Bamf-Außenstelle in Bremen: "Der eigent­liche Skandal liegt ganz woan­ders"

Interview von Dr. Markus Sehl

16.06.2018

Henning Sonnenberg verteidigt einen der beschuldigten Anwälte aus dem Bremer "Bamf-Skandal". Mit LTO sprach er über wichtige Details, die Entwicklung der Vorkommnisse und Kritik von sowie an deutschen Politikern zum Thema Asyl.

LTO: Herr Sonnenberg, Sie verteidigen Irfan C., einen der beschuldigten Anwälte aus dem Bremer "Bamf-Asyl-Skandal". Wie bewerten Sie die Vorkommnisse?

Henning Sonnenberg: Also ich sehe den Skandal bis heute nicht. Ich sehe nur, dass hier etwas zum Skandal gemacht wird. Vieles liegt hier im Dunkeln, manches kommt langsam ans Licht. 

LTO: Der ursprüngliche Aufreger lautet ja ungefähr so: Bei der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen sind zu Unrecht weit über tausend positive Asylbescheide gefertigt worden …

Sonnenberg: Mir ist bisher nicht ein Fall bekannt, wo man materiell-rechtlich sagen könnte, hier ist etwas Unrichtiges passiert. Klar, auch in Bremen wurden bestimmt Fehler gemacht, nur diese Größenordnung ist völlig abstrus. Mittlerweile hat auch das Bundesamt zugegeben, dass es sich nur um weniger als die Hälfte der anfangs genannten Fälle handelt.

LTO: Kennen Sie denn diese ganzen Bescheide?

Sonnenberg: Was die Fälle von meinem Mandanten Irfan C. angeht, werden die derzeit ja von den Behörden überprüft. Wenn das mit den unrichtigen Bescheiden stimmt, dann müsste es ja zu einer Welle von Rücknahme- und Widerrufsverfahren kommen. Bei meinem Mandanten ist aber noch nicht ein solches Verfahren in Gang gesetzt worden. 

LTO: Was wird denn ihrem Mandanten konkret vorgeworfen?

Henning Sonnenberg

Sonnenberg: (lacht) Naja, da fängt die Sache ja schon an. Es gibt einen Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts Bremen für die Kanzleiräume meines Mandanten. In dem Schreiben wird ihm bandenmäßiger Asylbetrug vorgeworfen, wenn ich das mal so unjuristisch sagen darf.

Die gesetzliche Definition ist so verschraubt, die bekommt man kaum stolperfrei über die Lippen. Gleichzeitig wird dort der Vorwurf erhoben, mein Mandant habe die Referatsleiterin der Außenstelle in Bremen bestochen und sie habe sich bestechen lassen. Was mir fehlt, sind irgendwelche Beweismittel dafür.

LTO: Und die Akten?

Sonnenberg: Ja, das ist es ja gerade. In einem weiteren Schreiben wurde mir mitgeteilt, dass mir die Akteneinsicht verweigert wird. Und zwar mit der Begründung, dass der Untersuchungszweck dadurch gefährdet werden könnte.

LTO: Wurde das in dem Schreiben weiter begründet?

Sonnenberg: Nein, das ist wirklich ein Dreizeiler gewesen.

LTO: Wir wissen mittlerweile, dass in einem anderen Fall der drei beschuldigten Anwälte die Verteidigung Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegt hat.

Sonnenberg: Das ist richtig. Und es wurde eine weitere Begründung dafür gefordert, dass uns Verteidigern die Akteneinsicht verweigert wird.

LTO: Das heißt, Sie stehen mit den anderen Verteidigern der beschuldigten Anwälte in Kontakt?

Sonnenberg: Ja, natürlich. Wir warten jetzt ab, was passiert. Das ist ja schon ein Dilemma als Strafverteidiger, ohne Akteneinsicht ist man erstmal lahmgelegt.

LTO: Ist das aus Ihrer Sicht auch der Grund dafür, dass sich die Erzählung vom Bamf-Skandal in Bremen in den ersten Wochen so ungebrochen Gehör verschaffen konnte?

Sonnenberg: Ich war am Morgen des 21. April am Flughafen und hatte Zeit, dort in der Auslage die Zeitungen zu studieren. Überall stand quasi der gleiche Artikel drin, nur die Überschriften waren unterschiedlich reißerisch. Der Text darunter war größtenteils im Konjunktiv geschrieben. Die Geschichte hat sich über die nächsten drei, vier Wochen total verselbstständigt.

LTO: Erst deutlich später kommt jetzt eine andere Lesart ins Spiel: Es ist die Erzählung von der Intrige gegen Ulrike B., der damaligen Referatsleiterin in der Bremer Außenstelle.

Sonnenberg: In dem Durchsuchungsbeschluss werden als Belastungszeugen genannt, Herr L. und ein anderer Mitarbeiter des BAMF, dann der Bericht von Frau Schmid, kurzzeitig Leiterin beim Bamf in Bremen. Von ihr stammen die sogenannten "Josefa Papers", zudem gibt es Berichte der internen Revision des Bamf.

Was spannend ist: Alle Medienvertreter, mit denen ich bislang zu tun hatte, hatten alle den Bericht von Frau Schmid, teilweise auch die Revisionsberichte und die Drucksachen für den Innenausschuss im Bundestag vor ein paar Wochen. Auf allen diesen Dokumenten muss eigentlich stehen: Verschlusssache - nur für den Dienstgebrauch.

LTO: Das heißt?

Sonnenberg: Das heißt, die Sachen sind zielgerichet durchgesteckt worden, von wem auch immer. Und die Verteidiger sollen jetzt also keine Akteneinsicht bekommen, weil das den Ermittlungszweck gefährdet? Das ist grotesk.

LTO: Wer soll denn hinter dieser Intrige stecken?

Sonnenberg: Der Mann, der den Hauptbelastungszeugen mimt: Herr L., das ist der ehemalige Stellvertreter im Referat von Ulrike B. Er hat wohl selbst aber ein massives Problem. Mindestens eine Mitarbeiterin der Außenstelle hat eine disziplinarrechtliche Beschwerde gegen ihn eingereicht. Und nur einen Tag später, wenn ich mich nicht täusche, hat er einen Brief an die Zentrale in Nürnberg geschrieben. Er sei in Bremen drangsaliert worden. Das ist schon merkwürdig und könnte darauf hinweisen, das hier doch vielleicht ganz merkwürdige Eigeninteressen diese Lawine ausgelöst haben könnten.

LTO: Gutes Stichwort: Inwiefern müssen Sie gerade eigentlich mehr als eine Art Pressesprecher arbeiten statt als Strafverteidiger?

Sonnenberg: Die Aufarbeitung findet leider nicht vor allem bei der Staatsanwaltschaft statt, sondern vielmehr in der Öffentlichkeit. Wir als Verteidiger müssen uns noch bedeckt halten. Ich sehe aber hier im Moment nicht mal ansatzweise, wie man zu so etwas wie hinreichendem oder sogar dringlichem Tatverdacht kommen wollte.

LTO: Was macht sie da so sicher?

Sonnenberg: Der Durchsuchungsbeschluss stützt sich noch auf Dinge, die sich mittlerweile als absolute Falschmeldungen entpuppt haben. Zum Beispiel der Vorwurf, mein Mandant habe Busse organisiert um damit dann Asylbewerber nach Bremen zu kutschieren. Mittlerweile gibt es eine offizielle Bestätigung der Landesaufnahmestelle, dass sie die Busse organisiert hat.

LTO: Ihrem Mandanten wird ja vorgeworfen, er habe für seine Vermittlung nach Bremen überhöhte Summen von den Antragstellern gefordert und einen positiven Ausgang versprochen.

Sonnenberg: Die Gerüchte kenne ich auch, aber da ist nichts dran. Und da ist auch nicht mit Schwarzgeld gearbeitet worden, sondern mit Bargeld – aber eben immer alles mit Quittung.

LTO: Und der Vorwurf von Bestechung und Bestechlichkeit zwischen ihrem Mandanten und der Referatsleiterin Ulrike B.?

Sonnenberg: Da ist mal ein Kuchen mitgebracht worden, auf dieser Ebene bewegen wir uns.

LTO: Aber kein Geld gezahlt worden?

Sonnenberg: Es gibt den Vorwurf, dass mal eine Hotelübernachtung für B. über die Kanzlei meines Mandanten gezahlt worden ist. Aber das war nur eine im Voraus bezahlte Reservierung und Frau B. hat das natürlich auch wieder zurückgezahlt. Auch darüber gibt es Quittungsbelege. Ganz ehrlich, die Frau weiß ja ganz genau, dass sie in Teufels Küche kommen würde, wenn so etwas laufen würde.

LTO: Wie wird es denn aus Ihrer Sicht jetzt weitergehen?

Sonnenberg: Die Staatsanwaltschaft hat kilometerlange Aktenstrecken beschlagnahmt. Ich fürchte nur, mit denen wird ein gewöhnlich ausgebildeter Staatsanwalt herzlich wenig anfangen können, weil er sich im Asylrecht nicht auskennt.

LTO: Der Bremer Senat hat ja zuletzt angekündigt, auch die Bundespolizei für die Aufklärung hinzuziehen. Was verspricht er sich davon?

Sonnenberg: Das müssen Sie den Bremer Senat fragen.

Die Bundespolizei wird ja regelmäßig in Verfahren eingeschaltet, in denen es um gewerbliche Einschleusung geht. Aber darüber reden wir ja nicht. Es geht um einen Zeitraum 2015, als die Zentrale des Bamf in Nürnberg entschieden hat, dass das ganze Dublin-Verfahren für Syrer ausgesetzt wird.

LTO: Es steht ja auch der Vorwurf im Raum, die Bremer Außenstelle hätte reihenweise über Anträge entschieden, obwohl sie unzuständig gewesen sein soll?

Sonnenberg: Das Bamf ist eine Bundesbehörde, die unselbstständige Außenstellen unterhält, diese haben keine eigene Rechtspersönlichkeit. Das bedeutet, selbst wenn in Bremen - und das ist ja mindestens umstritten - örtlich unzuständig, aber inhaltlich richtige Entscheidungen getroffen wurden, dann bleiben die eben inhaltlich richtig – egal, ob die in Bremen oder Augsburg oder sonst irgendwo getroffen wurden.

LTO: Herr Sonnenberg, Sie arbeiten als Anwalt auch selbst im Asylrecht?

Sonnenberg: Ja, aus diesem Rechtsgebiet komme ich eigentlich, das bearbeite ich seit 30 Jahren.

LTO: Was hat die Aussage von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zur "aggressiven Anti-Abschiebe-Industrie" seitens der Anwälte bei Ihnen ausgelöst?

Sonnenberg: Das ist eine saudumme sowie kackfreche Aussage von einem, der keine Ahnung hat. Das ist ein Dummschwätzer der Mann, das können Sie gerne so zitieren.

LTO: Ok, dann machen wir das.

Sonnenberg: Nochmal: Wo ist der Skandal? Im Jahr 2017 waren von allen in diesem Jahr entschiedenen Asylklagen über 40 Prozent erfolgreich. Das zeigt doch nur, wie schlecht das Bundesamt arbeitet – beziehungsweise wie schlecht es arbeiten muss. Viele der ablehnenden Entscheidungen sind die Umsetzung politischen Willens. Im Sommer 2016 hat es aus meiner Sicht einen eklatanten Bruch gegeben.

LTO: Was für einen Bruch?

Sonnenberg: Bis dahin wurde jeder Syrer, der hier einen Asylantrag gestellt hat, als Flüchtling anerkannt, danach plötzlich nicht mehr. Damit sollte verhindert werden, dass die Leute ihre Familie nachholen. Und das hat eine unglaubliche Klagewelle ausgelöst. Ich mache das ja schon seit Jahrzehnten, aber nie gab es so eine hohe Erfolgsquote bei Asylsachen. Schuld daran sind die massenhaft rechtlich angreifbaren Bescheide - und das ist der eigentliche Skandal.

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Bamf-Außenstelle in Bremen: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29177 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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