Nach dem Spitzenspiel Dortmund gegen Bayern warf der Dortmund-Spieler Jude Bellingham dem Schiedsrichter vor, in der Vergangenheit Spiele "verschoben" zu haben. Welche strafrechtlichen Konsequenzen ihm nun drohen, zeigt Aleksandar Zivanic.
Wenn die Fußballbundesligisten Borussia Dortmund und 1. FC Bayern München aufeinandertreffen, gilt das als größtes Fußballspiel in Deutschland. Am vergangenen Samstag war es wieder einmal so weit. Die zwei erfolgreichsten Mannschaften des deutschen Fußballs lieferten sich ein atemberaubendes Spiel, das Bayern München knapp für sich entscheiden konnte. Vom Schiedsrichter der Partie, Herrn Felix Zwayer, fühlten sich die Dortmunder allerdings benachteiligt, weil dieser den Bayern einen umstrittenen Elfmeter zusprach, den Dortmundern hingegen nicht.
Nach dem Spitzenspiel stand dann nicht mehr die fußballerische Leistung der Mannschaften, sondern eine vermeintlich strafrechtsrelevante Äußerung eines Dortmunder Spielers im Vordergrund. Der Fußballspieler Jude Bellingham kritisierte beim skandinavischen Streamingdienst Viaplay den Schiedsrichter der Partie, Felix Zwayer. Auf Deutsch übersetzt sagte er: "Man gibt einem Schiedsrichter, der schon mal Spiele verschoben hat, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?" Diese Aussage nahm ein Schiedsrichter-Beobachter des Deutschen-Fußball-Bundes e.V. (DFB) zum Anlass, Strafanzeige gegen den erst 18-jährigen Fußballspieler wegen verschiedener Beleidigungsdelikte zu stellen.
Eine Sperre muss Bellingham indes nicht befürchten. Das DFB-Sportgericht wertete die Äußerung aber als "unsportliches Verhalten" und verurteilte den englischen Nationalspieler zu einer Geldstrafe in Höhe von 40.000 Euro. Nach Angaben der dpa hat der Spieler diesem Urteil bereits zugestimmt, es ist damit rechtskräftig.
Nur die unangenehme Wahrheit?
Für die rechtliche Beurteilung kommt es entscheidend darauf an, ob Bellingham lediglich die – schlicht unangenehme – erweisliche Wahrheit ausgesprochen hat. Denn bei Behauptung einer wahren Tatsache liegt keine Ehrverletzung (§ 185 StGB) oder üble Nachrede (§ 186 StGB) vor.
Anderes gilt gemäß § 192 StGB ausnahmsweise dann, wenn eine Beleidigung aus der Form der Behauptung oder ihrer Verbreitung bzw. aus den Umständen hervorgeht. Unter diesen Voraussetzungen kommt eine Strafbarkeit gemäß § 185 StGB in Betracht, obwohl die ehrenrührige Tatsachenäußerung erweislich wahr ist. Nach verbreiteter Auffassung kann eine solche Formalbeleidigung auch dann vorliegen, wenn die behaupteten, wahren (ehrenrührigen) Tatsachen auf einem Sachverhalt beruhen, der sich vor äußerst langer Zeit zugetragen hat.
Zwayers Rolle im Hoyzer-Skandal
Vor über 15 Jahren hatte Zwayer im Zusammenhang mit dem "Fußball-Wettskandal" eine Rolle gespielt. Der Schiedsrichter Robert Hoyzer hatte im Jahre 2004 mehrere Spiele der Zweiten Fußballbundesliga, der Regionalliga und im DFB-Pokal manipuliert. Das Sportgericht des DFB stellte im Jahre 2006 fest, dass Zwayer am 30. April 2004 einen Geldbetrag in Höhe von 300,00 Euro vorbehaltlos von Hoyzer entgegengenommen hat. Er sollte das Fußballspiel Wuppertaler SV gegen Werder Bremen Amateure manipulieren.
Indes stellte das Sportgericht gerade nicht fest, dass Herr Zwayer in der besagten Partie tatsächlich eine – mit Manipulationsabsicht begangene – sportwidrige Entscheidung getroffen hat. Das sportstrafrechtliche Verschulden von Herrn Zwayer gründet – dem Urteil zufolge – vielmehr zum einen auf der vorbehaltlosen Entgegennahme des Geldes. Zum anderen habe Zwayer die ihm bekannten Spielmanipulationen des Schiedsrichters Hoyzer über einen längeren Zeitraum hinweg nicht dem DFB gemeldet.
Damit steht gerade nicht fest, dass Herr Zwayer bereits einmal ein Fußballspiel "verschoben", also manipuliert habe. Insofern könnte sich die Äußerung von Herrn Bellingham als eine Tatsachenbehauptung bzw. -verbreitung darstellen, die als Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung mit Geld- oder Freiheitsstrafe zu belangen ist. Strafschärfend käme sogar der "öffentliche" Charakter der Äußerung hinzu.
Und selbst wenn man die Tatsachenäußerung für erweislich wahr hielte, könnte ein Gericht jedenfalls 15 Jahre als ausreichend lange Zeitspanne ansehen, die eine Bestrafung rechtfertigt.
Strafantrag fehlt
Konsultiert man die Pressestimmen zu der Strafanzeige, so entsteht der Eindruck, dass Herr Bellingham ernsthaft mit einem Strafverfahren rechnen müsste. Dabei kann es – nach dem aktuellen Stand der Dinge – überhaupt nicht zu einem Strafverfahren gegen ihn kommen: Es besteht nämlich ein Verfahrenshindernis.
Beleidigungstatbestände werden nur auf Antrag verfolgt. Antragsberechtigt ist hierbei in der Regel nur der Verletzte, sprich der (womöglich) Beleidigte Felix Zwayer. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar in einer Strafanzeige auch ein Strafantrag gesehen werden. Doch nicht Zwayer, sondern ein Schiedsrichter-Beobachter hat den Antrag gestellt.
Da bei immateriellen höchstpersönlichen Rechtsgütern, wie der Ehre, auch eine (Stell-)Vertretung "im Willen" ausgeschlossen ist, wird die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Herrn Bellingham nach § 170 Absatz 2 StPO einstellen – sofern Herr Zwayer nicht binnen von drei Monaten einen Strafantrag stellt.
Unter Umständen fühl sich auch nicht Herr Zwayer "beleidigt", sondern der DFB. An der Opfer- und Verletztenqualität des DFB – und damit an seiner Antragsberechtigung – bestehen jedenfalls keine Bedenken. Passiv beleidigungsfähig sind auch Personenverbände, die nicht von § 194 Absatz 3 Satz 2 und 3 StGB genannt werden, sofern sie eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche Funktion erfüllen und einen einheitlichen Willen bilden können. Letzteres trifft auf den DFB unstreitig zu – und immerhin prüft dieser bereits die "sportstrafrechtliche Relevanz" der getätigten Äußerung.
Wiederaufrollen des Fußball-Wettskandals?
Möglicherweise könnte es für Herrn Zwayer durchaus Sinn ergeben, einen Strafantrag zu stellen. So könnte ihn ein Strafurteil, das die Unwahrheit oder zumindest die nicht erwiesene Wahrheit der Äußerung, er habe Spiele "verschoben", feststellt, rehabilitieren.
Auf Herrn Bellingham würde im Falle einer Verurteilung wegen seines Alters indes nur eine milde Sanktion zukommen. Mit 18 Jahren gilt er als Heranwachsender. Wenn ein Richter materielles Jugendstrafrecht anwenden würde, kämen als Sanktionsformen vor allem Erziehungsmaßregeln in Betracht. Denkbar wäre etwa die Weisung, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen. Fraglich bleibt nur, ob die Beteiligten – insbesondere Herr Zwayer – ein Wiederaufrollen des Fußball-Wettskandals von 2005 wünschen.
Aleksandar Zivanic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Sozietät Ufer Knauer in München und Rechtsreferendar im Bezirk des OLG Karlsruhe (Stammdienststelle Landgericht Konstanz). Der Artikel gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
Nach Vorwürfen gegenüber Schiedsrichter Zwayer: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46861 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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