Journalistenanfragen werden zunehmend von Anwälten beantwortet. Oft verlangen diese für ihre Mandanten, die gegebene Stellungnahme müsse vollständig zitiert werden. Felix W. Zimmermann untersucht, ob Medien sich daran halten müssen.
Wenn Stellungnehmende Medien auffordern, ihre Stellungnahme dürfe nur vollständig zitiert werden, geht es aus Sicht der Betroffenen darum, zu verhindern, dass die Presse Zitate verfälschend kürzt oder Kernargumente von Medien weglässt. Aus Sicht der Medien sind solche Forderungen aber oft ein Angriff auf die Pressefreiheit, vor allem wenn das Zitat zu lang ist oder vom eigentlichen Thema ablenkt.
Jüngster Fall: Das ARD-Fernsehmagazin Kontraste übersandte dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen Ende Mai einen Fragenkatalog. Thematisch ging es um Artikel von Maaßen in einem von Kontraste als rechtsextremistisch eingestuften Zeitschrift. Über seinen Rechtsanwalt Dr. Ralf Höcker von Höcker Rechtsanwälte in Köln gab Maaßen folgende Stellungnahme ab:
"Sie haben keine Argumente gegen das, WAS ich sage, also kritisieren Sie, WO ich es sage und welchen Unsinn ANDERE dort gesagt haben. Kontaktschuld nennt man das. Ich habe mich auch schon in der linksradikalen TAZ geäußert und ich spreche auch mit Ihnen, obwohl KONTRASTE wegen Falschberichterstattung über Konservative gerichtlich verurteilt wurde. Na und? Ich spreche halt mit jedem."
Dazu heißt es im LTO vorliegenden Anwaltsschreiben von Anwalt Höcker:
"Herr Maaßen (…) verlangt, dass Sie sein Zitat vollständig zitieren."
Höcker begründete sodann, warum aus seiner Sicht jede Kürzung rechtswidrig sei. Kontraste entschied indes, das Zitat im TV-Beitrag gar nicht zu senden und erklärte dies online ) damit, dass darin ein unzutreffender Eindruck über Gerichtsverfahren gegen Kontraste vermittelt und vom eigentlichen Thema des Beitrags abgelenkt werde. Weiter heißt es:
"Wir haben uns daher entschieden, das, was Herr Maaßen zur eigentlichen Sache, nämlich seinen Publikationen sagt, wiederzugeben – jedoch nicht als wörtliches Zitat, da uns eine Kürzung seines Zitats ja von ihm untersagt worden ist."
Die Erklärung von Kontraste wirft Fragen auf. Zum einen, wann Medien einem anwaltlichen Verbot, Zitate zu kürzen, überhaupt Folge leisten müssen. Zum zweiten, wie vollständig eine nur sinngemäße Wiedergabe eines Zitats im Beitrag ausfallen muss.
Korrektes Zitieren: nicht verfälschen, nicht aus dem Kontext reißen
Die Rechtsprechung ist streng, wenn es um das richtige Zitieren geht. Denn mit einem Zitat wird die objektive Tatsache behauptet, dass sich der Betroffene tatsächlich so geäußert hat. Wegen dieser Belegfunktion wird ein Zitat als besonders scharfe Waffe im Meinungskampf angesehen. Es darf nicht unrichtig, verfälscht oder entstellt sein. Ansonsten ist das Persönlichkeitsrecht des Zitierten verletzt, da er zu Unrecht als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt wird. Zitate dürfen daher weder aus dem Kontext gerissen noch ihr Bedeutungsgehalt verändert werden. Eine Kürzung ist unzulässig, wenn hierdurch der Sinn der Aussage entstellt wird. Auch muss der wesentliche Gehalt der Erwiderung in einem angemessenen Umfang wiedergegeben werden. Auf die Überzeugungskraft der Erwiderung kommt es dabei nicht an.
Wäre eine Kürzung des Maaßen-Zitats ohne Sinnentstellung und erheblichen Bedeutungsverlusten möglich? Die Antwort hierauf erfordert komplexe Überlegungen, die hier nicht umfassend erfolgen können. Nur soviel: Jedenfalls der Satz von Maaßen mit der "Kontaktschuld" könnte gestrichen werden, da er seine vorherige Kritik nur schlagwortartig zusammenfasst, ohne das neue Informationen übermittelt werden. Die Streichung des Seitenhiebs gegenüber Kontraste wäre ebenfalls möglich. Denn der wesentlichen Argumentation der (vermeintlichen) Gesprächsbereitschaft gegenüber allen Medien ist bereits mit der Erwähnung der von Maaßen als linksradikal bezeichneten taz und von Kontraste Genüge getan. Kürzt man den Seitenhieb, ist auch das nachfolgende "Na und?" zu löschen, da es sich auf diesen bezieht. Folgende Kürzung durch Einfügen von Pünktchen wäre nach hier vertretener Ansicht zulässig:
"Sie haben keine Argumente gegen das, WAS ich sage, also kritisieren Sie, WO ich es sage und welchen Unsinn ANDERE dort gesagt haben. (...) Ich habe mich auch schon in der linksradikalen TAZ geäußert und ich spreche auch mit Ihnen. (...) Ich spreche halt mit jedem."
Soviel zum Kürzungsverbot bei Sinnentstellung. Doch abgesehen hiervon stellt sich die Frage: Müssen Medien Kürzungsverbote schon allein deswegen beachten, weil der Betroffene die Kürzung verbietet? So sieht es Höcker. Gegenüber LTO sagt er:
"Wenn jemand ausdrücklich verlangt, dass sein Zitat nur vollständig wiedergegeben wird, ist dies im Grundsatz verpflichtend und zwar auch dann, wenn eine Kürzung nicht sinnentstellend wäre. Denn jeder hat das Recht, selbst zu bestimmen, wie er wiedergegeben werden möchte. Insoweit besteht eine Parallele zur Geheimsphäre. Was vertraulich, d.h. nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, kann und darf im Grundsatz auch jeder selbst entscheiden."
Die Rechtsprechung ist streng, aber nicht mehr so wie früher
Für Höckers Auffassung spricht zunächst der tradierte Grundsatz, wonach das Allgemeine Persönlichkeitsrecht die "sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts" schützen kann. So urteilte nämlich der Bundesgerichtshof schon im Jahre 1954, dass dem Verfasser allein die Befugnis zusteht, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (BGH, Urt. V. 25. 05.1954, Az. I ZR 211/53). Auch das Bundesverfassungsgericht entschied, der Einzelne solle grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich der Öffentlichkeit gegenüber darstellen wolle, dazu gehöre auch die Entscheidung, ob und wie er mit einer eigenen Äußerung hervortreten wolle (BVerfG, Beschl. v. 03.06.1980, Az. 1 BvR 185/7).
Allerdings hat die höchstrichterliche Rechtsprechung vor allem im vergangenen Jahrzehnt den Persönlichkeitsschutz deutlich geschwächt respektive die Meinungs- und Pressefreiheit gestärkt. Der vorher propagierten Entscheidungsbefugnis über die Selbstdarstellung ist in den Hintergrund getreten, seitdem das BVerfG regelmäßig betont, das Persönlichkeitsrecht vermittele keinen Anspruch darauf, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es dem Betroffenen genehm ist.
Daraus leitet das Gericht auch ab, dass Medien grundsätzlich ohne ausdrückliche Erlaubnis aus beruflichen Schreiben zitieren dürfen, wenn eine Ehrbeeinträchtigung nicht ersichtlich ist (Beschl. v. 18.02.2010, 1 BvR 2477/08). Nach dem BGH kann sogar bei einer ausdrücklichen anwaltlichen Forderung gegenüber Medien, Zitate nicht zu veröffentlichen, die Veröffentlichung der Zitate gleichwohl zulässig sein (Urt. v. 26.11.2019, VI ZR 12/19, VI ZR 20/19). Denn Informationsschreiben – hier von einem Anwalt – an Medien beträfen nicht die Privatsphäre, sondern die kaum geschützte Sozialsphäre. Soweit überhaupt das Persönlichkeitsrecht tangiert ist, könne die Meinungsfreiheit überwiegen, wenn ein Zitat den Aussagegehalt des Artikels verstärke. Der BGH betont zudem ausdrücklich, dass einem Verbot, Zitate zu verwenden, keine Bedeutung zukomme: Das Ausmaß des Persönlichkeitsschutzes dürfe nicht von einseitigen Erklärungen abhängen.
Medienrechtler: Vollständige Zitierung bringt niedrigeres Schutzniveau mit sich
Wenn Journalisten also in vielen Fällen Zitate veröffentlichen dürfen, obwohl ihnen das untersagt wurde, muss dies erst recht gelten, wenn ihnen nur die teilweise Zitierung verboten wurde, im Sinne eines "Alles oder nichts zitieren". Es darf eben nur nicht sinnentstellend zitiert werden. Darüber hinaus müssen Aufforderungen zur vollständigen Zitierung aber nicht beachtet werden, meint Rechtsanwalt Dr. Sebastian Gorski von der Kanzlei Von Have Fey:
"Wer von den Medien einseitig verlangt, nur vollständig zitiert zu werden, der sollte auch bedenken, dass er sich dadurch grundsätzlich mit der Veröffentlichung seiner Aussagen einverstanden erklärt. Anders als in bereits gerichtlich entschiedenen Fällen geht es hier also nicht darum, dass der Text nicht veröffentlicht werden darf, sondern dass mehr von dem Text veröffentlicht werden soll. Hier dürfte das Schutzinteresse des Betroffenen geringer ausfallen, als bei demjenigen, der die Veröffentlichung seiner Aussagen ganz verhindern will."
Auch das Urheberrecht helfe Betroffenen nicht weiter, so der Medienrechtler. Zwar vermittle dieses ein Recht über die Art und Weise Veröffentlichung eines Textes zu bestimmen. Stellungnahmen, die sich auf die bloße Vermittlung von Informationen beschränken, seien aber meist nicht urheberrechtlich geschützt. Nach Gorski bleibt Betroffenen nur die Möglichkeit, mit Medien ausdrücklich zu vereinbaren, dass sie nur bei vollständiger Zitierung überhaupt eine Stellungnahme abgeben. An eine solche Vereinbarung müssten sich Medien dann halten.
Kontraste jedenfalls wollte wohl auf Nummer sicher gehen und brachte das Zitat von Maaßen im Bericht vom 3. Juni wörtlich nicht. Vielleicht fürchtete man dort, Höcker könnte erfolgreich gegen die Kürzung vorgehen, wie er es in eigener Sache bereits 2019 gegen Kontraste getan hatte (LG Berlin, Beschl. v. 02.09.2019, Az. 27 O 370/19). Stattdessen entschied sich Kontraste dazu, Maaßens Äußerungen in eigenen Worten wiederzugeben. Eine solche paraphrasierende Wiedergabe steht Medien frei und bietet sich an, wenn bei langen Zitaten eine Kürzung ohne Sinnentstellung grammatikalisch nicht möglich ist.
Auch indirekte Rede muss Kernaussagen beibehalten
Allerdings dürfen Medien sich auch bei einem Verzicht auf ein wörtliches Zitat nicht gleichsam sparen, die Kernargumente des Betroffenen zu erwähnen. Dabei gilt grundsätzlich: Je länger der Bericht, desto ausführlicher muss auch auf die Stellungnahme des Betroffenen eingegangen werden. Im Bericht sagt Kontraste, Maaßens habe geäußert, auch mit "linken Medien" zu sprechen. Allerdings bezeichnete Maaßen die taz als "linksradikal", was im konkreten Kontext des Vorwurfs, er publiziere in rechtsradikalen Medien, als Gegenteil hierzu eine erhebliche Abweichung sein könnte. Auch tauchte im Bericht nicht auf, dass Maaßen verschwörungstheoretische Äußerungen in der Zeitschrift, in der er ebenfalls Beiträge verfasste, für "Unsinn" hält, womit eine Distanzierung Maaßens von diesen Inhalten deutlich wird.
Die Frage, ob Kontraste Maaßens Einwände noch umfassender sinngemäß hätte wiedergeben müssen, wird allerdings gerichtlich nicht geklärt. Wie Höcker gegenüber LTO mitteilte, wird Maaßen gegen die jüngste Berichterstattung von Kontraste nicht vorgehen.
Nach aktueller Rechtsprechung müssen sich Medien jedenfalls auf die "Friss oder stirb"-Methode nicht einlassen. Ob nun beim Zitieren oder einer Wiedergabe in eigenen Worten: Allein das (anwaltlich) ausgesprochene Verbot, zu kürzen, dürfte bedeutungslos sein. Entscheidend ist vielmehr, ob die Kürzung sinnwahrend möglich ist und im Bericht die wesentlichen Argumentationsmuster wiedergegeben werden.
Streit um Vollständigkeit von Zitaten: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45388 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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