2/2: "Ethik-Kommission sollte Regeln für Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik schaffen"
LTO: Erwarten Sie, dass die Große Koalition mehr gegen Korruption tun wird, als dies bisher in Deutschland der Fall war?
Kubiciel: Die Chance ist jedenfalls da, und die Große Koalition könnte noch etwas mutigere Schritte unternehmen, als sie in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat. So könnte sie ihre große Mehrheit und ihr politisches Gewicht dazu nutzen, eine Ethikkommission einzusetzen, die sich einmal umfassende Gedanken über das Zusammenspiel von Politik einerseits und Wirtschaft und Verbänden andererseits macht. Diese Thematik ist politisch, rechtlich und demokratietheoretisch so komplex, dass man ihr mit schnell beschlossenen, punktuellen Maßnahmen wie der Einführung einer Karenzzeit nicht beikommt.
Hier ist intensives Nachdenken und Diskutieren gefordert, idealerweise in einer Kommission, der altgediente und aktive Politiker sowie Vertreter aus Wissenschaft und der Zivilgesellschaft angehören. Wenn eine solche Kommission Verfahren, Regeln und Best Practices empfiehlt, käme diesen eine große Glaubwürdigkeit zu: Denn ihre "Spielregeln" hätten sich die Politiker nicht selbst gegeben, sondern gleichsam im Einvernehmen mit der Gesellschaft.
"Staatsanwaltschaften sind strukturell unterbesetzt"
LTO: Was ist in Ihren Augen das dringlichste Anliegen: Die Einführung eines Unternehmensstrafrechts, die Steigerung der möglichen Höchstsätze bei Bußgeldern oder eine personelle Stärkung der Ermittlungsbehörden?
Kubiciel: Die strengere Bestrafung der Abgeordnetenbestechung ist sicher ein symbolisch wichtiger Punkt. Doch bringt ein solches Verbot wenig, wenn nicht die außerstrafrechtlichen Verhaltensregeln präzisiert werden, auf die der Tatbestand Bezug nehmen muss, um korruptes von legalem Handeln abgrenzen zu können. Auch hier würde die Entwicklung von Regeln in der erwähnten Ethik-Kommission Sinn ergeben.
Praktisch wichtig ist es, die Strafbarkeitslücken im Gesundheitssektor zu schließen. Eine stärkere Aktivierung des Bußgeldmechanismus gegen korrupte Unternehmen halte ich in manchen Bundesländern für notwendig. Da sind die Unterschiede zwischen den Staatsanwaltschaften der einzelnen Länder teils sehr groß.
Neue Regeln wie eine Unternehmensstrafe bringen hingegen wenig, wenn diese nicht effektiv durchgesetzt werden können, weil es Staatsanwaltschaften an der nötigen Manpower fehlt. Die Staatsanwaltschaften sind aber strukturell unterbesetzt, so dass sie mit einem Unternehmensstrafrecht an die Grenze ihrer Belastbarkeit stoßen würden.
LTO: Der Antikorruptionsbericht sollte bereits Ende Juni 2013 erscheinen. Jetzt haben wir Ende Januar 2014. Warum die deutliche Verzögerung?
Kubiciel: Die Zeit bis Juni 2013 war zu knapp bemessen, wenn man bedenkt, dass die Arbeit erst Ende Oktober 2012 begonnen hat. In dieser Zeit mussten wir "National Research Correspondents" Informationen beschaffen und zusammenstellen, die letztlich von einer Handvoll Beamter in Brüssel ausgewertet worden sind. Die Kollegen in Brüssel hatten sehr, sehr viel zu tun. Und natürlich muss ein solcher Bericht nicht nur geschrieben werden, sondern sämtliche Hierarchieebenen in der Kommission durchlaufen. Das ist in Brüssel nicht anders als in einem Ministerium in Berlin oder Düsseldorf.
LTO: Herr Professor Kubiciel, vielen Dank für das Gespräch.
Professor Dr. Michael Kubiciel ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung an der Universität zu Köln. Er hat den Deutschland-Teil des EU-Antikorruptionsberichts für die Kommission vorbereitet. Das Interview gibt ausschließlich seine eigene Meinung wieder, nicht diejenige der EU.
Die Fragen stellten Claudia Kornmeier und Constantin Baron van Lijnden.
Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, EU-Korruptionsbekämpfungsbericht: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10864 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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