Jamaika-Sondierungsgespräche gescheitert: Die Stunde des Bun­des­prä­si­denten

von Prof. Dr. Joachim Wieland

20.11.2017

Die FDP ist raus - wie geht es nun weiter? Erst einmal mit der alten Regierung. Und zwar solange, bis der Bundespräsident sich für eine von mehreren Optionen entscheidet, erläutert Joachim Wieland die möglichen taktischen Überlegungen.

Nach dem Scheitern der Sondierungen über die Bildung einer Jamaika-Koalition wird viel über Neuwahlen gesprochen. Es ist jedoch keineswegs selbstverständlich, dass es überhaupt zu diesen kommen wird. Das Grundgesetz (GG) ist von den Erfahrungen in der Weimarer Republik geprägt, in der häufige Regierungswechsel und Neuwahlen die Regel waren, was regelmäßig die Stabilität des Regierungssystems geschwächt hatte.

Deshalb sieht das GG eine hohe Amtsstabilität der Regierung vor. Der Bundespräsident hat die Bundeskanzlerin am 24. Oktober 2017 gebeten, die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen (Art. 69 Abs. 3 GG). An diesem Tag der Konstituierung des 19. Deutschen Bundestages hat das Amt der Regierungsmitglieder geendet (Art. 69 Abs. 2 GG).

Die Bundeskanzlerin hat wiederum die Minister ersucht, die Geschäfte weiterzuführen. Eine geschäftsführende Regierung hat dabei die gleichen Befugnisse wie eine gewählte Regierung. Die Zeit der Geschäftsführung ist auch nicht begrenzt. Zu erwarten sind aber in absehbarer Zeit die Bildung einer Minderheitsregierung – oder eben doch Neuwahlen.

Die Minderheitsregierung als naheliegendere Option

Wahrscheinlicher als Neuwahlen ist eine Minderheitsregierung. Der Bundespräsident kann Frau Merkel oder einen anderen Unionsabgeordneten als Bundeskanzlerin beziehungsweise Bundeskanzler vorschlagen, die dann vermutlich zunächst nicht die von der Verfassung geforderte absolute Mehrheit im Bundestag erreichen werden.

Im darauf folgenden Wahlgang reicht allerdings schon die relative Mehrheit, die von den Abgeordneten der Union - nach den aktuellen Entwicklungen eventuell mit ein wenig Unterstützung vom Bündnis 90/Die Grünen - gestellt werden könnte. Vor allem dann, wenn entweder die Fraktion der SPD oder der FDP sich zur Tolerierung einer solchen Minderheitsregierung bereit erklären oder sogar einen Tolerierungsvertrag schließen würden, läge für den Bundespräsidenten die Ernennung der Kanzlerin beziehungsweise des Kanzlers vermutlich näher als die Ausrufung von Neuwahlen.

Beide Alternativen eröffnet ihm Art. 63 Abs. 4 Satz 3 GG. Nach den aktuellen Meinungsumfragen würden Neuwahlen derzeit auch kein Ergebnis bringen, das für eine stabile Mehrheitsregierung ausreichen würde. Auch deswegen erscheint eine Minderheitsregierung vorzugswürdig.

Die Mühen mit einer Minderheitsregierung

Das Regieren aus einer Minderheitsposition heraus ist mühsam und für Deutschland ungewöhnlich, aber keineswegs unmöglich. Eine Minderheitsregierung verfügt über die gleichen Befugnisse wie eine Mehrheitsregierung. Wenn sie Gesetzgebungsvorschläge macht, muss sie sich im Parlament aber in jedem Einzelfall eine Mehrheit suchen und dafür entsprechend einen politischen Preis zahlen. Das gilt insbesondere für das Haushaltsgesetz.

Findet sie dafür keine Mehrheit, gilt allerdings von Verfassungs wegen automatisch ein Nothaushalt, der alle notwendigen Ausgaben ermöglicht (Art. 111 GG). Eine Minderheitsregierung stärkt das Parlament, ist in ihrer Handlungsfähigkeit aber natürlich eingeschränkt.

Der richtige Zeitpunkt für Neuwahlen

Deshalb ist auch nicht unbedingt zu erwarten, dass eine Minderheitsregierung die gesamte Legislaturperiode hindurch im Amt bleibt. Sobald sich durch Veränderungen in den Meinungsumfragen eine stabile Mehrheit abzeichnet, liegt es für die Minderheitsregierung nahe, die Vertrauensfrage zu stellen.

Findet die Bundeskanzlerin beziehungsweise der Bundeskanzler dann – wie zu erwarten – nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, kann der Bundespräsident auf deren Vorschlag binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen (Art. 68 GG).

Ob er von diesem Recht Gebrauch macht, entscheidet der Bundespräsident allerdings allein. Die Entscheidung dürfte ihm aber nicht schwerfallen, wenn er die Möglichkeit sieht, dass sich nach der Neuwahl mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Mehrheitsregierung bilden könnte.

Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Zitiervorschlag

Joachim Wieland, Jamaika-Sondierungsgespräche gescheitert: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25609 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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