ließen, kann aber nicht die Rede sein. Hinzukommt, dass nach englischem Recht mehrere Gerichtsinstanzen mit dem Fall betraut sein können. Gegen die Entscheidung des erstinstanzlichen District Judge und/oder des Home Secretary für eine Auslieferung kann der High Court die Berufung zulassen. Gegen dessen Entscheidung ist eine Revision zum Supreme Court möglich.
Bereits das Verfahren macht eine schnelle Überstellung an die USA damit unwahrscheinlich. Es wird den britischen Richtern obliegen, ungeachtet des gewollten politischen Ergebnisses, die richtige Balance zwischen Assanges Individualinteressen und dem amerikanischen Strafverfolgungsinteresse zu wahren – eine Gewichtung, die in jedem international-arbeitsteiligen Strafverfahren vollzogen werden muss.
Thomas Wahl ist Referent für Europäisches Strafrecht am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i.Br. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Auslieferungsrecht.
Wikileaks-Gründer Julian Assange: . In: Legal Tribune Online, 19.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34971 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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